BERLIN. (hpd) Am 26. April fällt in Berlin eine wichtige Entscheidung: Kann Berlin sein Modell der weitergehenden Trennung von Kirche und Staat behalten und weiterentwickeln – oder setzt sich eine Initiative durch, die Berlin auf den Stand der „hinkenden Trennung“ von Staat und Kirche zurückwirft, wie sie in der bundesrepublikanischen Provinz zu den Zeiten der Konfessionsschulen entwickelt worden war?
Ein breites Bündnis, auch von ChristInnen, AlevitInnen und MuslimInnen, wirbt inzwischen dafür, das gemeinsame staatliche Fach Ethik in den Klassen 7 bis 10 beizubehalten und weiterhin daneben auch den (durch staatliche Zuschüsse finanzierten) freiwilligen Religions- oder Weltanschauungsunterricht.
Eine politische Stellungnahme von Frieder Otto Wolf
Nachdem jetzt auch die aufklärende Gegenkampagne dieses Bündnisses in Gang gekommen ist, kann vielleicht noch erreicht werden, dass bei dem Volksentscheid mehrheitlich das Anliegen der Initiative abgelehnt wird. Das ist aber immer schwierig. Zumal der ganz großen Mehrheit der Berliner die Bedeutung dieses Themas nicht klar ist.
Es geht bei dieser Abstimmung nicht um „Wahlfreiheit“, wie die Initiatoren behaupten. Es geht konkret um „Wahlpflicht“: Statt der gegenwärtigen Kombination von verpflichtendem gemeinsamen Ethikunterricht für alle und einem zusätzlichen freiwilligen Unterricht, der von etwa der Hälfte aller SchülerInnen wahrgenommen wird, sollen alle SchülerInnen dazu verpflichtet werden, sich entweder für den Ethikunterricht oder für einen Religions- oder Weltanschauungsunterricht zu entscheiden. Voraussichtlich würde das dann auch für die Klassen 1 bis 6 gelten, in denen es bisher gar keinen Ethikunterricht gibt.
Ein weiteres Ergebnis wäre, dass die Religionsnote über die Versetzung bzw. über die Zulassung zum Studium mit entscheiden würde – der freiwillige Unterricht als ein unbelasteter Raum für engagierte Reflexion fiele weg.
Dies ist keine bloß schulpolitische Auseinandersetzung: Der Rückgriff auf die staatliche Verpflichtung soll die schwindende Bedeutung der kirchlichen Orientierungen im Alltagsleben kompensieren helfen.
Nachdem sich die Erwartung einer raschen Rechristianisierung der Bevölkerung im Osten (und Norden) Deutschlands als Fehleinschätzung erwiesen hat, soll jetzt ein Stück „Staatskirchentum“ dabei helfen, die Rolle der Kirchen in Gegenden zu stabilisieren, in denen etwa zwei Drittel der Menschen mit ihnen gar nichts mehr anzufangen wissen – und sich oft nicht einmal mehr an ihnen reiben.
Berlin bietet sich offenbar als Kampfplatz dafür an, derartige Projekte auszutesten: Die hier zu mobilisierende Kombination von Frontstadtmilieus und Zuwanderung aus den Rheinprovinzen eröffnet immerhin eine Chance, damit durchzukommen. Zumal die ganz große Mehrheit in dieser Frage völlig leidenschaftslos ist – sie kann sich einfach gar nicht vorstellen, dass das Berliner Modell der Gleichbehandlung von Religionen und Weltanschauungen gekippt werden könnte, das doch seit der Nachkriegszeit gilt.
Die grundlegende Frage, um die es in dieser Volksabstimmung geht, sollte aber keine und keinen kalt lassen: Wollen wir uns in unserem Zusammenleben auf eine weltliche Ethik stützen, über die wir uns mit Vernunft und Gefühl gemeinsam immer wieder neu verständigen und deren zentrale Elemente wir in den Menschen- und Bürgerrechten festgelegt haben – oder unterwerfen wir uns einem neuen, vor allem christlichen Fundamentalismus, der da behauptet: „Keine Moral ohne Gott!“
Es gibt also gute Gründe dafür, sich die Mühe zu machen, bei dieser Volksabstimmung mit Nein zu stimmen.
Prof. Dr. Frieder Otto Wolf, Philosoph an der FU Berlin, ist Präsident der Humanistischen Akademie, Vorsitzender des KORSO und in mehreren Leitungsgremien des HVD aktiv. Sein Beitrag auf der Tagung der Berliner Akademie in der vorigen Woche befindet sich u.a. auf dem soeben eingerichteten Kanal des HVD auf Youtube