Wandel der Trauerrituale bei der Bundeswehr

Sie verfolgen die Ansprache eines Ministers, in dessen Nähe der Altar steht, brennende Kerzen leuchten und die Särge der toten Soldaten, der "Gefallenen"“, aufgebahrt sind. In dieser Verbindung politischer und religiöser Symbolik verwandeln sich die Trauerfeiern zu "Trauergottesdiensten". Die Präsenz der "Aura des Heiligen und Erhabenen" vermischt sich mit der Feierlichkeit des militärisch-politischen Rituals.

Minister zu Guttenberg war da in seinem Element. Ausdrücklich nahm er religiöse Wendungen und Bezüge auf und versuchte, den betrüblichen militärischen Anlass mit dem würdevollen sakralen Rahmen zu verbinden. Mehrmals bezog sich Guttenberg in seinen Reden auf den besonderen Ort: "... und so bitte ich Sie alle in dieser Kirche ...", sowie auf die besondere Zeit des Kirchenjahres: "Die Osterwoche, nach einem entsetzlichen Karfreitag, sollte Hoffnung geben." Er verband in emotionalen Worten mit der Trauer um die gefallenen Soldaten - "Ich habe am Ostersonntag die Tränen der heimkehrenden Kameraden gesehen" – sein eigenes religiöses und politisches Bekenntnis: "Und wenn es diesen Gott unseres christlich geprägten Europas gibt, woran ich fest glaube, dann werden sie, diese tapferen Männer, bei dem Vater aufgehoben sein, dessen Sohn sein Leben gab für das Leben der Menschen auf dieser Welt." (24. April 2010)

Guttenberg schloss seine Ansprachen ohne Rücksichtnahme auf nichtchristliche Familienangehörige der Toten, wie schon zuvor Jung und Struck, stets mit dem Wunsch, die gefallenen Soldaten mögen "in Gottes Segen geborgen" sein.

Die Verlagerung der offiziellen Trauerfeiern vom abgegrenzten militärischen Gelände in die allgemein zugänglichen Kirchen führte zu breiter öffentlicher Berichterstattung. Live-Übertragungen im Fernsehen wurden zur Regel, sogar auf die örtlichen Marktplätze. Großbildleinwände erinnerten an Veranstaltungen bei großen Sportereignissen.

Neben dem äußeren Rahmen veränderte sich auch der rhetorische Umgang mit den Biographien der getöteten Soldaten. So erwähnte Struck in seiner Trauerrede vom 10. Juni 2003 nur Namen, Dienstgrad und Geburtsort der Getöteten. Sein Nachfolger Jung begann seine Ausführungen zum Leben der Soldaten mit dem Eintritt in die Bundeswehr und konzentrierte sich im folgenden auf die bundeswehrinterne Karriere. In den Reden Guttenbergs wurden nunmehr dienstliche Funktion und persönliches Schicksal verbunden. Beispielhaft hierfür waren seine Ausführungen am 9. April 2010: "... wurde 1984 in Freital in Sachsen geboren. Nicht einmal 26 Jahre alt ist er geworden. Nach der Schule absolvierte er zunächst eine Berufsausbildung als Wirtschaftsassistent. 2006 ging er zur Bundeswehr – zu den Fallschirmjägern. Er war ein begeisterter Sportler, der schon als Jugendlicher im Fußball aktiv war, Kraftsport trainierte. Seine Kameraden berichten, dass er ebenso beliebt wie angesehen war. Seine Heimat blieb indes Sachsen. Hier wollte er mit seiner Freundin nach dem Einsatz ..., in einer gemeinsamen Wohnung zusammenziehen."

Neuer alter Heldenmythos

Es geht also um mehr als ein innerbetriebliches Ereignis der Bundeswehr. Der Tote ist, so die Botschaft des Ministers an die deutsche Öffentlichkeit, in erster Linie "einer von Euch" gewesen, der "für Eure Ziele, Werte und Entscheidungen" gestorben ist. Sie gipfelte in dem Satz, er habe "in Eurem Auftrag" sein "Leben gegeben". Daher sei es die Aufgabe aller, seiner ehrenvoll zu gedenken. Er verdiene Achtung, Respekt und Dankbarkeit. Die hier vorgenommene symbolische Überhöhung wurde so auf alle Angehörigen der Bundeswehr ausgedehnt. Der "deutsche ISAF-Soldat" und sein kriegerisches Wirken werden zu einer Leitfigur, mit der sich die politische Gemeinschaft identifizieren soll.

Wir können beobachten, wie sich in den Redemanuskripten zwischen 2001 und 2011 die Schilderung der Leistungen der Bundeswehrsoldaten immer stärker von deren konkreten Aufgaben löst und zu allgemeinen Vorstellungen von Tugend wie Einsatzbereitschaft, Hingabe und Leidenschaft hochstilisiert wird: "Es braucht Männer und Frauen, die sich mit ihrer ganzen Kraft für die Würde des Menschen, für Frieden, Freiheit und Recht einsetzen, dafür auch Risiken für sich selbst in Kauf nehmen. Diesen Auftrag erfüllen unsere Soldaten in hervorragender Art und Weise", erklärte Jung am 24. Oktober 2008.

Der Minister als zivil-religiöser Priester

Guttenberg wollte nicht mehr vorrangig als Sprecher des "Funktionssystems Bundeswehr" oder des "politischen Entscheidungssystems" der Bundesregierung verstanden werden. In seinen Reden tauchen vermehrt Werte wie Tapferkeit, Pflichtbewusstsein und Patriotismus auf: "Die drei Soldaten, um die wir heute so sehr trauern, haben in ihrem Eid geschworen, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Sie haben diesen Eid erfüllt. Sie waren tapfere, treue, wahrlich treue Soldaten. Sie waren auch echte Patrioten. Sie sind für unser Land gefallen und ich verneige mich in größter Dankbarkeit und Anerkennung."

Guttenberg inszenierte sich dabei – anders als seine Vorgänger – als zivil-religiöser Repräsentant, ja man könnte sagen als zivil-religiöser Priester der politischen Gemeinschaft des deutschen Volkes: "Soldaten, wir werden Euch vermissen. Und wer vermisst, vergisst nicht. ... Soldaten! Seid in Gottes Segen geborgen", gab er am 9. April 2010 von sich. Waffen segnete Guttenberg allerdings noch nicht.

Edda und Karl-Helmut Lechner

(Beide Autoren sind nach dem Studium der Theologie und mehrjähriger Tätigkeit als Pastorin und Pastor in der Kirche Schleswig-Holsteins 1974/1975 aus der Kirche ausgetreten. Sie haben danach eine Ausbildung zu Maschinenschlossern gemacht und auch in diesem Beruf gearbeitet. Politisch betätigen sich heute beide in der Partei Die Linke, wobei sie sich thematisch mit den Schwerpunkten Religionssoziologie und Kritik an der Kirche beschäftigen.)