Generationswechsel?
"Kim entmachtet seinen Onkel." Das war die erste Reaktion vieler Medien auf den Fall Jangs. Dabei ist längst nicht gesichert, dass tatsächlich Kim Jong Un derjenige war, der Jang gestürzt hat, denn es stellt sich die die Frage, ob Kim wirklich an Macht gewinnt, wenn er ein Familienmitglied schasst. Sollte er nicht eher davon ausgehen, dass ein Onkel ihm gegenüber loyaler ist als Menschen außerhalb der Familie? Wenn die Familie die Kontrolle über die Ökonomie des Landes inklusive der Zweige zur Devisenbeschaffung innegehabt hat, so wird auch Kim Jong Un davon profitieren. Und warum hätte Jang Kim entmachten wollen? Wenn er wirklich die Fäden im Hintergrund zog, wird er gewusst haben, dass man einen "reinen Kim" als Gallionsfigur benötigt.
Es besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass die nordkoreanische Propaganda tatsächlich auf einem wahren Kern beruht und Jang Song Thaek einen Umsturzversuch plante. Als Indiz mag gelten, dass durch die Veröffentlichung dieser Nachricht der Ruf der Kims als unfehlbare Herrscher beschädigt wird, wenn sie sich über Jahrzehnte von einer Person so heftig haben täuschen lassen. Somit könnte der Fall zu einer Schwächung Kims führen. Aber es erscheint unwahrscheinlich, dass entsprechende Absichten von jemandem, der so eng mit der Familie Kim verbunden war, so lange nicht bemerkt worden sind.
Möglicherweise hat Kim aber tatsächlich die Geduld verloren und sich vielleicht auch in seiner Ehre verletzt gefühlt, dass Jang im Ausland und möglicherweise auch im Inland als eigentlicher Regent angesehen wurde und sich als jemand darstellte, der sich Kim nicht in derselben Form unterordnen muss, die von anderen erwartet wird.
Der Sturz Jangs kann demnach auch als Signal Kims gewertet werden, dass Rivalen beseitigt werden – selbst wenn sie aus der eigenen Familie kommen. Seit seinem Amtsantritt wurde knapp die Hälfte der wichtigsten Beamten, Kader und Offiziere ausgewechselt und von den sieben Begleitern, die zusammen mit Kim Jong Un das Geleit für Kim Jong Ils Leichenwagen gegeben haben, wurden mittlerweile fünf beseitigt oder degradiert. Oft wird in diesem Zusammenhang von einem Generationswechsel gesprochen. So sollen inzwischen auch Kim Jong Uns Geschwister Jong Chul (Jahrgang 1981) und Yo Jong (Jahrgang 1987) im Hintergrund wichtige Positionen ausfüllen.
Offenbart Jangs Sturz die wahren Faktionskämpfe?
Durch die neuesten Ereignisse wurde von Nordkorea zugegeben, dass es Teile in der Führung gibt, die mit der Linie der Partei nicht einverstanden sind. Selbst wenn jetzt die große Einheit beschworen wird, wird deutlich, dass Nordkorea nicht das "monolithische System" ist, als das es sich selbst darstellt. So ist aus diplomatischen Kreisen die Einschätzung zu hören, dass die Exekution Jangs nicht zu einer Stärkung Kims führen werde, sondern sogar zeige, dass er im Machtkampf an den Rand gedrängt wurde. Es wird vermutet, dass die Hinrichtung mitnichten auf Kims Direktive zurückzuführen ist, sondern ihm vom Militär aufgezwungen wurde. Dass Kim Jong Un trotzdem als Führer und Alleinherrscher auftritt, muss nicht als Widerspruch gesehen werden, denn das nordkoreanische System mit seinem extremen Führerkult könnte ohne ihn nicht fortbestehen.
Nachdem in der letzten Zeit die Rolle der Partei betont wurde, scheint es nun so zu sein, dass das Militär seine Vormachtstellung unter Beweis stellen muss. Hier kommt möglicherweise Choe Ryong Hae, Vizemarschall der Koreanischen Volksarmee (KVA), zurzeit Leiter der Politischen Hauptverwaltung der KVA, Mitglied des Präsidiums des Politbüros des ZK der PdAK sowie Mitglied der Nationalen Verteidigungskommission, als Rivale von Jang ins Spiel: Je nach Lesart gelten Jang als Hardliner, Choe als Wirtschaftsfachmann; Jang als Reformer, Choe als konservativ. Es mehren sich Anzeichen dafür, dass Choe Ryong Hae zukünftig die Rolle der "Nummer 2" einnehmen wird. Seine hohen Posten im Militär sind jedoch nicht unumstritten, da er sein Berufsleben fast ausschließlich im zivilen Bereich verbracht hat.
Jang wurde, zumindest in den letzten Jahren, von vielen aber als (relativer) Reformer wahrgenommen – und so wird er auch von den Staatsmedien tituliert. Er stand nicht nur für ökonomische Reformen, sondern soll darüber hinaus eine ablehnende Haltung in Bezug auf Nuklearwaffentests eingenommen haben. Beides bietet eine Erklärung dafür, warum er in China gerne gesehen war. Sicherlich ist er mit dieser Haltung dem Militär auf die Füße getreten, das auch einen großen Teil der nordkoreanischen Wirtschaft kontrolliert.
Es wurde schon im letzten Jahr spekuliert, dass Nordkorea seine Landwirtschaft etwas liberalisieren möchte. Die Kolchosen können Berichten zufolge selbstständiger entscheiden und einen Teil der Ernte selbst auf dem Markt verkaufen. Ähnliche Reformen soll es auch in der Industrie geben. Gerüchte verlauteten, dass Jang seine Macht dazu genutzt habe, der Armee das Bergbaugeschäft zu entziehen. Möglicherweise ein Grund dafür, dass das Militär nun eindrucksvoll unter Beweis stellen musste, wer wirklich das Sagen im Land hat. Ob die Hinrichtung Jangs aber zur Stabilität des Systems beitragen wird, muss abgewartet werden. Es gibt Hinweise darauf, dass nach dem Vorfall etwa siebzig seiner Vertrauten geflohen seien, darunter hochrangige Funktionäre, Diplomaten und Militärangehörige. Einer von ihnen soll kürzlich geheime militärische Dokumente an südkoreanische Behörden weitergegeben haben.
Folgen für das Volk
Die Bürger Nordkoreas mussten seit dem Sturz Jangs noch nicht unter besonderen Repressalien leiden. Für die Bevölkerung sehr einschneidend wären Einschränkungen des Handels, die aber nicht beobachtet werden konnten. Offenbar gehen die Behörden davon aus, dass entsprechende Maßnahmen, sofern sie mit der Verhaftung von Jang und seinen Anhängern in Verbindung gebracht würden, Unruhen in der Bevölkerung schüren könnten. Es wurde jedoch von einer massiven Aufstockung der Sicherheitsbeamten sowohl in Pjöngjang als auch auf dem Land berichtet, die sich zudem sehr angespannt verhielten. Andererseits sei aber die Elektrizitätsversorgung verbessert worden – damit die Bürger die Ereignisse um die Verhaftung Jangs in den Staatsmedien verfolgen können.
Sicherheitspersonal wird auch verstärkt an der Grenze zu China eingesetzt: Soldaten patrouillierten häufig am Ufer des Grenzflusses und hielten wesentlich länger Wache als gewöhnlich. Die Zeitspanne, in der Anwohner Wasser dem Yalu-Fluss entnehmen können, sei von 12 bis 16 Uhr festgelegt worden, aber es seien ständig Soldaten anwesend, so dass sich die Leute unbehaglich fühlten.
Schwächung der chinesisch-nordkoreanischen Beziehungen?
Kim (oder wer auch immer tatsächlich hinter den Ereignissen steht) soll seinem Land und der Welt gezeigt haben, dass nicht nur Jang als Person, sondern auch die Idee, für die er stand, beseitigt wurde. Jang stand möglicherweise eher für ein Nordkorea der vorsichtigen Öffnung. Er war für viele Sonderwirtschaftszonen im Land verantwortlich (die Verpachtung vom Hafen von Rason an ein chinesisches Unternehmen wird ihm ja ebenfalls vorgeworfen) und liebäugelte möglicherweise – ganz im Sinne Chinas – mit ökonomischen Reformen. Daher könnten die Beziehungen zwischen Nordkorea und China weiter gestört werden. China hatte schon den letzten Atombombentest Nordkoreas im Februar ungewöhnlich scharf kritisiert und in dessen Folge im UN-Sicherheitsrat für Sanktionen gegen den Verbündeten gestimmt.
Desweiteren galt Jang als "Pekings Mann in Pjöngjang." Peking beeilte sich zu erklären, dass die Hinrichtung Jangs eine "innere Angelegenheit" sei, in die man sich nicht einmische. Indirekt wird aber die Verstimmung sehr deutlich, wenn von chinesischen Staatsmedien berichtet wird, dass "die Mehrheit der Öffentlichkeit [in China] eine negative Einstellung bezüglich der jüngsten Ereignisse in Pjöngjang" habe.
Nordkorea bemühte sich zwar sofort klarzustellen, dass sich durch die Exekution Jangs nichts am wirtschaftlichen Kurs des Landes ändern und an den Plänen festgehalten werde, ausländische Investitionen in Sonderwirtschaftszonen zu fördern. Direkte Folgen wurden auch noch nicht bemerkt, selbst am Tag, als der Ausschluss Jangs aus der PdAK bekanntgemacht wurde, wurde mit China eine Vereinbarung über den Bau einer Eisenbahnstrecke von Kaesong nach Peking getroffen.
Es wurde hingegen berichtet, dass viele nordkoreanische Geschäftsleute im Nordosten Chinas nach der Nachricht, dass Jang verhaftet wurde, eilig nach Nordkorea zurückgekehrt sind. Möglicherweise wird nun genau geprüft, wer Kontakte zu Jang hatte.
Es wird sich zeigen, ob China als wichtigster Verbündeter Investitionen in Nordkorea weiter fördern wird. Schließlich wurde auch von nordkoreanischer Seite deutlich, dass man mit der chinesischen Investitionspolitik nicht einverstanden ist. Von Vertrauen ist das Verhältnis nicht geprägt.
Weitere Quellen:
Nordkoreanische Quellen (englisch): YouTube: Voice of Korea, KCNA, "Traitor Jang Song Thaek executed", Rodong Sinmun
Hinweis: Nordkorea hat nach den jüngsten Vorkommnissen mehr als 35.000 Artikel aus seinen Nachrichtenarchiven entfernt. Das betraf zunächst nur die Seiten, die auf nordkoreanischen Servern liegen (.kp), aber nicht diese, die in Japan (.jp) gehostet werden. Trotzdem kann es sein, dass die angegebenen Links demnächst nicht mehr erreichbar sein werden.
Südkoreanische Quellen (koreanisch): Chosun Ilbo, Chosun Ilbo
Deutschsprachige Quellen: Deutsche Welle, FAZ, Spiegel, Süddeutsche Zeitung, Tagesschau, Welt
Englischsprachige Quellen: Daily NK, Korea Herald, Telegraph, Telegraph, Time, Washington Times
Anonym (Name der Redaktion bekannt)