Humanisten enttäuscht über Koalitionsvertrag

WIESBADEN. (hpd/hvd) Der über hundert Seiten starke Koalitionsvertrag muss von beiden Parteien noch abgesegnet werden, doch schon jetzt steht fest: Säkulare Positionen finden im Vertrag keine Beachtung. Der HVD Hessen äußert sich enttäuscht über die einseitige Bevorzugung der Kirchen und die komplette Ausblendung der säkularen Szene.

Pressemitteilung des HVD Hessen

Die Regierungsbildung in Wiesbaden scheint sich für die Belange der säkularen Szene nur wenig zu interessieren. Dass ein Viertel der hessischen Bevölkerung konfessionslos ist, merkt man dem schwarz-grünen Koalitionsvertrag zumindest nicht an. So lesen wir im Koalitionsvertrag beispielsweise den Satz "Gesellschaftliche Debatten über die besondere Stellung der Kirchen in unserem Land werden wir ebenfalls im vertrauensvollen Dialog mit den Kirchen erörtern." Wäre es nicht endlich mal an der Zeit, auch das Viertel der Bevölkerung ernst zu nehmen, das keiner Konfession angehört? Die christlich dominierten Koalitionäre wissen jedenfalls schon jetzt, wie das Gespräch mit den Kirchen ausgeht: "Am bewährten Staatskirchenverhältnis halten wir ebenso fest wie an den Formen der Kommunikation und Begegnung mit den Kirchen."

An immerhin drei Stellen im Koalitionsvertrag wird ein bedarfsgerechter islamischer Religionsunterricht gefordert. Ethik in Grundschulen: Fehlanzeige. Das ist Teil der Integrationspolitik und eine Maßnahme, die der vorliegenden Heterogenität in den Klassenzimmern richtigerweise Rechnung trägt. Dass in neunzig Prozent der Grundschulen der vorgeschriebene Ethikunterricht für konfessionsfreie Schülerinnen und Schüler wegen fehlender Lehrkräfte ausfällt, wird hingegen nicht als Problem wahrgenommen. Es gibt aber mindestens fünfmal soviel konfessionsfreie Menschen in Hessen wie Menschen muslimischen Glaubens. Und diese Menschen wählen auch schwarz oder grün.

Konfessionsfreie Wohlfahrtsträger und Verbände werden ausgeblendet

Es ist durchaus legitim, dass im Koalitionsvertrag der kulturelle und soziale Beitrag der christlichen Kirchen und ihrer Wohlfahrtsverbände gewürdigt wird. Auch die muslimischen und jüdischen Gemeinschaften werden explizit in dieser Hinsicht wahrgenommen. Die Leistungen der nicht konfessionell gebundenen Wohlfahrtsträger und konfessionsfreier Verbände wird hingegen an dieser Stelle völlig ausgeblendet. Das Rote Kreuz, der Arbeiter-Samariter-Bund, die Arbeiterwohlfahrt kommen hier zum Beispiel nicht vor, obwohl an anderer Stelle dem Ehrenamt eine so große Bedeutung beigemessen wird. Die CDU und die Grünen kennen die Landschaft der Wohlfahrtspflege allerdings sehr gut, umso deutlicher wird hier die ideologische Funktion der einseitigen Betonung.

Immerhin kommt in zwei Sätzen der Gedanke vor, dass es neben den guten Menschen mit den religiösen Bindungen auch gute Menschen anderer Art gibt: "Gleichzeitig sehen wir, dass viele Menschen sich keiner Religion zugehörig fühlen und ihr Wertefundament auf anderen Grundlagen aufbauen." Daraus werden jedoch keine Konsequenzen gezogen, insbesondere werden sie in keinen Dialog einbezogen! Im Integrationskapitel lautet die Erkenntnis allerdings verräterisch folgendermaßen: "Viele finden Halt und Orientierung in ihrem jeweiligen religiösen Glauben, andere gehören keiner Glaubensgemeinschaft an."

Der Koalitionsvertrag sieht eine wesentliche Prägung unserer Gesellschaft durch die christlich-abendländische Tradition und sieht eine Bereicherung durch die kulturelle Vielfalt zugewanderter Menschen. Dass es im Herzen unserer Gesellschaft eine bis zu den Griechen zurückgehende säkulare, aufklärerische und humanistische Traditionslinie gibt, bedarf anscheinend keiner Erwähnung.

"Hier wurden Chancen vergeben"

Dabei enthält der Koalitionsvertrag durchaus lobenswerte Ansätze für eine größere Berücksichtigung weltanschaulicher und säkularer Ansichten. "Er lobt die Internationalität und Vielfalt der Menschen in Hessen und will ihre Unterschiedlichkeit respektieren. Alle Menschen sollen gleiche Chancen haben und ihre Leben selbständig und frei gestalten können", zitiert Dr. Joachim Grebe, stellvertretender Vorstandvorsitzender des HVD Hessen, aus dem Koalitionsvertrag. Ob in Fragen der Gleichstellung, des Asylrechts oder der Rechte Homosexueller: das Koalitionspapier beinhaltet viele humanistische Standpunkte, vermeidet allerdings zur Enttäuschung des Verbandes eben diese Begrifflichkeiten. "Die betonte Nähe zur christlichen Kirche und die Ausblendung säkularer Organisationen wie beispielsweise des Roten Kreuzes oder anderer Wohlfahrtsverbände besorgt uns zusätzlich", ergänzt HVD Vorstandsmitglied Dr. Florian Zimmermann.

"Das Koalitionspapier betont den Wunsch nach einer stärkeren Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft. Gleichzeitig werden jedoch große Bevölkerungsteile ausgeschlossen. Hier wurden Chancen vergeben", resümiert Vorstandsvorsitzender des HVD Hessen, Carsten Werner.