BERLIN. (hpd) Wie positioniert sich die Partei Bündnis 90/Die Grünen zu religionspolitischen Grundsatzfragen und welche gesellschaftliche Funktion sieht sie in Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften? Dazu traf sich die Kommission „Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat“ der Grünen letzten Freitag zum zweiten Mal. Der HPD befragte TeilnehmerInnen der Bundesarbeitsgemeinschaft der ChristInnen (BAG) und des Arbeitskreises der Säkularen Grünen (AK).
Die ersten Treffen der Kommission am 21. Februar und am 14. März dienten zunächst der Themenauswahl. Die Kommission entschied sich für die Bereiche, die gerade gesellschaftlich diskutiert werden und beschloss Arbeitsgruppen zum kirchlichen Arbeitsrecht und zur staatlichen Finanzierung von Kirchen. Diese sollen in kompetenter Besetzung grundsätzliche Positionen für die Kommission erarbeiten. Weitere Themen, wie zum Beispiel der Status und das Recht der Religionsgemeinschaften und die Rolle von Religionen in öffentlichen Einrichtungen sollen unter anderem auch in solchen Arbeitsgruppen der Kommission bearbeitet werden.
Warum extra eine Kommission?
Für Bettina Jarasch vom Bundesvorstand, die die Kommission leitet, ist es „ein urgrünes Anliegen, verkrustete Strukturen aufzubrechen!“ Auf ihrer Website heißt es weiter: „Die Gesellschaft hat sich massiv verändert und es ist an der Zeit zu überprüfen, ob das geltende Religionsverfassungsrecht noch den angemessenen Rahmen dafür bietet. Wir sind ganz offensichtlich die einzige Partei, die willens ist, diesen Diskurs zu führen.“ Für sie geht es „bei der Frage nach Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im säkularen Staat um das Zusammenleben in der Gesellschaft, um Vielfalt und Freiheit.“
Auf grünen Parteitagen tauchten immer wieder umstrittene Anträge zu religionspolitischen Themen auf, und zwar aus den unterschiedlichsten grünen Gruppierungen. So engagiert sich zum Beispiel die BAG Christinnen und Christen seit Jahren für ein diskriminierungsfreies Arbeitsrecht in kirchlichen Einrichtungen und erarbeitet Grundsätzliches zur Ablösung von Staatsleistungen, d.h. zur Abschaffung der diversen Sonderstellungen kirchlicher Institutionen. „Teilweise sehr zum Ärger von manchen grüner ChristInnen, die sich durch unsere BAG keinesfalls vertreten sehen,“ so die BAG-Sprecherin Sybille Mattfeld-Kloth.
„Wir setzen uns seit Jahren für eine vertiefende Auseinandersetzung ein, um sich dem kirchlichen Arbeitsrecht, den Staatskirchenverträgen und dem Ethik- oder Religionsunterricht mit der gebührenden Gründlichkeit und Kompetenz widmen zu können“, ergänzt ihr Sprecher-Kollege Friedrich Battenberg. Zwar wurde deshalb bereits 2010 ein Gremium auf Bundesebene beschlossen, aber es kam immer nur zu einer Art Workshops.
Spätestens mit der Beschneidungsdebatte 2013 wurde jedoch klar, dass die Partei sich ernsthaft auf Bundesebene mit diesen Fragen auseinandersetzen muss. Die Brisanz der Auseinandersetzungen und damit der Druck, die Kommission endlich einzurichten, hatte durch die Gründung des Bundesweiten Arbeitskreis (AK) der Säkularen Grünen Anfang 2013 und den von ihnen bei der Bundes-Delegierten-Konferenz (BDK) eingereichten Anträgen zugenommen. Auf der letzten BDK beantragten sie eine Aufforderung an den Bundesvorstand, diese Kommission einzurichten und zügig mit der Arbeit beginnen zu lassen.
Die Kommissionsmitglieder (auf dem Bild v.l.n.r.): Jürgen Roth, Günter Dworek, Mariana Pinzón-Becht, Walter Otte, Friedrich Battenberg, Ulrike Gote, Sybille Mattfeld-Kloth, Jessica Messinger, Bettina Jarasch, Berivan Aymaz, Simone Peter, Katrin Göring-Eckardt, Volker Beck, Hasret Karacuban, Robert Zion, Canan Ulufer, Gerhard Schick, Sven Lehmann, Sven Giegold, Sergey Lagodinsky (Bild: B90/Die Grünen - Bundesverband)
Politische Positionen statt Glaubensfragen
„Die BAG ChristInnen hat schon viel zu Religionspolitik erarbeitet, aber gerade auf Bundesebene kam – und kommt – es immer wieder zu Verlautbarungen von Spitzengrünen, die die Privilegien der Kirchen verteidigen,“ schätzt Mariana Pinzón Becht, Sprecherin des Bundesweiten Arbeitskreis Säkulare Grüne, den Bedarf an deutlicherer Positionierung ihrer Partei ein. Der AK kann seine Sicht auf einen weltanschaulich neutralen Staat und dringenden Änderungsbedarf zur Abschaffung kirchlicher Privilegien in der Kommission einbringen: “Wir wollen eine Ordnung, in der niemand aufgrund von Weltanschauung diskriminiert oder privilegiert wird. Die individuelle Religionsfreiheit werden wir stets verteidigen, wozu auch das gemeinschaftliche Ausüben von religiösen Vorstellungen und Praktiken gehört, vor allem aber auch die Freiheit von Religion. Die Sonderrechte für religiöse Kollektive wollen wir aber abschaffen“, erklärt Mariana Pinzón Becht ihre Auffassung von „säkularem“ Denken, das eine weltanschaulich neutrale Ordnung und ein Recht für alle anstrebt. „Unser AK besteht aus Atheist*innen, kritischen Christ*innen, Agnostiker*innen, Alevit*innen und Muslim*innen, wir haben sogar eine Schamanin, eine Wicca-Anhängerin und einen freikirchlichen Priester in unserer Gruppe. Wir wollen nicht, dass Menschen auf ihre vermeintlich religiöse Identität reduziert werden. Gerade diese Vielfalt zeigt doch, wie sehr es auf politische Positionen und nicht auf Glaubensfragen ankommt. Wir arbeiten unabhängig vom weltanschaulichen Hintergrund zusammen an diesen Zielen,“ schildert Mariana Pinzón Becht die Hintergründe des AK.
Zur Ablösung der Staatskirchenverträge und gegen die Diskriminierung im kirchlichen Arbeitsrecht hatte die BAG ChristInnen 2013 bzw. 2012 ausführliche Stellungnahmen erarbeitet. Bezüglich der Novellierung des kirchenfreundlichen Paragrafen 9 des deutschen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) stehen sich BAG und AK nahe. Die Säkularen Grünen beschlossen außerdem, sich für Veränderungen bei der Vergabe von Trägerschaften auf kommunaler Ebene einzusetzen, wie es zum Beispiel in Osnabrück und Stuttgart kürzlich beschlossen wurde.
Das nächste Treffen der Kommission findet am 2. Mai statt. Für den Herbst ist ein öffentlicher Kongress zu „Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat“ geplant.
Corinna Gekeler