Was sollte für LGBTs in der Asylpolitik Europas geändert werden?
Die Asylpolitik der Europäischen Union ist insgesamt reformbedürftig. Allen voran muss die Dublin-II-Verordnung fallen und Asylsuchende sind fair auf alle EU-Mitgliedsstaaten aufzuteilen. Eine europaweite Regelung soll AsylwerberInnen zudem die Möglichkeit zur Selbsterhaltung mit legaler Arbeit geben. Das ist ein Gewinn für alle: Potenziale und Fähigkeiten werden genutzt und AsylwerberInnen können sich selbst versorgen.
Was asylsuchende LGBT-Personen anbelangt, so konnte in den letzten Jahren bereits einiges verbessert werden. Das Europäische Parlament nahm im Oktober 2011 eine Richtlinie an, die die Möglichkeit für eine Asyl-Gewährung nicht nur auf die sexuelle Orientierung, sondern auch auf Transgender-Personen erstreckt. 2013 hat es zudem eine Richtlinie verabschiedet, die LGBT-Personen besondere Verfahrensrechte zuerkennt. Dadurch haben sie etwa ein Recht auf Asyl-Beamte, die im LGBT-Bereich besonders ausgebildet sind. Außerdem hat der EuGH im November 2013 geurteilt, dass Personen, die eine wohl begründete Angst vor Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung haben, für die Zuerkennung des Asylrechts in Frage kommen. Darüber hinaus hat er festgestellt, dass von LGBT-Personen nicht erwartet werden kann, ihre Orientierung in ihrem Herkunftsstaat zu verstecken. Genau dieser Weg ist weiter zu verfolgen.
In welchen weiteren Bereichen haben Sie sich engagiert?
Mein persönlich größter Erfolg war die Verabschiedung des bereits genannten Berichts für einen EU-Fahrplan gegen Homophobie und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität.
Daneben konnten im Europäischen Parlament weitere Verbesserungen für LGBT-Personen erreicht werden. Etwa durch eine Richtlinie, die Minimalstandards für die Rechte von Verbrechensopfern festlegt. Darin wird LGBT-Personen besonderer Schutz zuerkannt, zum Beispiel, dass sie durch speziell im Bereich der sexuellen Orientierung und der Geschlechteridentität ausgebildete Personen vernommen werden.
Ein weiterer Erfolg war die Berücksichtigung von gleichgeschlechtlichen Beziehungen in einer Richtlinie zur gegenseitigen Anerkennung von Testamenten. So kann sich ein Staat nicht mehr damit hinausreden, gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht anzuerkennen, wenn das Paar in einem anderen Staat rechtsgültig verheiratet ist und dort auch erbrechtliche Vorkehrungen getroffen hat.
In den Verhandlungen zum sogenannten Mehrjährigen Finanzrahmen 2014-2020 hat das Europäische Parlament ausgehandelt, drei Multi-Millionen-Fonds der EU neben anderen Bereichen auch auf LGBT-Agenden abzustellen.
Seit dem Jahr 2009 hat das Europäische Parlament 118 Berichte und Resolutionen verabschiedet, die die sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität in Bereichen wie Arbeit, Gesundheit, Asyl oder Außenpolitik berühren. Elf dieser Resolutionen stellten ausschließlich auf die Menschenrechte von LGBT-Personen ab.
Sie sind als hervorragende Netzwerkerin bekannt. Wie funktioniert das konkret?
Die LGBT Intergroup ist innerhalb des Europäischen Parlaments (mit 175 Mitgliedern aus 25 Mitgliedsstaaten und den sechs wichtigsten Europa-Fraktionen) sehr gut vernetzt. Aber auch außerhalb pflegen wir Kontakt zu den verschiedenen EU-Delegationen, hauptsächlich in Ländern, in denen die Rechte der LGBT-Personen in Gefahr sind (z.B. Nigeria und Uganda). Außerdem ist die LGBT Intergroup in regem Kontakt mit LGBT-AktivistInnen und Menschenrechts-NGOs weltweit.
Während dieser Legislaturperiode hat die Intergroup über hundert offizielle Briefe, über 40 parlamentarische Anfragen an die Europäische Kommission und/oder den Rat, 150 Presseaussendungen und mehr als 60 Gruß- bzw. Unterstützungsvideos an AktivistInnen verschickt. Die Intergroup war zudem bei 23 Pride Paraden präsent, und hat sich vor Ort jeweils mit LGBT-AktivistInnen und Menschenrechts-NGOs getroffen. Die Kontakte zu Abgeordneten in den EU-Mitgliedsstaaten verlaufen weniger über die Intergroup, sondern hauptsächlich über die einzelnen Parlamentsmitglieder (MEPs), die in ihren jeweiligen Heimatländern gut vernetzt sind.
Zu Ihrem Einsatz für Menschenrechte gehört auch entschiedenes Auftreten gegen Initiativen wie „One of Us“ Welche aktuellen Entwicklungen sehen Sie hier auf uns zukommen? (siehe hpd)
Initiativen wie „One of Us“ fordern ein Verbot von EU-Unterstützungen für jegliche Maßnahmen, die den Zugang zu Gesundheitseinrichtungen ermöglichen und die auch sichere Abtreibung anbieten. Das bedeutet, dass unter dem Vorwand des Schutzes des Lebens grundlegende Frauenrechte beschnitten werden sollen. 120 Millionen Euro, die die Union derzeit im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit für den Kampf gegen Müttersterblichkeit ausgibt, müssten nach deren Willen ersatzlos gestrichen werden. Dadurch würde das Millennium-Entwicklungsziel zur Reduzierung der Müttersterblichkeit der Vereinten Nationen in weite Ferne rücken und die Todesrate schwangerer Frauen in Asien, Afrika und Lateinamerika nach oben schnellen.
Dies wäre auch für mich persönlich ein herber Rückschlag, setze ich mich doch seit der UNO-Weltbevölkerungskonferenz in Kairo 1994, bei der ich als NGO-Delegierte teilgenommen habe, intensiv für eine Senkung der Müttersterblichkeit und gute Gesundheitseinrichtungen ein. Die Europäische Kommission muss an der langjährigen EU-Entwicklungshilfepolitik festhalten und deswegen derartigen Forderungen eine deutliche Absage erteilen.
Es ist also zentral, dass entschieden gegen derartige Bewegungen aufgetreten wird. Wie stark sie künftig sein werden, hängt vor allem vom Ausgang der EU-Wahl und der weiteren Entwicklung der EU ab. Wird nationalistischen und erzkonservativen Bewegungen durch eine verfehlte Wirtschafts-, Sozial und Bildungspolitik weiterhin Vorschub geleistet, könnten „One of us“ und Co. künftig erstarken und weitere Anhänger für ihre verqueren Ansichten gewinnen.
Haben Sie hauptsächlich Konservative, Religiöse und Kirchen als Gegner?
Ohne die von Ihnen genannten Gruppen pauschal in eine Ecke stellen zu wollen, kommen unsere Opponenten hauptsächlich aus dem (erz-)konservativen und religiösen Lager. Dabei reicht die Bandbreite von angemessener Kritik bis Beschimpfungen und Drohungen. Die Gruppierungen treten dabei vielfach sehr gut organisiert auf und haben rund um die Verabschiedung meiner LGBT-Roadmap nicht nur meinen Email-Account durch zehntausende Spammails lahmgelegt, sondern stecken vermutlich auch hinter einem Hackerangriff auf meine Website.
Warum ist es wichtig, am 25.Mai zur Wahl zu gehen?
Das Europäische Parlament ist die einzige direkt von den Bürgerinnen und Bürgern gewählte EU-Institution. Die Chance, dafür ihre Stimme abgeben zu können, sollten alle Wahlberechtigten nutzen. Als Grüne möchte ich noch anfügen: Bei der kommenden Wahl geht es nicht darum, der Union einen Denkzettel zu verpassen, wie von rechten Parteien propagiert wird. Es geht darum, die Union besser zu machen: grüner, sozialer, demokratischer, solidarischer!
Es geht darum, die destruktiven erzkonservativen und nationalistischen Kräfte nicht erstarken zu lassen und ein Zeichen gegen Homophobie und Fremdenfeindlichkeit zu setzen. Wir können und müssen die EU, die derzeit viele Hoffnungen und Erwartungen enttäuscht und oft als Bedrohung statt als Versprechen gesehen wird, ändern.
Deswegen mein Aufruf für eine hohe Wahlbeteiligung: Nutzen wir die Chance, die wir mit Europa haben, gehen wir zur Wahl!
Das Interview führte Corinna Gekeler
Bislang in der Interview-Serie zur Europawahl erschienen:
Sophie in ´t Veld: Europa-Abgeordnete der niederländischen linksliberalen D66 und Vorsitzende der Europäischen Plattform für Säkularismus in der Politik (EPPSP)
Dr. Margret Steffen: Gewerkschaftssekretärin für Gesundheitspolitik in der ver.di-Bundesverwaltung und Expertin für gewerkschaftliche Europapolitik
Werner Hager: Sprecher der Säkularen Grünen NRW, der sich insbesondere mit Europapolitik befasst
Elfriede Harth: Katholische Feministin, die sich für sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung engagiert
Conny Reuter: Generalsekretär von SOLIDAR, Co-Präsident der Liasion-Gruppe der europäischen Netzwerke beim Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und bis 2013 Präsident der Europäischen Sozialplattform.
Rob Buitenweg: Vorstandsvorsitzender des Nederlands Humanistisch Verbond und im Vorstand der European Humanist Federation (EHF).
Karin Heisecke: Aktivistin zu sexueller und reproduktiver Selbstbestimmung, insbesondere auf europäischer Ebene.
Dr. Klaus Sühl: Leiter des Brüssel-Büros der Rosa Luxemburg Stiftung und ehemaliger Vorsitzender vom Humanistischen Verband Deutschland