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Perspektiven des organisierten Humanismus

Worum geht es? Hiorth stellt zunächst dar, dass der neue amerikanische “säkulare Humanismus” nach 1945 denjenigen ethischen Humanismus, der als “Humanismus der Juden” galt, verdrängt habe. Der “säkulare Humanismus” habe auch in der IHEU die Oberhand gewonnen.

Nun ist hier anzumerken, dass der deutsche ethische Kulturhumanismus nach 1892 den konzeptionellen Boden errichtete, auf dem der HVD heute praktisch im Wesentlichen fußt. Besonders betrifft dies den praktischen Humanismus, etwa (in den damaligen Begriffen) “weltliche Schulen”, “Lebenskunde”, “weltliche Seelsorge”, “Mutterschutz”… Selbst der später konservativ vereinnahmte “Muttertag” wird hier vorgeschlagen.

Diesen ethischen Humanismus hatte der Deutsch-Amerikaner Felix Adler in Berlin am 7. Mai 1892 öffentlich vorgetragen. Zu diesem Zeitpunkt gab es hier schon seit fünf Jahren organisierte Humanisten. Am 16. September 1887 hatte der ehemalige freireligiöse Prediger Georg Siegfried Schäfer (1833–1904) die Berliner Humanistengemeinde als eine Abspaltung bürgerlicher Mitglieder aus der dortigen Freireligiösen Gemeinde gegründet, die zur Keimzelle der Deutschen Gesellschaft für Ethische Kultur wurde, mit Pendants in Österreich und England.

Der wichtigste Grund, diesen Humanismus im HVD nicht zu rezipieren, war, dass er in der Freidenkerbewegung und im “säkularen Humanismus” als “religiös” galt, was er aber gar nicht war. Es handelte sich bei dieser Gruppe vorwiegend um säkularisierte Juden. Diese Humanisten habe ich in den “Dissidenten” umfänglich vorgestellt. Sie erfuhren erst jüngst endlich einige größere Aufmerksamkeit, wesentlich befördert durch das Buch von Hilde Schramm “Meine Lehrerin Dr. Dora Lux”.

Schon allein diese Geschichte legt es nahe, auf den positiven Gebrauch des Begriffs “säkularer Humanismus” im HVD zu verzichten. Er wird ohnehin im Wesentlichen gebraucht für eine Weltanschauung, die ihre nicht-religiöse Basis betont. Das Adjektiv “säkular” hat einen laisierenden Beiklang: etwas verweltlichen, aus dem Besitz der Religion, der Kirche nehmen. So entsteht der Eindruck, als sei der Humanismus eine Säkularisierung des Christentums.

Das will ich nun nicht weiter vertiefen und verweise auch hier auf den schriftlichen Text, nur so viel: Der “säkulare Humanismus” erzeugt den Eindruck – wie Gita Neumann Ende 1991 treffend in der 17. Ausgabe der Verbandszeitung diesseits kritisierte – Humanismus sei ein wissenschaftlich-rationales Weltmodell. Diese Vorstellung habe alle anderen traditionsgebundenen Formen des Erkennens geopfert mit dem Ergebnis des Misstrauens, der Abwertung, ja der Diffamierung gegenüber (wie Neumann sie nennt) “qualitativ-innerlichen und körperlich-sinnlichen Erkenntnisquellen”.

Wie dieser Einwurf von Gita Neumann ist auch die Darstellung von Peter Groth wenig beachtet worden, auch durch mich selbst nicht. Er schreibt in der gleichen 17. Ausgabe der diesseits über Renaissance-Humanismus. Er gibt eine kurze, ebenso belesene wie historische Begriffsbestimmung von Humanismus, inklusive Gründe für dessen Niederlage in der Reformation und unter Rückgriff auf die lateinischen Ursprünge (humanitas) bei Cicero.

Wahrscheinlich liegt die Ursache der mangelnden Aufnahme dieses Textes im HVD darin, dass man meinte, “Bild vom Menschen” meine Ästhetik, dabei gibt der Autor ein weltanschauliches “Menschenbild”. Dieser vergessene Text von Groth hat auch eine ganz andere Sprache als im “säkularen Humanismus” üblich. Die von Cicero hergeleiteten “Eigenschaften” des Humanismus – eine sehr schöne Umgehung der Worte “Funktionen” bzw. “Prinzipien” – entsprechen der heutigen Forschung (lediglich die “Barmherzigkeit” fehlt):

Er bestimmte Humanismus als

  • sittliche und geistige Bildung,
  • menschlichen Edelmut, Würde und Adel menschlichen Geistes, Ehrbarkeit,
  • Witz, Geschmack, Humor, Anmut, Eleganz, Feinsinnigkeit[,]
  • Geist, Bildung, Erziehung, Urbanität,
  • innere Ausgeglichenheit,
  • Freundlichkeit, Güte, Milde,
  • Menschenfreundlichkeit, Gastfreundlichkeit, Freigebigkeit.

Abschließend möchte ich das Gesagte in eine Empfehlung münden lassen:

Der HVD zieht Gewinn und Einfluss nicht aus sich selbst heraus, sondern durch seine Beiträge zur Humanisierung und deren praktischen und geistigen Bezug auf einen Humanismus, der die alte Freidenkerei und den “säkularen Humanismus” hinter sich lässt. Das sollte ihn selbstbewusster und zugleich bescheidener machen, aber unbedingt auffordern, sich auf das, was nun an Dienstleistungen stattfindet, einen humanistischen Reim zu machen; Stichwort: Humanistik.

Im Gefüge des organisierten Humanismus, der viel mehr ist als der HVD und sein Umfeld, muss er allerdings seinen Platz besser bestimmen und Abschied nehmen von der Vorstellung, Humanismus sei etwas vorrangig für Konfessionsfreie und auf das beschränkt, was alternativ zu Religionen ist. Humanismus und der HVD finden der Menschen wegen statt, gar nicht oder mehrere Stufen darunter, als Konkurrenz zu Kirchen bzw. Religionen.

 

Die Rede gibt es auch als hpd-Video: