(hpd) Gibbons sind die kleinsten unserer nahen Verwandten, der Menschenaffen. Jeden Morgen beginnen die Pärchen mit einem aufeinander abgestimmten Duettgesang. Von ihm lässt sich manches auf die Entstehung des menschlichen Gesangs rückschließen. Am Anthropologischen Institut der Universität Zürich erforscht man die Gibbons seit einigen Jahren. Eine Ausstellung und eine Begleitbroschüre mit wunderbaren Fotos informieren über diese Erkenntnisse.
Die Gibbons haben eine besondere Art der Fortbewegung entwickelt: das Schwinghangeln. Mit ihren Armen, die proportional länger sind als die aller anderen Menschenaffen, schwingen sie sich – die eine Hand hält fest, die andere greift vor – den Ast entlang oder von Baum zu Baum. Flugphasen von bis zu zehn Metern können zwischendurch eingebaut werden. Beim Hangeln kommt es zu einer Drehbewegung des Oberkörpers in Schulterhöhe ähnlich dem Drehen der Hüfte beim menschlichen Gang. Diese beiden Fortbewegungsarten weisen daher grundsätzliche Gemeinsamkeiten auf.
Weil die enorm langen Arme es den Gibbons unmöglich machen, sich wie die anderen Menschenaffen mit Händen und Füßen am Boden fortzubewegen, bringen sie dort einen aufrechten Gang zur Anwendung. 18 Prozent der Fortbewegung geschieht in dieser Weise. Als einzige unter den Menschenaffen sind die Gibbons hierin den Menschen wiederum sehr ähnlich. Anders als die Menschen beugen die Gibbons aber nicht die Hüften und Füße, um den Körperschwerpunkt zu verlagern, sondern Hüfte und Kniegelenke.
Die kleinen Menschenaffen leben meist in monogamen Familienverbänden. Fremd gehen sie kaum. Unter den Säugetieren kommt eine so enge Familienbindung relativ selten vor, bei nur drei Prozent aller Säuger.
“Hier wohne ich”, das sagen sich Gibbons mit Gesang. Im Urwald mit seinem dichten Blattwerk und Lianen sind akustische Signale vorteilhafter als optische oder solche mit Geruch. Sie sind durchdringender und nicht zu überdecken.
Männchen und Weibchen singen unterschiedliche Strophen, die nach festen Regeln koordiniert werden. Sologesänge dienen wahrscheinlich dazu, Territorien und Ressourcen zu verteidigen, oder zur Partnersuche. Die eindrucksvollen Duettgesänge unterstützen die Partnerbindung. Wer so gemeinsam singt, der bleibt beieinander.
Die Gesänge werden nicht gelernt, sie werden vererbt. Das Repertoire der Männchen ist dabei größer als das der Weibchen. Es reicht zum Beispiel bei den Nördlichen Weißwangengibbons von einzelnen Heultönen über rhythmische hohe Staccatolaute bis hin zu Tonreihen mit starken Frequenzsprüngen. Die Gesänge der Weibchen bestehen aus einer Folge sich in Tonhöhe und Tempo steigernder Laute. Nachdem das Männchen begonnen hat, hören zu lassen, was es gesanglich drauf hat, setzt auch das Weibchen ein und vervollständigt den nun gemeinsamen Gesang, bei dem die beiden erst abwechselnd singen und schließlich zugleich. Die Züricher Wissenschaftler vermuten, dass sich die Gesänge der Gibbons aus den Ruflauten der Männchen entwickelten. Und dass sich Ähnliches beim Entstehen des menschlichen Gesangs wiederholt hat.
Artzuweisungen unter den Gibbons erfolgen nach der unterschiedlichen Fellfärbung und den territorial variierenden Gesängen. Die Systematik ist derzeit kein populäres Forschungsthema. Die Folge ist, dass es ohne Herkunftsangaben der Individuen besonders bei Zootieren problematisch wird, Artbestimmungen vorzunehmen. Das stellt eine Wiederaussiedlung in Frage, wenn man nicht einmal sagen kann, welcher Art ein Individuum angehört. In den Zoos stammen Gibbons mittlerweile von Elterntieren unterschiedlicher Arten ab.
Mit ihren 19 Arten machen die Gibbons 70 Prozent aller Menschenaffen aus. Unter ihnen findet man aber auch die am meisten bedrohten Menschenaffenarten, ja die seltensten Affen überhaupt. Nur noch etwa 20 Tiere der Hainan-Schopfgibbons leben einzig und allein auf der gleichnamigen Insel im südchinesischen Meer, im Bawangling National Nature Reserve. Nach den Gefährdungskriterien der Roten Liste der World Conservation Union gelten 18 der 19 Gibbonarten als bedroht. Vor allem durch die Zerstückelung und den Verlust des Lebensraums.
Mindesten seit der Zhou-Dynasie in China, die von 1046 bis 256 vor der Zeitenwende dauerte, ist das Halten von jungen Gibbons als Haustieren bekannt. Aus jener Zeit stammt eine Erkenntnis, die auch auf manche heutige Zootiere zutrifft: “Wenn Du einen Gibbon in einen Käfig steckst, könntest Du Dir ebenso gut ein Schwein halten. Nicht weil der Gibbon seine Geschicklichkeit oder Gewandtheit verlöre, sondern weil er dann keine Gelegenheit mehr hat, diese zu zeigen.”
Die Ausstellung im Anthropologischen Museum Zürich läuft noch bis zum 10. April 2015, Informationen dazu hier - Gesangbeispiele gibt es hier.
Thomas Geissmann: Gibbons – die singenden Menschenaffen / Gibbons – the Singing Apes. Hrsg. Anthropologisches Institut und Museum der Universität Zürich, Zürich 2014, . Bestellung über museum@aim.uzh.ch, Preis CHF 10