Im Oktober 1933 bekräftigte Hitler seine anti-atheistische Haltung erneut: “Und nicht minder haben wir aufgenommen den Kampf gegen die Zersetzung unserer Religion. Ohne daß wir uns irgendeiner Konfession verpflichteten, haben wir doch wieder dem Glauben die Voraussetzung gegeben, weil wir der Überzeugung waren, daß das Volk diesen Glauben benötigt und braucht. Wir haben daher den Kampf gegen die Gottlosenbewegung nicht mit ein paar theoretischen Erklärungen aufgenommen, wir haben sie ausgerottet.”
Dies waren keine leeren Floskeln. Der Vorsitzende der atheistischen Freidenkerbewegung, Max Sievers, wurde im KZ inhaftiert und 1944 hingerichtet. Am 20. Juli 1933 hatte Hitler mit dem Vatikan das Reichskonkordat abgeschlossen, das der katholischen Kirche großzügige Privilegien zugestand und bis zum heutigen Tage Gültigkeit besitzt. Anlässlich des Überfalls auf die Sowjetunion im Juni 1941 erflehte Hitler in einer Ansprache göttlichen Beistand: “Ich habe mich deshalb heute entschlossen, das Schicksal und die Zukunft des Deutschen Reiches und unseres Volkes wieder in die Hand unserer Soldaten zu legen. Möge uns der Herrgott gerade in diesem Kampfe helfen!”
Ausgerechnet in einem Beitrag über das Attentat vom 20. Juli 1944 den Nationalsozialismus als atheistisch zu bezeichnen, ist besonders töricht. Noch am selben Tag hatte Hitler in einer Radioansprache an das deutsche Volk Gott für sein Überleben gedankt: “Ich selbst bin völlig unverletzt bis auf ganz kleine Hautabschürfungen, Prellungen oder Verbrennungen. Ich fasse es als eine Bestätigung des Auftrags der Vorsehung auf, mein Lebensziel weiter zu verfolgen, wie ich es bisher getan habe.”
Aber auch abseits von Hitler konnte kaum der Eindruck entstehen, dass es sich beim Nationalsozialismus um eine atheistische Ideologie handele. Die Bezeichnung “Tausendjähriges Reich” war direkt der Offenbarung des Johannes entnommen. Goebbels, der aus einem katholischen Elternhaus entstammte, plante sogar, Priester zu werden. Noch im Frühjahr 1945 trieb er die Soldaten der Wehrmacht dazu an, in den Kampf zu gehen, “wie in einen Gottesdienst”.
Dass eine renommierte Zeitung wie die WELT auf eine Geschichtsfälschung hereinfällt, die dazu ersonnen wurde, tausende Naziverbrecher vor Strafverfolgung zu schützen, ist traurig genug. Beschämender ist aber, dass dieselbe Lüge auch in der jüngeren Vergangenheit dazu verwendet wurde, Hass zu schüren. In seiner berüchtigten Rede zum Tag der deutschen Einheit 2003 hatte der CDU-Politiker Martin Hohmann Atheisten scharf attackiert: “Mit vollem Recht aber kann man sagen: Die Gottlosen mit ihren gottlosen Ideologien, sie waren das Tätervolk des letzten, blutigen Jahrhunderts. Diese gottlosen Ideologien gaben den ‘Vollstreckern des Bösen’ die Rechtfertigung, ja das gute Gewissen bei ihren Verbrechen. So konnten sie sich souverän über das göttliche Gebot ‘Du sollst nicht morden’ hinwegsetzen. Ein geschichtlich bisher einmaliges millionenfaches Morden war das Ergebnis.”
Doch nicht diese Passage der Rede hatte für einen Sturm der Entrüstung gesorgt, sondern seine Feststellung, dass vor allem Juden den politischen Terror in der Sowjetunion vorantrieben. Sie stünden daher moralisch auf einer Stufe mit den Nazis selbst. Hohmann entschärfte diese Analogie sogleich, indem er darauf verwies, dass die Juden in der kommunistischen Partei Atheisten waren – genauso wie die Nazis. Hier zeigt sich die Perfidie des christlich-konservativen (und islamistischen) Arguments, dass die verbrecherischsten Ideologien der Geschichte, nämlich die des Kommunismus und Nationalsozialismus, atheistisch seien, wohingegen religiöse Verbrechen weit seltener auftreten – und wenn, dann nur im Widerspruch zu den eigentlich friedlichen Wurzeln der Heiligen Schriften.
Wir Atheisten mögen diese Behauptung als gegen uns gerichtete Volksverhetzung wahrnehmen. Tatsächlich stellen wir nur die Kollateralschäden in einer viel tiefer greifenden Auseinandersetzung dar. Wo Nazis zu Atheisten erklärt werden, wird die christliche Verantwortung für den Holocaust ausgeblendet und Antisemitismus erleichtert. Da dieser nach 1945 aber anrüchig geworden ist, müssen die Rechten vorsichtiger argumentieren. Wer Juden einfach als Atheisten bezeichnet, kann seine wahren Intentionen verschleiern. Wo die Nazis noch gegen den jüdischen Bolschewismus hetzten, können Hohmann und Co. Schlicht darauf verweisen, dass die jüdischen Mitbegründer des Sozialismus wie Karl Marx, Ferdinand Lassalle und Moses Hess Atheisten waren.
Weitere Vertreter des konservativen Christentums wie Bill Donohue, Otto von Habsburg oder Alexander Solschenizyn argumentierten wie Hohmann. Sie warfen dem Atheismus vor, für Werteverfall und politische Massenmorde verantwortlich zu sein. Bill Donohue verfestigt regelmäßig das Stereotyp der jüdisch kontrollierten Medien. Der verhinderte Kaiser Otto von Habsburg blendete die österreichische Täterrolle von 1938–1945 aus und warnte, dass Juden und Afro-Amerikaner im Verbund die Macht der Weißen in der US-Regierung gebrochen hätten. Alexander Solschenizyns antisemitische Argumentationen erfreuen sich im immer stärker nationalistisch aufgeheizten Russland großer Beliebtheit. Dessen jüngste Expansionsgelüste in der Ukraine erlebt der treue Putin-Freund nicht mehr mit.
Auch die Antisemitismuswelle, die gerade durch Deutschland schwappt und hauptsächlich von den muslimischen Bevölkerungsteilen getragen wird, verdient eine genauere Betrachtung. In der islamischen Welt erfreut die Behauptung, atheistische Zionisten und atheistische Nazis hätten sich verbündet, um den Staat Israel zu erschaffen, sich großer Beliebtheit. Durch politische Repression und einzelne Gewalttaten (der Holocaust wird geleugnet) hätte Hitler die europäischen Juden zur Ausreise nach Palästina und zur Gründung eines Nationalstaats animiert. Da man nur gegen atheistische Zionisten, nicht aber gegen fromme Juden argumentiere, könne man auch nicht antisemitisch sein, so die muslimische Selbstvergewisserung.
Natürlich ist Lars-Broder Keil nicht vorzuwerfen, diese Stereotype intentional zu verbreiten, schon allein, weil die Behauptung sich nicht über den gesamten Artikel erstreckt, sondern nur beiläufig erwähnt wird. Die WELT täte jedoch gut daran, künftig Autoren zu beschäftigen, die sich mit dem Nationalsozialismus nicht nur oberflächlich auskennen und daher auch nicht in den Fallstricken rechtsextremer Propaganda verfangen.
Meine Mail, die die Redaktion auf den Fehler hinweist, blieb bislang unbeantwortet.
Dokument:
Aufsatz Heinrich Himmlers 1936 : “Die SS als antibolschewistische Kampforganisation”
“Wie lautet dein Eid?”
Die Antwort ist: “Wir schwören dir, Adolf Hitler, als Führer und Kanzler des Deutschen Reiches Treue und Tapferkeit.
Wir geloben dir und den von dir bestimmten Vorgesetzten Gehorsam bis in den Tod. So wahr uns Gott helfe!”
Die zweite Frage lautet: “Also glaubst Du an einen Gott?”
Die Antwort lautet:“Ja, ich glaube an einen Herrgott.”
Die dritte Frage lautet:“Was hältst du von einem Menschen, der an keinen Gott glaubt?”
Die Antwort lautet:"Ich halte ihn für überheblich, größenwahnsinnig und dumm; er ist nicht für uns geeignet.
Ich habe Ihnen diese drei Fragen und Antworten mitgeteilt, um damit eindeutige unsere Stellung zur Religion darzutun. Seien Sie überzeugt, wir wären nicht fähig dieses zusammmengeschworene Korps zu sein, wenn wir nicht die Überzeugung und den Glauben an einen Herrgott hätten, der über uns steht, der uns und unser Vaterland, unser Volk und diese Erde geschaffen und unseren Führer geschickt hat. Wir sind heilig davon überzeugt, daß wir nach den ewigen Gesetzen dieser Welt für Jede Tat, für jedes Wort und für jeden Gedanken einzustehen haben, daß alles, was unser Geist ersinnt, was unsere Zunge spricht, und was unsere Hand vollführt, mit dem Geschehen nicht abgetan ist, sondern Ursache ist, die ihre Wirkung haben, die im unentwegten, unentrinnbaren Kreislauf zum Segen oder Unsegen auf uns selbst und unser Volk zurückfällt. Glauben Sie, Menschen mit dieser Überzeugen sind alles andere als Atheisten. Wir verbitten uns aber, deswegen, weil wir uns als Gemeinschaft nicht für diese oder jene Konfession, nicht für irgendein Dogma festlegen, oder auch nur von irgendeinem unserer Männer dieses verlangen, unter Mißbrauch des Wortes Heide als Atheisten verschrien zu werden.