In den letzten Jahrzehnten häuften sich die Vorwürfe gegen den Psychotherapeuten und Priester Tony Anatrella. Neben seiner homophoben Agenda, die versucht, Homosexuelle aus Ämtern in der katholischen Kirche fernzuhalten, wurde er mehrfach sexualisierter Übergriffe beschuldigt. Seit 2018 darf er keine priesterlichen Aufgaben mehr ausführen. Nun soll Anatrella vor ein Kirchengericht, weil er Männern versprochen hatte, sie mittels sexueller Handlungen mit ihm von "Pseudo-Homosexualität" zu heilen.
Bekannt wurde Tony Anatrella, weil er sich im Jahr 1999 gegen den "Zivilen Solidaritäspakt" einsetzte; eine Form der Partnerschaft, die zum Beispiel die gemeinsame steuerliche Veranlagung regelte und von hetero- wie homosexuellen Paaren eingegangen werden konnte. Bis 2013 war es die einzige Möglichkeit für homosexuelle Paare, ihre Partnerschaft eintragen zu lassen. Im Jahr 2000 arbeitete Anatrella noch am kirchlichen Projekt "Kampf gegen die Pädophilie" (Lutter contre la pédophilie) mit. Später, im Jahr 2005, setzte sich Anatrella als Vatikan-Berater für das Verbot Homosexueller in kirchlichen Ämtern ein. Tony Anatrella, der sich als zölibatär lebender Priester immer wieder in Büchern über Ehe und Sexualität äußerte, warf Homosexuellen unter anderem vor, eine "unvollständige und unreife Sexualität" zu haben.
Bereits 2001 soll ein Betroffener sexueller Übergriffe Anatrellas sich hilfesuchend an den damaligen Pariser Erzbischof gewandt haben und ignoriert worden sein. Der Betroffene, Daniel Lamarca, ging schließlich 2006 mit seinen Vorwürfen an die Öffentlichkeit. Er erklärte, sich bereits im Jahr 1987 in die Behandlung Anatrellas begeben zu haben. Dieser habe ihn mittels sexueller Handlungen mit ihm von einer "Pseudo-Homosexualität" heilen wollen.
2016 meldeten sich weitere Betroffene und berichteten von sexuellen Übergriffen von Masturbation bis hin zur Vergewaltigung durch den Priester und Psychotherapeuten. 2017 leitete der Pariser Erzbischof Michel Aupetit eine kirchliche Untersuchung ein, die darin mündete, dass Anatrella seit 2018 keine priesterlichen Aufgaben wie das Halten von Messen oder die Abnahme von Beichten mehr durchführen durfte. 2019 meldete sich ein weiterer Betroffener, der zur Tatzeit erst 14 Jahre alt gewesen sein soll.
Obwohl seit 20 Jahren Vorwürfe erhoben wurden und sich auch Geistliche wie Fr. Philippe Lefebvre mit Warnungen zu Anatrellas Verbrechen an ihre Vorgesetzten gewandt haben wollen, soll Anatrella erst jetzt vor ein kirchliches Gericht gestellt werden. Zusammensetzung des Gerichts, Verhandlungsbeginn und ob eine Zusammenarbeit mit weltlichen Behörden wie der Polizei geplant ist, ist nicht bekannt.