Rezension

Pascal Bruckners neuer Essay über die "Konstruktion des weißen Sündenbocks"

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Der bekannte französische Essayist Pascal Bruckner, ein flammender Anhänger von Aufklärung, Laizität und Menschenrechten, kritisiert in seinem neuen Essay "Ein nahezu perfekter Täter" die "Konstruktion des weißen Sündenbocks". In bestimmten Erscheinungsformen wie etwa des identitären Anti-Rassismus sieht er das Umschlagen in einen Obskurantismus, was bei aller polemischer Darstellungsweise für eine reale Gefahr eben auch für Aufklärung, Laizität und Menschenrechte steht.

Ein neues Feindbild kann man nicht nur in identitätslinken Kreisen ausmachen, wobei das Gemeinte auch schon wieder zur Karikatur und zum Stereotyp geworden ist: der "alte, weiße Mann". Er wird für Frauendiskriminierung, Neo-Kolonialismus und Rassismus verantwortlich gemacht. Dagegen schreibt Pascal Bruckner in seinem neuen Buch "Ein nahezu perfekter Täter. Die Konstruktion des weißen Südendbocks" an.

Der Autor ist als Essayist in Frankreich bekannt, mittlerweile liegen auch einige seiner Bücher in deutscher Übersetzung vor. Darin erweist er sich als Anhänger der Aufklärung und des Laizismus wie der Menschenrechte und des Universalismus. Richteten sich seine kritischen Einwände früher eher gegen rechts, so gehen sie heute eher gegen links. Dies hat nichts mit einer Änderung der eigenen Grundausrichtung zu tun, Bruckner wendet sich nur gegen die jeweils dominanten Diskurse, was ihn dann auch zu einem konsequenten Non-Konformisten macht. Bei seinem neuen Buch hat man es mit einem Groß-Essay zu tun, nicht mit einem inhaltlich stringenten Werk.

Cover

Diese Ausrichtung sollte bei der Lektüre klar sein, will man als Leser nicht irritiert werden. Gleichwohl gibt es eine klare Ausgangsposition wie eine thematische Schwerpunktsetzung. Es geht Bruckner um folgende Inhalte: "Den drei Diskursen Neofeminismus, Antirassismus und Antikolonialismus gilt der nunmehr auf seine Hautfarbe reduzierte, weiße Mann als Täter, verantwortlich für sämtliche Übel der Welt" (S. 13). Das eigentlich legitime Anliegen in den genannten Bereichen schlage um in Obskurantismus, was zur großen Freude der Reaktionäre geschehe. So heißt es dann auch: "Wenn Emanzipation sich nicht mehr von Unterdrückung unterscheiden lässt, dann ist in der Bewegung, die sich 'fortschrittlich' nennt, etwas faul" (S. 23). Und genau dies will Bruckner anhand der erwähnten Themenfelder herausarbeiten. Dabei listet er viele Beispiele auf und kommentiert diese im aufklärerischen Sinne. Mitunter hätte er die Berechtigung mancher Kritik ausführlicher betonen können, um dann den Kipppunkt in den Obskurantismus hinein stärker zu verdeutlichen.

Dies macht der Autor zwar durchaus, wofür folgender Satz steht: "Kritik am Sexismus bleibt notwendig, und heute stehen sich zwei gegensätzliche Ansätze gegenüber: Einer, der auf Rache aus ist und so prozesswütig wie argwöhnisch auftritt, und ein anderer, der eher auf gemeinsamen Werten als auf Spaltungen gründet" (S. 129). Indessen hätte er den erstgenannten Aspekt auch stärker hervorheben können, um nicht als Relativerer von bedenklichen Zuständen zu erscheinen. Denn ihm geht es durchweg um die jeweiligen Folgen der kritisierten Positionen, würden die doch mitunter die verworfenen Prägungen unter anderen Vorzeichen reproduzieren. Dies wird anhand des "Anti-Rassismus" verdeutlicht: "Es gibt mehrere Arten von Antirassismus, von denen bloß eine das Spiegelbild des Rassismus ist." Und weiter: "In ihrer Mehrheit verteidigt die Linke mit Zähnen und Klauen identitätsbasierte Zuschreibungen, die sie einst ablehnte, und überlässt die Fackel der Freiheit und der Laizität der Rechten, wodurch diese Begriffe in Misskredit gelangen" (S. 175 f.).

Entschieden plädiert Bruckner für das Desinteresse an der Hautfarbe als ethnischem Horizont, müsse man doch an der Erweiterung der menschlichen Familie und nicht auf ewig vergangenen Unglücken orientiert sein. Gleichwohl gehört auch die Aufmerksamkeit dafür zu den notwendigen Einsichten, so darf man kritisch kommentieren, um ein kritisches Bewusstsein auch für die Gegenwart zu entwickeln. Der Autor liefert über all diese Gesichtspunkte hinaus noch wichtige Reflexionen, sei es, dass er für eine multiethnische, aber nicht für eine multikulturelle Gesellschaft votiert, sei es, dass er die einseitige Darstellung der Geschichte der Sklaverei kritisiert, sei es, dass er den kursierenden Opferkult in der westlichen Welt verurteilt. Bruckner warnt davor, die Werte des Westens zu verwerfen. Denn bei aller notwendigen Kritik seien die dort entwickelten aufklärerischen und menschenrechtlichen Prinzipien eben auch für kommende Zivilisationen weiterhin wichtig. Genau diese Auffassung macht das Buch zu einem reflexionswürdigen Werk.

Pascal Bruckner, Ein nahezu perfekter Täter. Die Konstruktion des weißen Sündenbocks, Berlin 2021, Edition Tiamat, 327 Seiten, 26 Euro

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