2021 ging das "weltliche Trauerportal" an den Start. Zum "Totensonntag" am kommenden Wochenende, an dem evangelische Christen ihrer Verstorbenen gedenken, sprach der Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) Michael Schmidt-Salomon mit Wolfgang Sellinger, dem Begründer des Trauerportals, und dessen Pressesprecherin Assunta Tammelleo über die Entwicklung einer humanistischen Trauerkultur und die besondere Rolle, die der Humor dabei spielen kann.
Michael Schmidt-Salomon: Wolfgang, du bist in der säkularen Szene insbesondere durch deine "Galerie der Kirchenkritik" bekannt geworden. Was hat dich dazu gebracht, nun auch noch ein Trauerportal für Humanistinnen und Humanisten auf den Weg zu bringen?
Wolfgang Sellinger: Ich habe mir als weltlich denkender Mensch schon immer Gedanken um Tod und Sterben gemacht, weshalb ich 2014/2015 auch die "Kampagne für das Recht auf Letzte Hilfe" unterstützt habe. Vermutlich wäre ich jedoch ohne die schwerwiegende Erkrankung meiner Frau Ingrid niemals dazu gekommen, ein solches Trauerportal zu entwickeln.
Bei Ingrid stellten sich damals nach einer Herz-OP gravierende Komplikationen ein…
Wolfgang Sellinger: Ja, es war schrecklich! Die Chancen standen nicht gut, dass sie diese Krise überlebt. Das hat mich wirklich aus der Bahn geworfen! Ich musste realisieren, dass ich möglicherweise bald ganz allein dastehen würde. Der Gedanke, dass ich vielleicht in Bälde eine Traueranzeige für Ingrid schalten müsste, war sehr schmerzlich. Und ich wusste auch nicht, wie ich meine Trauer in Worte hätte fassen sollen. Damals wurde mir bewusst, wie hilfreich es wäre, wenn die Toten ihre Traueranzeigen schon zu Lebzeiten selbst gestalten würden.
Glücklicherweise hat Ingrid die gefährliche Situation überlebt und sich allmählich wieder erholt. Wie hat sie darauf reagiert, als du ihr erzähltest, dass du dir damals so viele Gedanken über ihre Traueranzeige gemacht hast?
Wolfgang Sellinger: Ingrid ist wunderbar pragmatisch: Sie hat sofort eine Traueranzeige für sich selbst entworfen und eine Urne für ihre Asche ausgesucht. Ich selbst wählte damals ebenfalls Text und Bild für meine Traueranzeige und entwarf die passende Inschrift für meine künftige Grabstätte. Wir haben das beide als sehr beruhigend empfunden – und daraus entwickelte sich die Idee, diesen Service auch anderen Menschen kostenfrei zur Verfügung zu stellen.
Du hast die Website dann mit einer ganzen Reihe von Helferinnen und Helfern, insbesondere aus den Bereichen Grafik und Fotografie, entwickelt, hebst aber besonders hervor, dass das Trauerportal ohne den Philosophen Franz Josef Wetz, der auch Mitglied des Beirats der Giordano-Bruno-Stiftung ist, so niemals entstanden wäre…
Wolfgang Sellinger: Stimmt. Als ich sein Buch "Tot ohne Gott – Eine neue Kultur des Abschieds" las, wurde mir klar, wie ich dieses Trauerportal realisieren sollte. Von Franz Josef Wetz stammen viele philosophische Trauersprüche auf unserer Website. Sätze wie "Objektiv gesehen ist der Tod zwar nicht mehr als nichts, subjektiv für jeden Einzelnen aber nicht weniger als alles" verleihen dem Portal die notwendige gedankliche Tiefe.
Allerdings kommt bei all der Ernsthaftigkeit der Humor nicht zu kurz, was man von einem Sellinger-Projekt ja auch erwarten kann…
Wolfgang Sellinger: Klar doch. Der Tod ist viel zu ernst, um ihn nicht mit Humor zu nehmen…
Wolfgang Sellinger, geb. 1949 in Eichstätt, gründete 2010 die "Galerie der Kirchenkritik", er ist Mitglied im Bund für Geistesfreiheit (bfg), im Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) sowie im Stifterkreis der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs).
Assunta Tammelleo, geb. 1961 in Stuttgart, ist seit 1998 im Vorstand des bfg München, Mitinitiatorin des Kunstpreises "Der freche Mario", Inhaberin der Kulturbühne "Hinterhalt" und Mitglied im Kuratorium der Giordano-Bruno-Stiftung.
War das für dich, Assunta, auch ein Grund dafür, die Aufgabe der Pressesprecherin für das weltliche Trauerportal zu übernehmen?
Assunta Tammelleo: Ja, natürlich! Deshalb hat mich das Motto des weltlichen Trauerportals "JUST FOR FUN & DEATH: Das Sterben ist zu wichtig, um es dem Tod alleine zu überlassen" auch sofort angesprochen. Es braucht bei diesem Thema ein ausgewogenes Verhältnis von Humor und Ernsthaftigkeit – und das ist Wolfgang mit seinem Team wunderbar gelungen!
Welchen Nutzen bietet das Portal seinen Besucherinnen und Besuchern?
Assunta Tammelleo: Man kann auf weltliches-trauerportal.de kostenfrei Trauersprüche, Bilder, ja sogar Rahmen herunterladen und auf diese Weise eigene Traueranzeigen oder Nachrufe gestalten. Zudem gibt es Hintergrundinfos zum Thema "Suizid" sowie zu den unterschiedlichen Formen der Bestattung und der Trauerfeier.
Gibt es auf dem Portal einen Trauer- oder Grabsteinspruch, der dir besonders gut gefällt?
Assunta Tammelleo: Das ist schwer zu sagen! Es gibt da zum Beispiel die philosophischen Aphorismen von Franz Josef Wetz, die sehr zum Nachdenken anregen. Amüsiert habe ich mich als "bekennende Bayerin" natürlich über den Trauerspruch "Weil I koa Bier mehr dringa ko, bin I ganga". Lachen musste ich aber auch über den Grabstein mit der schönen Inschrift "Guten Tag, gestatten Sie, dass ich liegen bleibe". Auf der Website gibt es wirklich viel zu entdecken! Ich meine, dass es sich für jeden freigeistigen Menschen lohnen dürfte, im weltlichen Trauerportal herumzustöbern.
Erstveröffentlichung auf der Website der Giordano-Bruno-Stiftung.