Krisen, Kriege und Gewalt bedrohen weltweit die Pressefreiheit. Ein Bericht von Reporter ohne Grenzen (RSF) zeigt, dass die Ausübung des Presse-Berufs oft lebensgefährlich ist. Auch vielfältige Repressionen, mit denen Regierungen die Informationshoheit zu gewinnen versuchen, bestimmen in vielen Ländern den Berufsalltag. Ein Lagebericht von Helmut Ortner.
Um die Freiheit der Presse ist es nicht gut bestellt. Die Repressionen gegen Journalisten und Journalistinnen nehmen weltweit zu. Das geht aus der Jahresbilanz der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen (RSF) hervor. Demnach sitzen derzeit (Dezember 2022) mindestens 533 Menschen in Gefängnissen, nur weil sie das getan hatten, was ihr Beruf von ihnen verlangt: sie hatten recherchiert, fotografiert, kommentiert und berichtet. Eine erschütternde Bilanz: Es ist die höchste Zahl an registrierten Inhaftierungen, seit die Statistik erhoben wird. Die Hälfte aller Inhaftierten sitzt in Gefängnissen in nur fünf Ländern ein: China, Myanmar, Iran, Vietnam und Belarus. Aber auch in Russland, darauf verweist der Bericht, greift der Staat gegen Journalisten und Journalistinnen hart durch. Wer nach Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine im Land geblieben ist, muss angesichts der drakonischen Strafen im Untergrund arbeiten. Für das "Verbreiten von Falschinformationen über die russische Armee" – also kritische Beiträge und Kommentare zu Kriegsführung und Militäraktionen – drohen bis zu 15 Jahre Gefängnis.
"Autoritäre Regime gehen verstärkt dazu über, störende Journalistinnen und Journalisten einfach wegzusperren", heißt es im Bericht. Weltweit sind im Jahr 2022 bislang 57 Medienschaffende getötet worden, im Vorjahr waren es 48 gewesen. Mit einem Anteil von fast 65 Prozent kam die Mehrzahl der getöteten Journalistinnen und Journalisten außerhalb von Kriegsgebieten ums Leben, teilte RSF mit. Ein Beruf mit tödlichem Risiko.
Das gefährlichste Land bleibt Mexiko: dort wurden mindestens elf Journalistinnen und Journalisten ermordet. In einer Erklärung mit dem Titel "Mexiko muss handeln, um seine Journalisten zu schützen" forderte Reporter ohne Grenzen schon im Juli die Regierung von Präsident López Obrador dazu auf, die Sicherheit für die Medienschaffenden in seinem Land zu verbessern. Bisher ohne Wirkung. Die Gewalt in Mexiko hat mittlerweile erschreckende Ausmaße angenommen. Im Schnitt werden 94 Morde pro Tag registriert. Fast immer steckt das organisierte Verbrechen dahinter. Wer recherchiert und berichtet, riskiert sein Leben. Ohnehin: der amerikanische Doppelkontinent gilt auch insgesamt als die gefährlichste Region für Journalistinnen und Journalisten. Fast die Hälfte aller getöteten Medienschaffenden kam dort ums Leben.
Einschüchterung, Repression, Verhaftung – die Freiheit der Presse ist weltweit in Gefahr, wenn sie überhaupt stattfindet. In vielen Ländern kann davon keine Rede sein. Ein Blick in die Rangliste der Pressefreiheit ist erschütternd – doch nicht überraschend. Im hintersten Teil der Tabelle befindet sich nach wie vor China (Platz 175) – unter anderem aufgrund nahezu allumfassender Internetzensur und Überwachung sowie Propaganda im In- und Ausland. In Iran (178) beobachtet RSF seit dem vergangenen Jahr eine Zunahme von willkürlichen Verhaftungen und Verurteilungen. Totalitäre Regime, die seit Jahren auf den letzten Plätzen rangieren, machen auch diesmal die Plätze unter sich aus: Turkmenistan (177), Eritrea (179) und Nordkorea (180). Alle drei haben gemeinsam, dass die jeweilige Regierung die komplette Kontrolle über alle Informationsflüsse hält; eine unzensierte Berichterstattung ist unmöglich.
Doch es gibt auch erfreuliche Konstanten. In der Rangliste der Pressefreiheit machen wie in den vergangenen Jahren die skandinavischen Länder die Spitzenplätze unter sich aus: Zum sechsten Mal in Folge liegt Norwegen auf Platz 1, unter anderem aufgrund eines großen Medienpluralismus, großer Unabhängigkeit der Medien von der Politik, starker Informationsfreiheitsgesetze und eines trotz gelegentlicher Online-Attacken journalistenfreundlichen Klimas. Es folgen Dänemark (2) und Schweden (3) mit ähnlich guten Voraussetzungen für journalistische Berichterstattung. Mit Estland (4) ist erstmals eine ehemalige Sowjetrepublik auf den vorderen Plätzen gelistet. Anders als in anderen Ländern verzichten in diesen Ländern Politikerinnen und Politiker weitgehend auf Attacken auf Medienschaffende, was eine kritische, freie Berichterstattung ermöglicht. Auch auf die zunehmende Online-Hetze haben die dortigen Medienhäuser mit diversen Schutzmaßnahmen für ihre Beschäftigten reagiert. Auf Platz fünf folgt Finnland.
Und wie steht es um Deutschland? Die Lage hierzulande (Rang 16 von 180) hat sich um drei Plätze (Vorjahr: Rang 13) leicht verschlechtert. Für diese Entwicklung sind drei Gründe zentral: Eine Gesetzgebung, die Journalistinnen und Journalisten sowie ihre Quellen gefährdet, abnehmende Medienvielfalt sowie Gewalt bei Demonstrationen. Die Zahl der gewaltsamen Angriffe lag mit 80 von RSF verifizierten Fällen so hoch wie noch nie seit Beginn der Dokumentation im Jahr 2013. Bereits im Vorjahr war mit 65 Fällen ein Negativrekord erreicht worden. Die meisten der Angriffe (52 von 80) ereigneten sich bei Protesten des "Querdenken"-Spektrums gegen Corona-Maßnahmen, an denen regelmäßig gewaltbereite Neonazis und rechte Gruppen teilnahmen. Kein Presseausweis schützte davor, mitunter bespuckt, niedergebrüllt und an der Arbeit behindert zu werden. Dass Betroffene sich häufig über mangelnde Unterstützung durch die Polizei beklagten, lässt die Attacken noch düsterer erscheinen. Zudem wurden zwölf Angriffe der Polizei auf die Presse dokumentiert.
Auf der Ebene der Gesetzgebung kritisiert RSF die Cybersicherheitsstrategie der Bundesregierung, die nur mangelnden Quellenschutz garantiert und eine Ausweitung der Befugnisse für Sicherheitsbehörden vorsieht. Mit der Reform des Verfassungsschutzrechts räumte der Deutsche Bundestag im Juni 2021 erstmals allen Nachrichtendiensten die Möglichkeit ein, mittels Spähsoftware in Smartphones und Computer einzudringen und verschlüsselte Nachrichten und Telefonate via Signal, Telegram, WhatsApp und Co. mitzuschneiden. Auch das Defizit beim Auskunftsrecht von Medien gegenüber Bundesbehörden wird kritisiert. Schließlich wird die weiter abnehmende Pressevielfalt bei den Tageszeitungen moniert. Kein guter Zustand.
Es braucht Kritik und Kontrolle. Unsere Demokratie ist eine fragile Konstruktion, die Freiheit der Presse eines ihrer Herzstücke. Es gilt, was Albert Camus einst zur kooperativen Bedingtheit von Freiheit und Presse schrieb: "Eine freie Presse kann gut oder schlecht sein, aber eine Presse ohne Freiheit kann nur schlecht sein." Wir sollten ihm uneingeschränkt zustimmen.