Wenn Kunst „schön“ ist, applaudieren die Herrschenden; das nennt sich dann Opernball.
Wenn Kunst politisch wird, greift die Polizei ein; das hat Wolfram P. Kastner jetzt wieder einmal erfahren.
Der Münchner Aktionskünstler Kastner hatte unmittelbar vor dem Besuch Papst Benedikt XVI. in Bayern mit einem Happening auf den Skandal des bis heute gültigen „Reichskonkordates“ hinweisen wollen – der einzige bis heute noch gültige internationale Vertrag aus der NS-Zeit. Zwei verkleidete Herren, der eine mit Bärtchen, der andere im weißen Gewande, hatten vor, durch die einstige „Hauptstadt der Bewegung“ zu spazieren – was Polizisten der sog. „Staatsschutzabteilung“ unterbanden. Nun hat Kastner zudem einen Strafbefehl über 1.500 Euro wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz erhalten.
Dabei war die „unangemeldete Versammlung“ – der weiß gekleidete Wolfram Kastner, sein schwarz gekleideter Kollege Georg Ledig sowie eine Handvoll weiterer Personen, welche die Aktion erklärende Flugblätter verteilen wollten – von Beginn an von einer wesentlich größeren Versammlung von um die Staatssicherheit bemühten Beamten umringt. Die „Staatsschützer“ führten einen der Flugblattverteiler in Handschellen ab, konfiszierten die Flugblätter und hinderten den mit Bärtchen und den im weißen Gewande daran, auf der vorgesehenen Route durch München zu gehen. Zur „Gefahrenabwehr“ wurden die beiden Künstler zum Polizeipräsidium geleitet, anwesende Medienvertreter wurden massiv daran gehindert, sich ein Bild der Situation zu verschaffen.
Bereits im Vorfeld des Papstbesuches hatte es polizeiliche Einschüchterungsversuche und Übergriffe gegen kreativen Protest gegen die Auffassungen der katholischen Kirche gegeben: „Es wird keine Beleidigungen Benedikts XVI. geben“, zitierte die Süddeutsche Zeitung vom 31. August den Polizeipräsidenten – eine kaum verhohlene Drohung, Bayern für die Zeit des Aufenthalts Joseph Ratzingers zur „kritikfreien Zone“ zu machen. Auch die Staatsanwaltschaft geht offensichtlich davon aus, dass für diesen Zeitraum die Grundrechte nur eingeschränkt gültig waren. Zunächst ermittelte sie gegen Kastner wegen „Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes“, „Missbrauchs von Zeichen“ und einer „unangemeldeten Versammlung“. Da die Losung der Kunstaktion – „Wir fordern die Trennung von Kirche und Staat“ – aber offenbar trotz allen juristischen Sachverstandes nicht als Beleidigung Benedikt XVI. interpretiert werden konnte, beschränkte sie sich nun auf letzteren Tatbestand.
In einer Pressemitteilung fragt der u.a. durch seine Aktionen zu den Jahrestagen der Bücherverbrennung bekannt gewordene Künstler, ob die Strafverfolgungsbehörden wirklich nichts Wichtigeres zu tun hätten und erinnert in diesem Zusammenhang an die umfangreichen Neonazi-Aktivitäten im Freistaat. Kastners Anwalt hat Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt.