(hpd) Der Lesben und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) sagt den „Homo-Heilern“ den Kampf an. Sie haben ein Netzwerk gegen religiös begründete Diskriminierung von Lesben und Schwulen gegründet und berichten über die „Umpolungsszene“, deren Hintermänner im evangelikalen und konservativ-religiösen Umfeld sowie Aktionen.
Ebenso informieren sie über Hintergründe und nennen Anlaufstellen für Betroffene.
Während das Mittelalter für die Rettung der Seelen Homosexueller die Todesstrafe vorsah, vertrat die Wissenschaft den 20. Jahrhunderts lange die Pathologisierung von Lesben und Schwulen und versuchte „Heilung“ durch Psychotherapie, Elektroschocks, Aversions- und Hormontherapien, die chemischen Kastrationen gleich kamen. Prominentestes Opfer war der britische Mathematiker Alan Turing, der in Folge einer solchen Therapie den Freitod suchte. Erst 1992 nahm die WHO „Homosexualität“ aus dem Katalog der Krankheiten und sah sie als eine Facette der Sexualität. Heute versucht kein seriöser Psychologe mehr, Homosexualität zu „heilen“ sondern würde sich umgekehrt den Problemen von Patienten widmen, ihre Neigungen auszuleben.
Da sich die monotheistischen Religionen mit Homosexualität immer noch schwer tun, ist es auch nicht verwunderlich, dass fundamentalistische Kreise seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts „Konversionstherapien“ anbieten. Die Bewegung entstand in den Vereinigten Staaten und schwappte nach Deutschland über. Im Mai 2009 fanden in Marburg beim „6. Internationalen Kongress für Psychotherapie und Seelsorge“ einige Workshops zu diesen Themen statt.
Nach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen haben jegliche „Umpolungsversuche“ desaströse Folgen für die Betroffenen, die nicht selten in Depressionen, Traumata oder Suizid enden. Der Grund liegt darin, dass Konversionstherapien nach wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht funktionieren, sondern die Betroffenen in Selbstverleugnung und Selbstlügen und damit eine Identitätskrise stürzen. Selbstverleugnung und Identitätskrise sind bekannte Phänomene, da die meisten Homosexuellen eine Zeit ihres Lebens ihre Neigungen verdrängen und erst in der Phase des Coming-Out lernen, dazu zu stehen. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass die angeblichen „Erfolge“ der Ex-Gay-Bewegung Rückschläge erleiden, denn es hat sich schon längst eine „Ex-Ex-Gay-Bewegung“ gebildet von ehemalig zur Heterosexualität “Konvertierten“, die heute wieder offen schwul bzw. lesbisch leben, worüber in verschiedenen Stellen berichtet wird.
Der Staat ist derzeit machtlos: Er kann evangelikalen Organisationen nicht die Gemeinnützigkeit aberkennen. Bei kirchlichen Organisationen wie Wuestenstrom wäre eine Aberkennung denkbar, obwohl sich der Verein dagegen wehren wird: „Umpolung“ sei ein Kampfbegriff und man wolle ja nur Männern mit psychischen Störungen helfen. So empfindlich man auf Kritik reagiert, desto härter teilt man aus: Nachdem die ZEIT-Autorin Karin Kontny kritisch über Wuestenstrom berichtete, erhielt sie Drohanrufe und Drohmails von Mitgliedern christlich-fundamentalistischer Gruppierungen, die ihr Bild im Internet veröffentlichten, woraufhin sie im Supermarkt von einer unbekannten Frau erkannt und beschimpft wurde.
Hilfe für die Opfer der „Umpoler“ gibt es derzeit nur aus lesbisch und schwulen Gruppen wie z.B. Zwischenraum, die von einem ehemaligen Wuestenstrom-Gründer initiiert wurde, der inzwischen wieder offen schwul lebt. Weitere Anlaufstellen finden sich beim LSVD unter Mission Aufklärung.
Insgesamt ist die „Homoheilung“ und die Gegenaktion des LSVD ein Lehrstück über Wissenschaft, Glauben und den Staat. Vertreter von Religion und Wissenschaft haben unsägliches Leid über Lesben und Schwule gebracht. Nur während die Wissenschaft dank ihrer ergebnisoffenen Methodik hinzugelernt hat, gilt das längst nicht für alle Vertreter der Religion, die sich anstatt auf wissenschaftliche Erkenntnisse auf Mythen berufen. Und solange der Staat dies zulässt und Extremformen christlicher „Seelsorge“ aus Rücksicht auf die Religionsfreiheit nicht verbietet, obwohl deren Ergebnisse desaströs sind, werden auch weiterhin Menschen in den Suizid getrieben.
Tobias Trapp