(hpd) Den Segen der Intoleranz genießen, effizient und ökonomisch sein Leben gestalten: Fundamentalist werden! Simon Schneeberger gelingt es mit einem Kunstgriff, ein Fassungslosigkeit bereitendes Thema derart aufzubereiten, dass einem das unwillkürlich hervorgerufene Lachen sofort wieder im Halse stecken bleibt. Unbedingt lesen.
Da der Fundamentalismus groß im Kommen ist, empfiehlt es sich, zu ebendiesem zu konvertieren. Schneeberger legt aus pragmatischen Gründen den evangelikalen bzw. protestantischen Fundamentalismus nahe, da dieser zum einen den westlich geprägten Lebensgewohnheiten näher steht als zum Beispiel der islamische Fundamentalismus, zum anderen wird voraussichtlich das Christentum in seiner fundmentalen Form obsiegen. Dann am besten bei den Ersten sein, heißt die Devise.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Ökonomische Lebensweise und Effizienz sind bedingt durch eine Heilige Schrift als nunmehr einzige Lebensorientierung, die vom Strafsystem, der umfassenden Welterklärung bis hin zu detaillierten Modevorschriften einfach Alles enthält. Auch Angstbewältigungsstrategien sowie bewährte Methoden des Aggressions- und Selbstwertmanagements werden geliefert, denn wer der In-Group angehört, ist gut und kann seine Aggressionen gegen die Out-Group richten: Sünder und Gottlose. Wer gut ist, kann außerdem sein Selbstwertgefühl boosten und ein zweifelfreies Gefühl der Überlegenheit entwickeln. Und die drohende Verletzung religiöser Gefühle schützt vor jedweder Kritik!
Da Gott Alles so geschaffen und für gut befunden hat, wie es ist, gibt es in dieser perfekten Welt zudem keine Probleme mit Teufelsdingen wie Globaler Erwärmung, Ressourcen oder Naturkatastrophen – letztere werden ohnehin von manchen willkommen geheißen als Zeichen der nahenden Apokalypse oder interpretiert als Konsequenz der Akte teuflischer Sünder. Die lückenlose Strukturierung des Alltags erfolgt über einen detaillierten Verhaltenskodex, der sich vor allem auf den Kern des fundamentalistischen Kausalitätsdenkens konzentriert: religiös korrekten Sex (oder doch eher: De-Sex, Un-Sex, Nicht-Sex).
Zusammenhänge werden deutlich
Flapsig und ernst formuliert Schneeberger seine alarmierend nahe gelegenen Beispiele und gut recherchierten Ausführungen zu den verschiedenen Themenbereichen. Frappierend ist die Veränderung des gesellschaftlichen Klimas gegenüber Fundamentalisten, die vor einigen Jahrzehnten noch als verblendete Eiferer gegolten hätten, heute beschönigend „bibeltreu“ genannt werden. Fundamentalisten werden mit der Bezeichnung „konservativ“ und "wertetreu" verklärt. Er beginnt die Entwicklungen auf dem Weg zum Rückfall in die Voraufklärung mit dem Islamismus als Wegbereiter für den christlichen Fundamentalismus – ohne jegliche Gegenwehr, sondern im Gegenteil, mit der Toleranz für die Intoleranz. Denn Intoleranz – und das ist in dieser nachvollziehbaren Deutlichkeit wirklich erschreckend! – macht die Hauptanziehungskraft des religiösen Fundamentalismus aus, dem weltweit zunehmend Anhänger zulaufen. Klare Erklärungen, Strukturen und Feindbilder sind attraktiv.
Nach der Dinosauriersafari, einer Exkursion in den Kreationismus, dem biblischen Kindertraining mit der altersgemäßen Rute und Höllenhäusern, dem atheistischen Quatsch mit der Globalen Erwärmung und der Ressourcenknappheit sowie Gottes Mode- und Stilvorschriften mündet das Buch in Vorschläge zur gemeinsamen Sache zwischen islamischen und christlichen Fundamentalisten gegen den Feind: säkularer Humanismus und Atheismus. Zentrale Ziele der Bewegung sind der Gottesstaat und für jeden persönlich eine Platzreservierung im Himmel (für vor allem sexuell korrektes Verhalten). Irgendwann wird dem Leser klar, dass Religiöse einfach Nichts von Dingen halten können wie Menschenrechte, Freiheit, Selbstbestimmung oder Emanzipation und Schwule. Nein. Denn Gott steht über allem und der bestimmt. Basta
Als Favorit für werdende Fundamentalisten wird das Pfingstlertum vorgestellt, als hervorragende Voraussetzung gilt die Humorlosigkeit. Diese charismatische Kirche wächst am stärksten, vor allem in Südamerika und Afrika, die im Vergleich liberale und dröge katholische Kirche kommt dagegen nicht an. Es steht zu befürchten, dass die Intoleranten, denen wir mit soviel political correctness, Respekt und Angst begegnen, uns irgendwann überschwemmen werden - solange wir, so das Plädoyer Schneebergers, nicht „den Mut haben, aus der Kritik am Fundamentalismus wieder eine allgemeine Religionskritik entstehen zu lassen“, statt „Religionskritik zu unterbinden und Gesetze gegen Blasphemie zu erlassen.“
Fiona Lorenz
Simon Schneeberger: Fundamentalismus für Einsteiger. Alibri, 2010. 197 Seiten, kartoniert, Euro 14.-
Das Buch gibt es auch im denkladen
Interview mit dem Simon Schneeberger: „Der Segen der Intoleranz“