Was Religion mit Sexualität zu tun hat

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Plakat der Vorlesungsreihe

MÜNSTER. (hpd/exc) Das Exzellenzcluster „Religion und Politik“ an der Universität Münster behandelt im Wintersemester das Thema „Religion und Geschlecht“: Die drei monotheistischen Weltreligionen vertreten aus Historikersicht traditionell eine institutionelle Unterordnung der Frau unter den Mann. Hat das etwas mit den patriarchalischen Gesellschaften zu tun, denen die Religionen entstammen?

 

Die Historikerin und Leibniz-Preisträgerin Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger, die die Reihe „Als Mann und Frau schuf er sie“ organisiert hat, erläutert im Interview, wie Religionen die Rollen für Mann und Frau festlegen und wie sich das von der Antike bis heute verändert hat.

 

 

Die Ringvorlesung heißt „Religion und Geschlecht“. Geht es um heiße Eisen wie Kopftuchdebatte, Priesterweihe für Frauen und kirchliche Sexualmoral?

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Prof. Barbara Stollberg-Rilinger
Die Ringvorlesung wird viele aktuelle Themen wie Frauen in der katholischen Kirche, Zölibat, Kopftuch-Verbot, Homosexualität im Islam und feministische Aufbrüche im Judentum ansprechen. Solche Stichworte nennen die Menschen heute spontan als erstes, wenn man sie fragt, was ihnen zum Thema Religion einfällt. Das zeigt schon, dass Religionen sehr viel mit dem Verhältnis der Geschlechter zu tun haben. Die Ringvorlesung untersucht das historisch und aktuell – von der Antike bis heute. Dabei geht es um Christentum, Judentum und Islam. Beteiligt sind Frauen und Männer verschiedener Fächer, aus Geschichts- und Literaturwissenschaft, Soziologie, Theologie, Jura und Ethnologie.

Sind Mann und Frau denn nicht in den meisten Religionen vor Gott gleich?

Im Jenseits vielleicht, aber nicht auf Erden. Wohl alle Religionen enthalten Aussagen über die Geschlechterordnung, zunächst in Gestalt von Normen, die bestimmen, wie Mann und Frau sich zueinander zu verhalten haben, in welcher Form sie zusammenleben dürfen, inwiefern Sexualität erlaubt ist und was ein Mann als Mann, eine Frau als Frau zu tun hat. Noch elementarer als ausdrückliche Verhaltensregeln sind die Mythen, die solche Normen transportieren – religiöse Ursprungserzählungen, die verschlüsselte Vorstellungen über das Verhältnis von Mann und Frau enthalten. Denken Sie nur an die Erschaffung Evas aus Adams Rippe und die Verführung Adams durch Eva.

Schließlich enthält auch die religiöse Kultpraxis unterschiedliche Regeln für die Geschlechter: So dürfen etwa Frauen in vielen Religionen sakrale Räume nicht betreten oder sakrale Ämter nicht bekleiden. Andererseits gibt es auch religiöse Rollen, die nur Frauen vorbehalten sind, wie das antike Beispiel der römischen Vestalinnen zeigt. Wesentlich scheint mir: Religiöse Mythen, Glaubenslehren und Praktiken lassen bestimmte Geschlechternormen als gottgewollt und natürlich erscheinen. Das macht die Beharrungskraft der Geschlechterordnung so groß. Umgekehrt können Glaubensvorstellungen aber auch dazu beitragen, eine herrschende Geschlechterordnung in Frage zu stellen, indem man sich beispielsweise auf die spirituelle Gleichheit vor Gott oder auf individuelle prophetische Inspiration beruft.

Bestehen Gemeinsamkeiten zwischen den Geschlechterordnungen der Religionen?

Christentum, Judentum und Islam vertreten traditionell eine klare institutionelle Unterordnung der Frau unter den Mann. Das hat mit den patriarchalischen Gesellschaften zu tun, denen diese Religionen entstammen und die sich in den heiligen Schriften, in Torah, Bibel und Koran niedergeschlagen haben. So waren Frauen in den monotheistischen Religionen lange von geistlichen Ämtern ausgeschlossen. Bis heute dürfen sie bekanntlich nicht katholischer Priester oder Imam werden. Katholische Kirche und Islam konservieren insofern eine vormoderne, patriarchalische Gesellschaftsstruktur. Es gibt nun aber evangelische Pfarrerinnen und Rabbinerinnen. Das zeigt, dass religiöse Institutionen sich auf den historischen Wandel der Geschlechterordnung einstellen können. Heilige Texte sind auslegungsfähig.

Dienen Geschlechterordnungen auch Machtinteressen?

Strukturell sicherlich, ja. Aber anders, als es sich die Religionskritiker der Aufklärung vorgestellt haben, wurden religiöse Glaubensvorstellungen gewiss nicht bewusst erfunden, um männliche Herrschaftsansprüche durchzusetzen und Frauen zu unterdrücken. Sie bilden vielmehr die Geschlechterordnung ihrer Zeit ab, die eben nicht nur religiös, sondern auch von politischen, wirtschaftlichen und sozialen Faktoren bestimmt war. Aber religiöse Vorstellungen und Praktiken tragen selbstverständlich das Ihre zum Erhalt von Machtstrukturen bei.

Die Rückkehr zu traditionellen Geschlechterrollen ist heutzutage ein zentrales Anliegen religiöser Fundamentalisten, sei es in Christentum, Judentum oder Islam. Wenn fundamentalistische Kreise sich massiv gegen die Gleichberechtigung der Frauen wehren, dann deshalb, weil sie darin ein stellvertretendes Symbol für all das sehen, was sie an der Moderne beunruhigt und beängstigt. Das ist in historischer Perspektive nicht überraschend. Fromme Auserwählte definieren sich oft über ihre besonders strengen Geschlechternormen. Sie gründen die Identität ihrer Gruppe auf die besondere sexuelle Reinheit und Keuschheit vor allem der Frauen, um sich von der sündhaften Umwelt abzugrenzen. Religiöse Reinheit wird mit sexueller Reinheit, der Glaube der Anderen mit sexueller Zügellosigkeit gleichgesetzt. Angriffe gegen andere religiöse Gruppen treten sehr häufig als Diffamierung von deren Geschlechternormen auf.

Finden sich solche Phänomene nur in fundamentalistischen Kreisen?

Auch die katholische Kirche hält überkommene sexuelle Normen bekanntlich sehr hoch, ist damit aber in die Defensive geraten. Man denke an das Keuschheitsgebot für Kleriker, das Verbot der Empfängnisverhütung oder die Verurteilung von Homosexualität. Gesellschaftlich kann die Kirche diese Forderungen nicht durchsetzen und konnte es vermutlich noch nie. Dennoch werden die Normen aufrechterhalten. Wie stichhaltig die theologischen Argumente dafür sind, mögen die Theologinnen und Theologen beurteilen. Zweifellos dient, was da als religiöse Forderung verteidigt wird, auch der Zementierung von Machtverhältnissen. Das gilt insbesondere für den Ausschluss der Frauen vom Priesteramt, über die von Theologinnen und Theologen nicht einmal mehr öffentlich diskutiert werden darf. Historisch betrachtet, hat die Kirche die Gleichberechtigung der Geschlechter nicht gefördert, um es zurückhaltend auszudrücken. Wenn behauptet wird, dass die Menschenrechte eine christliche Errungenschaft seien, dann gilt das für die Gleichberechtigung ganz gewiss nicht.