BERLIN. (hpd) Am Donnerstag soll im Bundestag über einen Entschließungsantrag zur Beschneidung aus religiösen Motiven abgestimmt werden, der voraussichtlich ohne Aussprache verabschiedet werden soll. Eine Regelung zur Straffreistellung soll schon im Herbst beschlossen werden. Gegen eine Gesetzgebung im Eiltempo formiert sich Widerstand.
CDU/CSU, SPD, FDP und die Grünen arbeiten derzeit an einem gemeinsamen Entschließungsantrag, der in der Sondersitzung des Bundestags am Donnerstag verabschiedet werden soll. Im Entschließungsantrag soll verlangt werden, Rechtssicherheit für Angehörige jüdischer und islamischer Gemeinden herzustellen und religiöse Beschneidungen unter bestimmten Umständen straffrei zu stellen. Nicht dabei ist die Linkspartei.
„Wir sind sehr froh, dass die Politiker das so schnell eingesehen haben“, sagte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über die Bestrebungen der großen Parteien nach der Kritik aus den Religionsgemeinschaften.
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger äußerte derweil Zweifel daran, dass das angestrebte Gesetz in der geplanten Eile verabschiedet werden könnte. Derzeit prüfe die Bundesregierung eine gesetzliche Klarstellung im Familienrecht, beim Sorgerecht und beim Patientenrechtegesetz, hieß es.
Leutheusser-Schnarrenberger dämpfte Erwartungen an eine rasche gesetzliche Regelung. „Mit einem Schnellschuss ist doch niemandem gedient“, so die FDP-Politikerin gegenüber dem Bayerischen Rundfunk. „Man kann nicht einfach pauschal sagen: Jeder religiöse Eingriff ist immer erlaubt“, so die Justizministerin. Mit einer neuen Regelung könnten Auswirkungen verbunden sein, „die bestimmt von niemandem gewollt sind.“
Scharfe Kritik an dem Vorgehen der fraktionsübergreifende Pläne, mit der in Windeseile und ohne weitere Diskussionen eine Ausnahmeregelung für religiöse Beschneidungen geschaffen werden soll, gibt es auch in den beteiligten Parteien.
„Wir halten die schnelle und eindeutige Festlegung der SPD-Spitze zu Gunsten einer umfassenden Legalisierung von Beschneidungen an männlichen Kindern aus religiösen Gründen für verfehlt“, erklärten Oliver Lösch und Nils Opitz-Leifheit, Sprecher der SPD-Laizisten, am Dienstag in einer Stellungnahme zu den Äußerungen aus der Parteispitze.
„Anstatt Schnellschuss-Politik zu betreiben, wäre es bei diesem höchst sensiblen und ethisch wie juristisch höchst komplexen Thema angebracht, alle Argumente sauber abzuwägen und Vertreter der unterschiedlichen Positionen angemessen einzubeziehen.“
Weiter hieß es, es sei erschreckend, wie „leichtfüßig“ viele Parteiführungen die Religionsfreiheit von Eltern über das fundamentale Recht von Kindern auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung stellen würden. „Die schwerwiegenden Bedenken zahlloser Fachmediziner, Juristen, Kinderschutzorganisationen und auch die Haltung einer Mehrheit der Bevölkerung werden beiseite gewischt.“
Und auch bei den Grünen gibt es mittlerweile einige Bedenken. "Ich finde es problematisch, dass die Abgeordneten jetzt so kurzfristig in eine solche Entscheidungsdebatte gezwungen werden", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, der Süddeutschen Zeitung. Beck war einer der ersten Politiker, der nach dem Entstehen der Kontroverse um das Beschneidungsurteil eine gesetzliche Neuregelung zur Schaffung von Rechtssicherheit gefordert hatte.
Das Ende der „Hetzjagd in der Beschneidungsdebatte“ forderte heute ebenfalls der Vorstand der Giordano-Bruno-Stiftung, Michael Schmidt-Salomon, in einem Aufruf zur Unterzeichnung einer Petition an die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Gemeinsam mit dem Vorsitzenden eines Rostocker Vereins zur Vertretung der Interessen von Opfern sexuellen Missbrauchs, Christian Bahls, wurde zu einer „Versachlichung und pluralistischen Gestaltung der Debatte“ aufgerufen.
„Ein zweijähriges Moratorium und die Einrichtung eines Runden Tisches zum Thema ‚körperliche Unversehrtheit von Kindern‘ soll dazu dienen, die Diskussion zu demokratisieren und einen Ausgleich in der Debatte herzustellen“, so Christian Bahls.
Es könne nicht sein, „dass so ein wichtiges Thema im Schnellverfahren abgehandelt“ werde. Schließlich habe das Landgericht Köln die Entscheidung nach sorgfältiger Prüfung getroffen, kein demokratisch gewähltes Parlament dürfe ein solch komplexes Thema daher im Eiltempo behandeln. Das sei einer parlamentarischen Demokratie unwürdig.
„Wenn Bundeskanzlerin Merkel meint, Deutschland mache sich mit einem Beschneidungsverbot zu einer ‚Komikernation‘, zeigt dies nur, dass sie sich mit den Problemen der Zirkumzision nicht ernsthaft beschäftigt hat und religiösen Ritualen höheres Gewicht beimisst als dem Kindeswohl“, so Schmidt-Salomon zum Aufruf.
Mit ihrer Petition an Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wollen die Initiatoren erreichen, dass alle Menschen, die die aktuelle gehetzte Debatte mit mehr Bedacht und Reflexion führen möchten, einen Ort des Protests finden. Außerdem wollen sie die Justizministerin darin bestärken, sich weder von religiösen Organisationen noch von der Kanzlerin unter Termindruck setzen zu lassen.
Arik Platzek