RUSSLAND. (hpd) Auf Beschluss der Stadtduma soll Wolgograd künftig wieder (zeitweilig) nach dem ehemaligen Sowjetdiktator Josef Stalin benannt werden, wie bereits von 1925 bis 1961. Damit erfahren die Veteranen der Roten Armee Würdigung, die der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg eine verheerende Niederlage beibrachten. Am 2. Februar 1943 siegte die Rote Armee in Stalingrad.
Der neue Name ist nur symbolisch zu verstehen, lediglich an einigen Tagen im Jahr soll die Stadt ihn tragen. Ortsschilder und Landkarten müssen also nicht geändert werden. Dennoch wirft die Entscheidung ein schlechtes Licht auf Russland, denn sie kann sich nur in der „lupenreinen Demokratie“ Putins ereignen.
In nur einer Woche häufen sich die Gedenktage. Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar, 80 Jahre Machtergreifung der NSDAP am 30. Januar, 70 Jahre Sieg der Roten Armee in Stalingrad am 2. Februar und am 5. März wird Stalins Tod 60 Jahre her sein. Während Deutschland seine eigene Vergangenheit kritisch betrachtet und die Verbrechen der Herrschaft Adolf Hitlers aufarbeitet, lässt sich im postsowjetischen Russland der gegenteilige Trend beobachten. Dort gilt Stalin immer noch als Retter in großer Not, der die Faschisten entschlossen zurückdrängte. Dass er aber sein eigenes Volk brutal unterdrückte, wird nur selten zur Kenntnis genommen. Genauso wie unter den Tisch fällt, dass Hitler und Stalin ebenso Todfeinde, wie auch Komplizen waren.
Massenmord
Literaturnobelpreisträger Alexander Solschenizyn, der selbst im Gulag-System inhaftiert wurde, warf Stalin den Tod von 60 Millionen Menschen vor. Konservative Historiker, vor allem aus den USA, schlossen sich im Klima des Kalten Krieges dieser Sicht oft an. Wie wir heute wissen, sind diese Zahlen nicht länger haltbar. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden die Archive geöffnet und mit jeder weiteren neuen Studie ergaben sich immer niedrigere, wenn auch immer noch bestürzende Opferzahlen. In der heutigen Wissenschaft kristallisiert sich immer deutlicher heraus, dass zwischen 1922 und 1953 vermutlich 10 bis 15 Millionen Menschen durch Stalins Entscheidungen starben.
Dabei gab es in der Sowjetunion Phasen relativer Ruhe und solche unbarmherziger Brutalität. Tatsächlich starben die meisten Opfer Stalins in nur 6 Jahren. 1932/33 bei der großen Hungersnot in der Ukraine, 1937/38 während des Großen Terrors und 1944/45, als tatsächliche oder vermeintliche Kollaborateure der Nazis bestraft und ganze Ethnien auf der Landkarte verschoben wurden. Jede dieser drei Phasen verdient genaue Betrachtung.
Hungersnot in der Ukraine
Zwar wurde die große Hungersnot nicht bewusst herbeigeführt und kann nicht als Genozid gelten, auch wenn uns das ukrainische Nationalisten weismachen wollen, doch einfach nur ein „Versehen“ anzunehmen, greift zu kurz. Stalin hatte die Absicht, die Erträge in der „Kornkammer Europas“ durch Kollektivierungen weiter zu verbessern. Selbst in der eigenen Partei gab es Stimmen, die vor einem zu radikalen Kurs warnten. Die Bauern mussten zu ihrem „Glück“ gezwungen werden. Wer sich widersetzte, lief Gefahr, erschossen zu werden. Aber selbst als die verfehlte Kollektivierung offensichtlich wurde, lenkte Stalin nicht ein. Auch als die ersten Menschen bereits verhungert waren, pochte er auf die strenge Einhaltung der Erntequoten. Bauern mussten ihr Saatgut abgeben – jedem hätte klar sein müssen, dass ihr Hof damit spätestens im folgenden Jahr dem Ruin geweiht war.
Selbst als die Hungersnot einsetzte, half Stalin den Notleidenden nicht. Die Katastrophe hätte abgewendet werden können, wenn der Sowjetstaat das in den Silos einlagernde Getreide verteilt hätte. Stattdessen verkaufte er es auf dem internationalen Markt, um seine Industrialisierung zu finanzieren. Die Szenen, die sich in der Ukraine abspielten, klingen unvorstellbar. Manche Eltern töteten und kochten ihre Kinder, andere rangen ihnen mit letzter Kraft das Versprechen ab, ihre Körper nach ihrem Ableben zu verspeisen. Reue empfand der Diktator nie. Das Sterben erklärte er mit mangelndem Glauben an die marxistischen Ideale oder mit Agitation des Nachbarlandes Polen.
„Säuberungen“ und Terror
1936 löste die Stalin die große Parteisäuberung aus. Zehntausende Mitglieder der kommunistischen Partei starben, fast niemand, der 1917 in leitender Stellung die Revolution erkämpfte, überlebte. Weniger bekannt ist, dass Stalin auch Massenoperationen gegen vorgebliche Spione befahl. Alle Polen im Sowjetreich mussten mit der Angst leben, als Agenten ihres Heimatlandes enttarnt und hingerichtet zu werden. Dennoch blieb die Definition der Opfergruppen in den meisten Fällen diffus. Selbst Stalins engster Mitarbeiterstab musste in ständiger Furcht leben.
Im Zuge der Säuberungen ließ Stalin auch gute Freunde, mit denen er sich nächtliche Saufgelage lieferte, liquidieren. Nicht jedes Mitglied der obersten Führungsriege starb, aber dennoch wurden alle terrorisiert. Staatspräsident Kalinin, Außenminister Molotow konnten sich nicht gegen die Inhaftierung ihrer Frauen wehren. Die Frau von Stalins Privatsekretär und Kabinettschef Poskrjobyschew wurde ermordet, er selbst vom Diktator verprügelt. Die Politbüromitglieder Ordschonikidse und Kaganowitsch verloren ihre Brüder. Stalins Nachfolger Chruschtschow war nicht mächtig genug, die Verhaftung seiner Schwiegertochter zu verhindern.
Jeder Politiker wusste, dass seine Mitarbeiter gefoltert wurden, so dass im Falle eines Schauprozesses genug Material gegen ihn vorlag. Jedes Mitglied des Politbüros wurde von einer Leibgarde vor Attentaten geschützt, doch war ihm klar, dass es diese Leute waren, die ihn in die Foltergefängnisse der Lubjanka schaffen würden, sobald nur der Befehl von ganz oben kam. Die Leibwächter sorgten dafür, dass die obersten Politiker abseits der Sitzungen nicht aufeinander trafen, um keine Intrigen zu spinnen. Geheimdienstchef Beria, der wusste, dass seine Privatwohnung von der Agentur, die er selbst leitete, abgehört wurde, äußerte sich moderat abfällig über Stalin. Wenn er es nicht getan hätte, wäre dies schlicht der Beweis gewesen, dass er an einem ungestörten Ort einen Putsch gegen den Staatschef plante. Wer Stalins Befehle nur mangelhaft ausführte, war den Aufgaben nicht gewachsen und wurde ausgeschaltet. Wer die Befehle aber übererfüllte, konnte in den Verdacht geraten, selbst die Herrschaft über die Sowjetunion anzustreben und galt schnell als Bedrohung.
Ethnische Rachezüge
Stalins Politik der harten Hand löste unter den ethnischen Minderheiten Unmut aus. Als Hitler 1941 die Sowjetunion überfiel, waren viele Sowjetbürger bereit, sich dem Kampf gegen das verhasste System anzuschließen. Stalin schwor Rache und ging mit Härte gegen Russlanddeutsche, Tschetschenen, Kalmücken und andere Völker vor. Besonders heftig traf es die Krimtataren. Zu Zehntausenden hatten sie sich dem Vormarsch der Wehrmacht angeschlossen. Als die Rote Armee die Krim jedoch 1944 wiedereroberte, holte Stalin zum Gegenschlag aus. Alle Angehörigen des Volkes wurden nach Usbekistan deportiert, egal ob sie kollaboriert hatten oder nicht, egal ob Mann, Frau, jung oder alt. Auch Tataren, die im Obersten Sowjet saßen, waren betroffen, obwohl man ihnen am allerwenigsten Nähe zu den Deutschen vorwerfen konnte. Im Auftrag Berias wurden über 200.000 Menschen abtransportiert, viele von ihnen zusammengepfercht in Waggons. Fast die Hälfte von ihnen starb während des Transports oder in der Einöde Zentralasiens.
Auch die besondere Grausamkeit, die man oft mit dem Nationalsozialismus verbindet, findet sich in der Sowjetunion. Morde an Behinderten und Invaliden, um während des Krieges Kosten einzusparen, gab es ebenso wie medizinische Menschenversuche. Auch Stalin setzte Giftgas gegen seine Gegner ein. Und niemand davor oder danach erschoss eigenhändig so viele Menschen, wie Wassili Blochin, Chef-Henker der Geheimpolizei NKWD.