Verlobung bekräftigt

BERLIN. Ein „Verlöbnis“ ist nach dem „Bürgerlichen Gesetzbuch“ (§§ 1297-1302)

ein Eheversprechen. „Humanistischer Verband Deutschlands“ (HVD) und „Jugendweihe Deutschland“ (JWD) – genauso genommen der Präsident Wilfried Estel und der Bundesvorsitzende Dr. Horst Groschopp – bekräftigten ihren entsprechenden Willen am Ende der Fachtagung „Renaissance einer Übergangsfeier? Gegenwart und Perspektive des wichtigsten weltlichen Passagerituals in Deutschland – Dialog über Jugendweihen, Jugendfeiern und Jugendarbeit“ am vergangenen Freitag und Samstag (15./16. Juni 2007; Programm der Tagung siehe Anhang 1).

Die Anfänge der politischen Kooperation gehen auf das Jahr 2002 und die Festveranstaltung „150 Jahre Jugendweihe in Deutschland“ zurück. Die meisten Redner und Gäste kannten sich vom „Humanistentag“ in Hamburg Ende September 2006.

Die Atmosphäre der Tagung war außerordentlich offen und ausgesprochen herzlich zugleich. Das ist nicht selbstverständlich bei über fünfzig anwesenden „Machern“ und politischen Funktionären beider Verbände, von Geschäftsführern, Jugendverbandsmitgliedern und ehrenamtlichen Helfern. Das Adjektiv „hochkarätig“ beschreibt die Zusammensetzung treffend.

Politische Ergebnisse

Politische Erklärungen standen am Anfang und am Ende der Tagung. Ging es am Anfang darum, die „Wende“ im Verhältnis beider Verbände Revue passieren zu lassen und positiv einzuschätzen, ging es am Ende darum, zu überlegen, welche Lebensgemeinschaftsform dabei herauskommen könnte, also welches „strukturelle Ziel die Kooperation haben soll und in welchen Etappen dieses zu erreichen ist“, wie es in den „Überlegungen zu Perspektiven der Kooperation zwischen ’Jugendweihe Deutschland’ (JWD) und ’Humanistischem Verband Deutschlands’ (HVD)“ wörtlich heißt (das Gesamtdokument siehe Anhang 7).

Mögliche Varianten kamen zur Sprache, darunter die Idee eines deutschlandweit agierenden Jugendweihe-Verbandes, der Jugendarbeit und Jugendweihen anbietet und die Fachdebatten vorantreibt und mit humanistischen Landes- und Regionalverbänden kooperiert, die Weltanschauungsvereine und entsprechende Dienstleistungsanbieter für konfessionsfreie Menschen sind, und ebenfalls Jugendfeiern anbieten. Es wurde dabei auf das Muster Mecklenburg-Vorpommern verwiesen, auf die dort seit Jahren sehr erfolgreich wirkende „Jugendweihe Mecklenburg-Vorpommern“ und den dort gerade entstandenen „Humanistischen Verband“.

Auch wurde der Kooperationsvertrag erwähnt, den „Jugendweihe Deutschland“ dem HVD Berlin am Freitagabend angeboten hat. Dieser zieht seine verbändepolitische Brisanz aus der Tatsache, dass der Jugendweiheverein Berlin-Brandenburg aus „Jugendweihe Deutschland“ kürzlich ausgetreten ist. Ganz offensichtlich wird die humanistische Profilierung der Jugendweihen konzeptionell nicht mehr geteilt.

Im Referat von Günter David (Königswusterhausen) fand dieser seit Jahren schwelende Konflikt durchaus Erwähnung. Anwesende aus den westlichen Bundesländern wiederum verwiesen in verschiedenen Diskussionsbeiträgen auf den Aufbau von Landesverbänden der Jugendweihe in Regionen, in denen der HVD seine Feiern parallel, teilweise am gleichen Ort, anbietet.

In der gemeinsamen Erklärung wurde dazu vereinbart, „die tatsächlichen Konkurrenzen in den Regionen festzustellen und einvernehmlich und durch Absprachen vor Ort mit Hilfe der Zentralen, wenn nötig, zu regeln und gemeinsame neue Arbeitsfelder zu finden“.

Am Ende gab es, wie auch sonst auf der Tagung, immer wieder Beifall, wenn Vorschläge gemacht wurden, die die „Verlobung“ realisieren: Man müsse öffentlich gemeinsam auftreten, politisch und medial mutiger werden; wo es angebracht ist, sollten vor Ort Arbeitsgemeinschaften entstehen, aber nicht dort, wo schon funktionierende Strukturen vorhanden sind; weitere Kooperationsverträge wurden vorgeschlagen, eine „Stiftung Jugendweihe“, eine „task force“ – bewusst in Anführungsstrichen – für Orte, wo keine Anbieter sind usw.

Hervorzuheben ist die Sachlichkeit, mit der die gemeinsame Erkenntnis des wesentlichsten Unterschieds zwischen beiden Verbänden aufgenommen wurde. Zwar sind beide Verbände humanistisch orientiert, aber der Unterschied zwischen einem („normalen“) humanistischen Verband und einer („speziellen“) humanistischen Weltanschauungsgemeinschaft ist gegeben. Daraus wächst die Frage – um im Verlobungsbild zu bleiben – wie eine „Ehe“ möglich wird oder ob sich das Modell einer anderen „Lebensgemeinschaft“ anbietet. Wie auch immer, es wird Günter Rettig (Sachsen-Anhalt) zuzustimmen sein, nur wer sich persönlich kennt und vertraut, wird einen gemeinsamen Weg finden.

Der Wille, eine gemeinsame Route zu finden, dominierte den Diskurs und führte in der Erklärung zu folgender Formel: „Die ’Verlobungszeit’ mit dem Ziel der Stärkung des organisierten Humanismus als einer säkularen ’dritten Kraft’ neben den christlichen Kirchen hat begonnen. In weltanschaulichen und politischen Positionen werden keine grundsätzlichen Unterschiede konstatiert.“

Aus der Praxis für die Praxis

Die Tagung war historisch gesehen die wohl erste ihrer Art. Sie begriff Jugendweihen und Jugendfeiern als Gegenstände sachlicher wie fachlicher und ebenso kritischer wie selbstkritischer Erörterung. Diese Diskurse bildeten den Hauptzweck des Treffens und dafür wurde die meiste Zeit verwendet. Bereits die beiden eher theoretischen Einleitungsreferate von Gregor Ziese-Henatsch und Wolfgang Langer problematisierten die Perspektiven des Ritual- und Kulturangebotes „Jugendweihe“. Sie gaben – wie die kurzen politischen Statements der Veranstalter zuvor – die ernsthafte, aber auch unverkrampfte „Stimmung“ vor.

Erleichternd war, dass dies die dritte Fachkonferenz war, auf der die guten Dienste der „Humanistischen Akademie“ in Anspruch genommen wurden, nach den Tagungen im Frühjahr 2000 (dokumentiert in „humanismus aktuell“ Heft 7) und Frühjahr 2003 (Heft 13). Doch ging es auf diesen Tagungen noch stark um Theorie- und Ritualfragen, um Jugendforschung und um Abgrenzungen von bzw. Vergleiche mit kirchlichen Angeboten.

Auffällig wurde zudem, dass es – auch hinsichtlich des Feierangebots – innerhalb der beiden Verbände teils deutliche Unterschiede gibt, die kommende Fachtagungen beschäftigen werden. Selbst innerhalb von Landesverbänden ist kein vergleichbares Programm „von oben“ durchsetzbar, bis dahin, dass die Handschriften von Künstlerinnen und Künstlern, von Betreuerinnen und Betreuern das Programm und die Inhalte hier weniger, dort sehr stark prägen.

Manfred Isemeyer stellte dazu in der samstäglichen Debatte grundsätzlich fest, und löste damit durchaus auch Widerspruch aus, dass die Verantwortlichen in den Verbänden stärker die eigenen Ansprüche definieren sollten. Es bedürfe dringend bestimmter Qualitätsstandards. Bei jedem Programm und jeder Vorbereitung sei zu fragen: Was vermittelt welche Werte mittels welcher Themen und Inhalte?

Für einige Erregung im Saal sorgte seine Botschaft, die Festveranstaltung selbst sollte – auch wegen der Armut vieler Menschen, die ihre Kinder gern teilnehmen lassen möchten – eintrittsfrei sein. Es deutete sich an, dass die Anbieter auch über die jetzigen und möglichen neuen Finanzierungsmodelle zu reden haben werden.

Vorbereitung bis Nachbetreuung

Die Debatte war in drei praktische Komplexe gegliedert: Das Festprogramm, die Vorbereitungsprogramme und die Formen der Jugendarbeit (und überall eingeordnet das Problem der „Nachsorge“).

Erstens: Noch immer wird in der Öffentlichkeit und von einigen Veranstaltern meist nur die Feier selbst gesehen und die Regionalpresse berichtet, wenn überhaupt, dann lediglich noch über Kleidung, Kosmetisches, Schmuck und Geldgeschenke. Das Festprogramm sei aber nur der Höhepunkt einer ganzen Anzahl von Initiativen. Das bedeute zugleich, das Festprogramm selbst stärkerer Analyse zu unterziehen, z.B. was der immer stärkere Einbezug von Jugendlichen selbst als Darsteller bringt, wie welche Show-Elemente wirken, welche Erfahrungen es hinsichtlich des Einbaus von Festreden gibt usw.

Man wurde sich einig, sich stärker den Programmen selbst in ihrer Gänze zu widmen und die einzelnen Programmteile hier eingeordnet zu sehen, zu beurteilen, welchen Platz sie jeweils haben, eingeschlossen einzelne künstlerische Elemente (Dieter Lehmann: „von modisch gestylt bis hausbacken edel“). Hier wurde schnell klar, dass es sinnvoll ist, die offenen Fragen nicht anhand der einzelnen Teile, einzelner Beispiele, sondern anhand jedes Gesamtkunstwerkes „Jugendweihefeier“ zu diskutieren und stärker an den jeweiligen ästhetischen Sprachen die „Botschaften“ (Werte, Sinn ...) zu erörtern.

Der zweite Punkt, an dem sich Gemeinsamkeiten über die Verbände hinweg und zugleich deutliche Unterschiede darstellen, sind die Vorbereitungsangebote, die alle Anbieter reichlich bereit halten und die bei den humanistischen Verbänden im Westen sogar pflichtig sind, um an der JugendFEIER (Nürnberg, Niedersachsen, Bremen) bzw. der Feier der Jugendweihe (Hamburg, Cuxhaven) teilnehmen zu können. Dies hängt mit den Traditionen, Bildungskonzepten, Mitgliedschaften und (niedrigeren) Teilnehmerzahlen zusammen. (Ein Teilnehmer Ost fasste seine Erfahrungen lapidar so zusammen: „Wir sind alle so eine Art Durchlauferhitzer, aber nicht jeder lässt sich von uns erwärmen.“ Und ein Teilnehmer West: „Freistellung von den Kursen der Vorstunden ist nicht möglich.“)

Drittens: Aus den unterschiedlichen Traditionen und Angeboten wiederum resultieren differente Konzepte der Jugendarbeit, die zwischen „offener“ (JWD), „halboffener“ (HVD Berlin) und „verbandlicher“ (HVD West) angesiedelt sind. Dies verwies besonders auf die Unterschiede zwischen einem Verband der offenen Jugendarbeit, der auch offene Jugendweihen bereit stellt, und den Weltanschauungsgemeinschaften, deren JugendFEIERN in Begleitungen der Menschen „von der Wiege bis zur Bahre“ eingebunden sind und man Mitglied werden kann oder sein muss (Nürnberg), um das Fest zu bekommen.

Für die Jugendarbeit wurde generell die Zunahme von Bürokratie beklagt, die auf Kosten der Jugendarbeit selbst geht (Ronny Winkler, Dresden: „Alle zwei Jahre muss kommunikative Jugendarbeit neu erfunden werden, um der Antragslyrik zu genügen.“)

Viertens: Reich sind die Erfahrungen, wenn auch teilweise nicht ermutigend, was die „Nachbetreuung“ bzw. die anschließenden Mitgliedschaften betrifft. Doch können beide Verbände neuerdings von guten Erfahrungen mit ihren Jugendorganisationen bzw. jugendlichen Mitgliedern berichten. Interessierte Jugendliche arbeiten nach der Jugendweihe oft als Ehrenamtliche mit, alle zwei bis drei Jahre brechen aber durch Ausbildungsbeginn etwa zwei Drittel der Interessierten weg.

Jugend habe derzeit nicht die Lobby, die sie brauche. Das sei eine Chance für beide Verbände, sich den Konfessionsfreien unter den Jugendlichen zuzuwenden. Das bedürfe aber reger und aktiver Arbeit, Nachwuchs zu bilden. Mehrere Wege wurden empfohlen, darunter die, Jugendliche in die Programmgestaltung und Vorbereitungsarbeit besser einzubinden und mehr Mut zur Hauptamtlichkeit zu haben. Andererseits wird die beeindruckende breite Palette ehrenamtlicher Organisation, wie sie etwa von Ursula Geißenhöner (Thüringen, speziell Suhl) berichtet wurde, nur schwer zu ersetzen sein.

Weiter gemeinsam nachdenken

Dieses Resümee zeigt, dass sich erstens eine Veröffentlichung aller Beiträge für weitere Debatten lohnen würde, auch wenn – angesichts der vielen gezeigten DVD’s – eine modernere Publikationsform als ein Buch angezeigt ist. Man kann ja Austausch organisieren.

Zweitens war wohltuend, sich nicht unnötig über den Ritualbegriff zu streiten, sondern zu beschreiben und zu bereden, was stattfindet. Dennoch wird eine theoretische Verarbeitung in Richtung Ritualtheorie nicht ausbleiben können – schon die neuere wissenschaftliche Debatte (etwa die Besprechung von Jugendweihe-Literatur durch Sigrid Schütz zeigt, wie aktuell die Debatte ist. Doch fehlen konkrete soziologische Befunde, um bestimmte, in der Debatte geäußerte Thesen zu verifizieren (Stichworte: „Familienfest“, „Individualisierung“, „Kulturakzeptanz in der Region“, „Einzugsbereiche“).

Ähnlich verhält es sich drittens mit den Namen „Jugendweihe“ bzw. „Jugendfeier“. Letzterer Begriff wurde wohl zuerst in Nürnberg bereits 1978 eingeführt, wie Michael Bauer mitteilte. Dass hier mehr Gelassenheit einzieht, ist ebenso positiv konstatiert worden wie die Werbung im HVD (Berlin). Statt – wie noch 2007 – von der JugendFEIER als „alternativer Jugendweihe“ wird für 2008 von der JugendFEIER als der „humanistischen Jugendweihe“ gesprochen.

Viertens bleibt verwunderlich, dass ein Kulturereignis wie die Jugendweihen, dem jährlich Zehntausende in Ost und West beiwohnen (in den letzten Jahren wohl über zwei Millionen), und das für viele die einzige künstlerische Live-Aufführung in ihrem Leben ist, so wenig öffentliche und wissenschaftliche Aufmerksamkeit gewidmet wird, im Gegenteil: noch immer findet sich Ignoranz und Intoleranz dem Ereignis gegenüber.

Die Veranstaltung war für alle Teilnehmenden ein Gewinn. Und vielleicht hat die 11jährige Tochter von Gregor Ziese-Henatsch den Namen des (vorehelichen) Kindes der beiden Verlobten erfunden: „JUGENDfeier“. Und vielleicht war der beste praktische Vorschlag dieser: „Großeltern, schenkt Euren Enkeln eine Jugendweihe“.

GG

 

Information: Am morgigen Dienstag den 19. Juni, um 11.10 Uhr, strahlt Radio „rbb Kultur“ ein Interview aus, dass die Journalistin Daniela Siebert am Rande der Tagung mit Wilfried Estel und Horst Groschopp aufzeichnete.

Berlin: 95,35 MHz

Potsdam: 98,45 MHz

„Live Stream“ über diesen Link.