Heute ist der „Welthumanistentag". Viele Humanisten werden überrascht sein, da sie mit großer Wahrscheinlichkeit noch nichts
davon gewusst haben.
Von den 365 Tagen des Jahres ist wohl kaum einer noch nicht als „Welt"-Tag für irgendeine gute Sache benannt worden. Der Welthumanistentag zählt noch nicht zu den bekannten Tagen in dieser langen Liste. Das mindert jedoch seine Bedeutung keineswegs. Er ist schließlich noch ein recht junger Feiertag. Erst im Jahre 1986 wurde er anlässlich eines Weltkongresses der Internationalen Humanistischen und ethischen Union (IHEU) in Oslo ins Leben gerufen.
Mit den anderen, zurzeit noch bekannteren Welttagen hat er relativ wenig zu tun. Eher mit Ostern, Pfingsten, Allerheiligen oder auch Weihnachten – den religiösen Feiertagen nämlich. Der Grund liegt auf der Hand: Der Welthumanistentag ist der Feiertag der Weltanschauungsgemeinschaften, die ihr Leben an einer humanistischen Ethik ausrichten. In Deutschland gehören dazu insbesondere die Mitgliedsverbände im Humanistischen Verband Deutschlands (HVD).
Zu der grundsätzlichen Frage, ob es humanistische Rituale gibt, hat der Kulturwissenschaftler Horst Groschopp, der zurzeit auch Bundesvorsitzender des HVD ist, dezidierte Anmerkungen geschrieben.
Die Freien Humanisten Niedersachsen haben sich diesem Tag ausführlich angenommen und freundlich zugestimmt, dass der hpd diesen Text verbreitet.
In der Reihe der Feiertage mit weltanschaulich-religiöser Bedeutung ist der Welthumanistentag nicht nur mit Abstand der jüngste, er ist gleichzeitig auch der ungewöhnlichste. Und zwar sowohl in Hinsicht auf seine Entstehung, als auch hinsichtlich des gewählten Datums: 21. Juni.
Religiöse Feiertage sind Personenkult
Ein Blick auf die vertrauten christlichen Feiertage verdeutlicht, warum das so ist: Weihnachten - Geburt von Jesus Christus / Karfreitag - Kreuzigung von Jesus Christus / Ostern - Wiederauferstehung von Jesus Christus / Himmelfahrt - Jesus Christus fährt gen Himmel / Pfingsten - Ausgießung des Heiligen Geistes / Reformationstag - Veröffentlichung von Martin Luthers Thesen.
Die Feiertage anderer Religionen machen da keine Ausnahme. Sie vervollständigen lediglich das Schema. Immer wurden Tage gewählt, an denen Religionsstifter geboren wurden oder gestorben sind, an denen sie bemerkenswerte Eingaben hatten – so genannte Offenbarungen – oder sonst etwas Besonderes taten. Die Festlegung eines religiösen Feiertages hatte neben dem Effekt des Feierns und der Besinnung zugleich die Funktion der Heraushebung einer besonderen Persönlichkeit für die jeweilige Religion. Das Pfingstfest veranschaulicht dies in beispielhafter Weise. Alle feiern es, doch nur wenige Christen wissen wirklich etwas über die angebliche Ausgießung des Heiligen Geistes an diesem Tag. Die Verbindung des Reformationstages mit der Person Martin Luthers ist da wesentlich besser bekannt.
Humanisten haben keine Heiligen
Die Humanisten haben keinen Heiligen zu bieten. Es sind Menschen die ohne einen Gott verantwortungsvoll ihr Leben gestalten. Keine Offenbarung deren Bekanntgabe zu feiern wäre, gibt ihnen einen Weg vor. In allen Kulturen der Welt haben sich im Laufe der Zeit Emanzipationsbestrebungen entwickelt, die zur Bildung von derartigen Gruppen führten, in denen eine weltliche, humanistische Ethik gepflegt wird. Eine undogmatische Umgangsweise mit vorhandenen religiösen und philosophischen Ideen wurde zwar stets von einzelnen Personen besonders vorangetrieben, doch entwickelte sich nirgends auf der Welt daraus ein Personenkult. Als 1986 die in Oslo versammelten Humanistenverbände die Ausrufung eines gemeinsamen Feiertages beschlossen, wählten sie aus diesem Grunde keinen auf eine Person zugeschnittenen Tag. Sie einigten sich auf ein Datum, das weltweit verbindet, weil es naturbedingt bereits eine eigene Bedeutung besitzt – den Tag, an dem die Sonne auf der Nordhalbkugel ihren höchsten Stand hat: 21. Juni, Tag der Sommersonnenwende.
Eine Lebensauffassung, die Millionen Menschen weltweit verbindet
Was haben nun die Menschen, die diesen Tag als Feiertag begehen, gemeinsam? Es ist nicht vorrangig die Tatsache, dass sie keinen Gott haben, den sie anbeten. Im Mittelpunkt stehen ihre Ideale, ihre Grundsätze, ihre Denkweise. Kurz gesagt: Ihre humanistische Lebensauffassung. Alles das verbindet über Völker, Staaten und Kontinente hinweg. Die Idee eines freien, undogmatischen Humanismus eint Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen.
Der bundesweit als engagierter Humanist bekannte Berliner Religionswissenschaftler Werner Schultz unterstreicht diesen weltumfassenden Aspekt: "Oftmals wird ja gedacht, der Humanismus sei eine Sache der nördlichen Erdhalbkugel, von Westeuropa und Amerika, aber entscheidend ist, dass die Menschenrechte, die Selbstbestimmungsrechte der Menschen, in der Welt überall mit Füßen getreten werden. Gerade in der III. Welt ist das eine bedeutsame Problematik, die von den Politikern oft unterschätzt wird. Es bedarf großer starker Verbände, die weltweit das Recht des Menschen auf Selbstbestimmung, auf Freiheit, auf demokratische Entscheidung über seine Gegenwart und Zukunft, einklagen.
Es bedarf auch organisierter Zusammenschlüsse, die dafür eintreten, weil wir wissen, dass Parteipolitik enge Grenzen setzt. Gerade zu Fragen von ethisch-moralischer Begründung von Demokratie und von Freiheitsrechten bedarf es Organisationen, die sich dieses Themas annehmen. Die Diskussion über derartige Fragen wird zu sehr parteipolitisch geführt und viel zu wenig an Fragen des ethischen Selbstverständnisses aus der Sicht einer humanistischen Ethik ausgerichtet, die sich auf das vernünftige Denken der Menschen und den solidarischen Austausch von Ideen bezieht.
Es kommt nicht auf Erklärungen von Göttern, Geistern und höheren Mächten an, die es uns so wird immer wieder behauptet abnehmen können, die Entscheidungen des Lebens wirklich selbst zu treffen. Wir Humanisten sagen, das muss der Mensch selbst regeln, das muss er weltweit durchsetzen und zu dieser Arbeit kann der Welthumanistentag einen kleinen Beitrag leisten, indem er an diese große Aufgabe erinnert."
Entwicklung einer echten Weltgemeinschaft
Aussagen verschiedener humanistischer Organisationen ermöglichen es, die Inhalte dieser weltanschaulichen Position zu verdeutlichen: Der Deklaration "Neue Ethik für die Welt" der Internationalen Humanistischen und Ethischen Union (IHEU) kann man Überlegungen über die Erfordernisse unserer Zeit entnehmen:
"Der Humanismus, so glauben wir, kann eine wesentliche Rolle spielen, um die Entwicklung einer echten Weltgemeinschaft zu fördern. Wir empfehlen, das Folgende zu bedenken: Moralische Vorstellungen, die heute vorherrschen, haben oft ihre Wurzeln in alter Kirchen- oder Stammestreue. Absolutistische moralische Systeme entwickelten sich aus den Werten der ländlichen und nomadisierenden Gesellschaften der Vergangenheit. Sie liefern uns wenig nützliche Richtlinien für unsere postmoderne Welt. Wir müssen die besten moralischen Weisheiten der Vergangenheit übernehmen, aber wir müssen auch eine neue, stets überprüfbare Ethik entwickeln, die die rationalen Methoden der Wissenschaft verwendet, wie sie der zukünftigen Welt angemessen sind; eine Ethik, die die Würde und Freiheit jedes Menschen respektiert, aber auch eine weitergehende Verantwortung für die Mitmenschlichkeit im Ganzen zum Ausdruck bringt.
Die grundlegende Forderung, der die Menschheit heute gegenübersteht, ist die Notwendigkeit, weltweite ethische Grundsätze in Anerkennung gegenseitiger Abhängigkeit zu entwickeln. Erforderlich ist der Wille, verkrustete Haltungen zu ändern, die einen derartigen Konsens verhindern."
Wissenschaftliche Erkenntnis und Freiheit der Kultur
Der Bund für Geistesfreiheit Bayern (BfG) charakterisiert die Humanisten und ihre geistige Heimat folgendermaßen: "Ein freier Geist ist ein Mensch, der sich nicht bevormunden lässt. Ein kritischer Mensch, ein unabhängiger Mensch. In der Geistesfreiheit wird die Wirklichkeit zur Kenntnis genommen, so wie sie ist. Unverstellt und ungeschminkt. So wie sie sich ständig wandelt, ständig im Fluss ist. Kritik und Selbstkritik, Toleranz und Bildung sind die Grundwerte, denen wir uns verpflichtet fühlen. Wissenschaftliche Erkenntnis und Freiheit der Kultur stel-len die Eckpfeiler unserer Lebenseinstellung dar."
Der Humanistische Verband Nordrhein-Westfalen (HVD-NRW) schreibt über sich und die von ihm vertretenen Humanisten und kirchenfreien Menschen: "Wir sind eine überparteiliche Gemeinschaft, die den Glauben an ein Weiterleben nach dem Tod ablehnt und davon ausgeht, dass nicht übernatürliche Kräfte, sondern die Menschen selbst ihr Schicksal bestimmen. Wir setzen uns ein für den ethischen Humanismus, der die Würde des Menschen und das Recht des Individuums auf größtmögliche Entwicklungsfreiheit bejaht. Wir sind dafür, dass der Krieg als Mittel der Auseinandersetzung zwischen den Völkern endgültig geächtet werden muss. Wir wollen eine friedliche und sozial gerechte Weltordnung, in der kein Platz ist für Fremdenhass und nationale Vorurteile."
Die Freien Humanisten formulieren in ihrem "Humanistischen Menschenbild" mehrere Thesen. Die erste, überschrieben mit "Der Mensch ist ein biologisches Wesen", grenzt klar ab von religiösen Schöpfungsmythen und klärt die Einstellung zur Natur: Am Ende einer Entwicklungsreihe, die sich über Milliarden von Jahren von unbelebter zu belebter Materie auf unserer Erde vollzog, steht der Mensch. Er ist somit ein Produkt der Evolution. Über Jahrtausende stand er im Einklang mit der Natur. Mit der explosiven Steigerung seiner technischen Möglichkeiten greift er in zunehmendem Maße in die Umwelt ein. Dabei nimmt er gedankenlos oder bewusst Störungen und Zerstörungen ökologischer Systeme in Kauf... Nach dem Verständnis der Freien Humanisten ist der Mensch aber nicht "Herr der Erde", sondern ein Teil sich vielfältig überschneidender und wechselseitig bedingender Lebensgemeinschaften. Daraus ergibt sich für ihn die Ehrfurcht vor dem Leben. Sie bedingt seine Verantwortung für die Bewahrung und einen sorgfältigen Umgang mit der belebten und unbelebten Natur."
Besinnung nach innen - Präsentation nach außen
Vergleichbares findet man in Verlautbarungen der Ethical Societies, ethischen Gesellschaften in den USA, im norwegischen Human-Etisk Forbund oder in der British Humanist Association. Der Welthumanistentag ist für die humanistischen Verbände in Deutschland, die als Weltanschauungsgemeinschaften rechtlich den Kirchen gleichgestellt sind, sowohl ein Feiertag nach innen, als auch ein Anlass zur Präsentation nach außen.
In öffentlichen Erklärungen wenden sie sich an diesem Tag regelmäßig an die Öffentlichkeit. In einer dieser "Gemeinsamen Erklärungen" kann man folgendes lesen: "In weltweiter Verbundenheit begehen die Humanisten am 21. Juni ihren bedeutendsten Feiertag. Für Menschen, die ihr Leben frei von Dogmen ohne den Glauben an einen Gott verantwortungsvoll gestalten, stellt dieser Tag sowohl ein freudiges, als auch besinnliches Ereignis dar. Neben fröhlichen Treffen überall im Land wenden sich die Humanisten als Vertreter der kirchenfreien Menschen mit einem Appell an die Politiker und an ihre Mitmenschen. Sie fordern für sich Gleichberechtigung im christlich dominierten Deutschland. Darüber hinaus weisen sie auf ihre humanistischen Ideale hin, die geeignet sind, einen wichtigen Beitrag im gesellschaftlichen Leben unserer Tage zu leisten:
- Die Verfassungswirklichkeit diskriminiert kirchenfreie Menschen. WIR FORDERN für die neue deutsche Verfassung eine konsequentere Verwirklichung der Trennung von Staat und Kirche. Vorrechte der Kirchen in allen bestehenden Gesetzen sind abzuschaffen.
- Unsere Umwelt geht zugrunde, weil wirtschaftliche Interessen mit staatlicher Billigung höchste Priorität genießen. WIR FORDERN den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen auch um ihrer selbst willen.
- Humanisten und kirchenfreie Menschen gestalten ihr Leben nach ethischen Grundüberzeugungen, die für unsere moderne Industriegesellschaft in besonderer Weise geeignet sind. WIR FORDERN die Anerkennung der Tatsache, dass eine nichtchristliche Lebensauffassung keine schlechtere Lebensauffassung ist."
An diesem Beispiel wird deutlich, dass Humanisten derzeit immer noch einen wesentlichen Schwerpunkt ihrer Arbeit dem Kampf gegen ihre eigene Diskriminierung widmen müssen angesichts einer anhaltenden, staatlich unterstützten Einflussnahme der Kirchen auf weite Bereiche des gesellschaftlichen Lebens.