§ 166 StGB – „ein strafrechtliches Relikt“

Diskussion mit Bundestagsabgeordneter

Die anschließenden Arbeitsgruppen wurden durch einen Besuch der SPD-Bundestagsabgeordneten Doris Barnett, die der Freireligiösen Gemeinde angehört, unterbrochen. In einer kurzen Ansprache bezog sie Stellung zum Tagungsthema, wobei sie einräumte, sich zuvor noch nie näher mit dem betreffenden Paragraphen auseinandergesetzt zu haben. Wie nicht anders zu erwarten, trug das Plenum dieser Einschätzung der Relevanz des Zensurparagraphen Rechnung und schnitt in der Diskussion schnell andere Fragen an. Im Vordergrund stand dabei, wie es den Verbänden der Konfessionslosen gelingen könnte, mehr Gehör in der Politik zu finden. Hier stellte Doris Barnett klar, dass es auch für vernünftige Forderungen, wie zum Beispiel die Ersetzung des konfessionellen Religionsunterrichts durch einen integrativen Ethikunterricht, auf absehbare Zeit keine politischen Mehrheiten geben wird. Trotzdem gab sie eine Reihe von Anregungen, wie es den säkularen Kräften gelingen könnte, mit ihren Anliegen stärker zu den politischen Repräsentanten vorzudringen.

Ergebnisse der Arbeitsgruppen

Am Sonntagmorgen wurden die Ergebnisse der Arbeitsgruppen zusammengetragen. Die Einschätzung, dass die Verbände darauf hinwirken sollen, dass der § 166 StGB im Zuge der nächsten Strafrechtsnovelle abgeschafft wird, war einhellig. Die AG, die den Begriff des öffentlichen Friedens genauer unter die Lupe genommen hatte, trug vor, dass die rechtlichen Regelungen zu Beleidigung und Volksverhetzung für den Schutz eines friedlichen Zusammenlebens ausreichend seien. Der „Gotteslästerungsparagraph“ sei zwar im Moment ein zahnloser Tiger, doch könne sich dies schnell ändern. Derzeit gehe die vorherrschende Rechtsauffassung davon aus, dass maßgeblich für die Beurteilung, ob der öffentliche Friede durch eine „Religionsbeschimpfung“ gestört werden könne oder nicht, die Einschätzung eines angenommenen diskussionserprobten Durchschnittsdemokraten sei. Wenn sich diese Annahme in Richtung eines „kirchennahen Bürgers“ verschiebe, könne der Paragraph ohne irgendeine Veränderung am Gesetzestext eine Verschärfung erfahren.

Aus der AG, die sich mit dem Verhältnis von Blasphemie und Kunstfreiheit befasst hatte, kam der Vorschlag, ein Rechtsgutachten zur Überflüssigkeit des § 166 StGB in Auftrag zu geben.

Wer den Blick auf die europäische Ebene lenkt, kann derzeit keine einheitliche Entwicklung ausmachen. In den osteuropäischen Staaten wurden nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus entsprechende Gesetze überall eingeführt; Weißrussland unterstützt Bestrebungen islamischer Staaten bei der UNO, Religionskritik zu ächten. Bedenklich stimmt auch, dass in Irland zum Jahreswechsel ein neues Gesetz in Kraft getreten ist, dessen Auswirkungen auf öffentlich geäußerte Kritik an Kirche und Glaubensinhalten noch nicht absehbar ist. Auf der anderen Seite hat Großbritannien unlängst seinen Blasphemie-Paragraphen abgeschafft. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die „Venedig-Kommission“ des Europarates empfohlen hat, die Blasphemie-Regelungen in Europa nicht zu verschärfen. Mit den Mitteln des Strafrechts lässt sich ein gedeihliches Miteinander eben nicht herstellen. Dazu, so betonte Volker Mueller in seinem AG-Bericht, bedürfe es einer Ethik des verantwortungsvollen Miteinanders.

Kultureller Ausklang mit Tucholsky & Co.

Als nächster Schritt sollen die Ergebnisse der Tagung in einem Papier zusammengefasst werden. Dieses soll die Forderung nach Abschaffung des § 166 StGB im Zuge der nächsten Strafrechtsreform begründen und als Vorlage dienen, einzelne Bundestagsabgeordnete auf das Thema anzusprechen.

Die Tagung endete mit Kultur. Renate Bauer und Hilmar Kühn lasen „einschlägige“ Gedichte und Prosatexte von Shalom Auslander, Herbert Rosendorfer, Jürgen Becker und Kurt Tucholsky, die alle das Potential hatten, unter anderen gesellschaftlichen Bedingungen die Staatsanwaltschaft auf den Plan zu rufen. Die Verse von Gerhard Rühm, die sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche thematisierten, hätten allerdings auch dann kaum etwas zu befürchten – zu genau beschreiben sie, was da in kirchlichen Einrichtungen passiert ist und wie sich einzelne Würdenträger dazu verhalten haben. Oder wäre vielleicht gerade deshalb... ?

Martin Bauer