Die „Pille“ ist ein Geschenk...

Beispielbild
Carl Djerassi / Foto: Evelin Frerk
Im Eichsfeld

Meine Frau bekam vor ein paar Jahren einen Reportageauftrag, über ein Gebiet zu berichten und dort zu fotografieren, weil dort keine Kinder mehr geboren wurden und die Gemeinde sich überlegte, was sie dagegen tun könnte. Das Gebiet war das Eichsfeld.

Ich wusste zufällig etwas um die Besonderheit der Gegend, schwieg aber und sie fuhr nichts ahnend dorthin. Da sie vorher nicht wusste, dass das Eichsfeld eine Art katholischer Enklave darstellt, wunderte sie sich über die Wegkreuze und die Nonnen, bis es ihr klar wurde warum, und sie sich dann ironisch fragte, ob die jungen Paare, von denen sie einige sah, keinen Sex mehr miteinander hätten. Natürlich hatten sie, aber eben auch die Pille.

Papst Paul VI. wusste sehr genau, warum er diese moderne Errungenschaft der selbstbestimmten und relativ sicheren Empfängnisverhütung so eindeutig missbilligt und damit für Katholiken verboten hatte.

Priesternachwuchs kommt abhanden

In der Tradition des deutschen katholischen Bürgertums, bei denen noch in der Kaiserzeit und den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts acht Kinder relativ normal war, von denen – rein statistisch – vier Knaben und vier Mädchen waren, hatte der erstgeborene Stammhalter in die Fußstapfen des Vaters zu treten, aber für die weiteren drei Söhne war es dann eine häufige Sitte, dass einer zum Militär ging und der zweite Priester wurde.

Je mehr sich nun die Zahl der Kinder pro Familie verringerte, desto weniger gab es diese der Kirche und dem Militär ‚gestifteten’ Kinder. Die Pille setzte in der gewünschten Kinderzahl die Möglichkeit um, dass das bäuerliche Prinzip der Altersversorgung durch die Kinder von der Sozialversicherung abgelöst war und nun die Kinderzahl der Wunschzahl und der Größe der Neubau-Etagenwohnung entsprechend auf ein bis zwei reduziert wurde. Egal was die katholische Kirche dazu meinte. Die innerkirchliche Folge war ein deutlicher Rückgang in den Priesterkandidaten – woher sollten sie auch noch kommen? Das Zölibat dafür vorrangig verantwortlich zu machen, greift zu kurz.

Der demographische „Pillenknick“

Wenn, wie Frau Käßmann zitiert wird, die Pille auch als „ein Geschenk Gottes" zu betrachten sei, dann meint es dieser von ihr berufene Gott aber verdammt schlecht mit seinen Kirchendienern in Deutschland.

In den zwanzig Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Deutschland rund 80 Prozent der Kinder in so genannten „religiös homogenen Ehen“ geboren, d. h. Mutter und Vater waren beide römisch-katholisch oder beide evangelisch. Die Jahre zeigen eine ansteigende Gebärfreudigkeit, die Zahl der geborenen Kinder stieg Jahr um Jahr und erreichte 1964 ihren Gipfelpunkt mit rund 1,1 Mio. Geburten. Von diesen Säuglingen wurden rund 800.00 in „religiös-homogenen“ Ehen geboren, was bedeutete, dass sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch entsprechend getauft wurden. Dann, nach 1964, setzt sich auch die drei Jahre zuvor in Deutschland eingeführte Pille durch, und es beginnt der so genannte „Pillenknick“, der sich erst 1980-1985 wieder ‚stabilisiert’. Die Zahl der Geburten hat sich in diesen Jahren des „Pillenknicks“ von den rund jeweils 400.000 Kindern evangelischer bzw. römisch-katholischer Eltern halbiert und noch weiter verringert. 1985 werden nur noch 180.000 von römisch-katholischen Eltern und 133.000 von evangelischen Eltern geboren.

Da entsprechend dieser Verringerung der Kinder aus „religiös-homogenen“ Ehen auch die Zahl der Täuflinge sinkt, verringert sich zum einen der absolute Nachwuchs an jüngeren Kirchenmitgliedern und da der „religiös-homogene“ Anteil der Eltern an allen Eltern insgesamt sinkt, verringert sich zudem ihr Anteil auch relativ zu allen Geburten.

In den Jahren ab 1970 öffnet sich zudem ein wichtiger Unterschied, indem der Anteil der Geburten in evangelischen Ehen sich stärker verringerte, als bei den katholischen Eltern. In evangelisch-homogenen Ehen werden rund 30-50.000 Kinder weniger geboren als in katholisch-homogenen Ehen, d. h. in den Jahren 1980 bis 2000 sind rund 400.000 mehr Kinder von katholisch-homogenen Eltern gezeugt und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch getauft worden. Die 1980 Geborenen sind heute bereits 30 Jahre alt, stehen mitten im Berufsleben, zahlen ihre Kirchensteuern, und dieser größere Anteil jüngerer Erwerbstätiger als Kirchenmitglieder beschert der katholischen Kirche in Deutschland in den vergangenen Jahren pro Jahr zwischen 300 bis 500 Millionen Euro mehr an Kirchensteuern als ihren evangelischen Glaubensbrüder.

Nach 1980 hat sich dieser „demographische Pillenknick“ zwar verlangsamt, er hält aber unvermindert an, und ist neben der allgemeinen Säkularisierung in Westeuropa eine der wesentlichen Einflussgrößen, die zur Verringerung der Zahl der Kirchenmitglieder führt.

Fazit

Die so genannte „sexuelle Revolution der 1968er“ ist nicht nur eine mediale Erfindung, sondern versperrt auch den Blick darauf, wie seit 1961 die Familien in Deutschland selbstbewusst die Anzahl der Schwangerschaften auf ihre Wunschkinderzahl reduzierten und insofern die „sexuelle Befreiung“ einer unbeschwert gelebten Sexualität für viele Realität werden konnte.

Wie weit diese „Emanzipation“ jedoch auch wieder verharrte, zeigt sich u. a. in der Fixierung auf die Zeugungsfähigkeit des Mannes, deren Diskussion gesellschaftlich immer noch kaum möglich ist.

Auch wenn die Nebenwirkungen der Pille über die Jahre reduziert werden konnten, bleibt es ein chemischer Eingriff. Paare, die zusammen Kinder zeugen wollen und ihre Wunschkinder bekommen haben, sind etwa im Alter von 35 (die Frau) bzw. 40 Jahren (der Mann). Warum sollte also der Mann und Vater sich in diesem Alter nicht entscheiden, sich freiwillig sterilisieren zu lassen, d. h. seine Zeugungsfähigkeit, die in seiner weiteren Lebensplanung eigentlich überflüssig geworden ist, zu beenden? Es ist nur ein kurzer ambulanter Eingriff (das Durchtrennen der Samenstränge), nur rund zwei Prozent des Ejakulats des Mannes sind Spermien, die Erektionsfähigkeit bleibt organisch davon völlig unbelastet und die Frau braucht keine Pille mehr zu nehmen.

Dagegen stehen jedoch noch so viele Emotionen und Ängste, insbesondere auch Unkenntnisse auf Seiten vieler Männer, dass der klassische christliche Satz, dass kein einziges Sperma verloren gehen darf (Monthy Python: „every sperm is sacred, every sperm ist great“), weiterhin seine überflüssige Geltung behält, als dass Paare, die keine weiteren Kinder wollen, sich tatsächlich von diesem Zeugungszwang einfacher befreien könnten als mit der Pille.

Carsten Frerk