„Denkmal der Grauen Busse”

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"Denkmal der Grauen Busse", Fotos: Elke Schäfer

PIRNA. (hpd) 70 Jahre nach den ersten Transporten von geistig Kranken in die Tötungsanstalt Pirna Sonnenstein soll die Erinnerung an diese Verbrechen ins öffentliche Blickfeld gerückt werden.

Am 24. Juni kam mittels Schwerlasttransport das mobile „Denkmal der Grauen Busse” nach Pirna. Organisiert hatten die Aufstellung des Mahnmals der ehemalige Bürgermeister von Pirna und jetzige Sächsische Innenminister Markus Ulbig, der Oberbürgermeister der Stadt Pirna Klaus-Peter Hanke sowie der Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten Siegfried Reiprich.

Das Denkmal ist ein in Beton gegossenes Abbild des Bustyps, mit dem ab Juni 1940 immer wieder Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen abtransportiert worden sind.

Das Original befindet sich im Besitz der Stadt Ravensburg sowie des Zentrums für Psychiatrie „Die Weißenau” und wurde von den Künstlern Dr. Horst Hoheisel und Andreas Knitz geschaffen. Es erinnert an die Todestransporte der 70.000 Opfer der NS-„Euthanasie-Aktion” in den Jahren 1940 und 1941.
In Ravensburg blockiert ein in Segmente aufgeschnittener, begehbarer grauer Bus dauerhaft die Pforte der ehemaligen Heilanstalt Weißenau, aus dem die Todesbusse der „Euthanasie-Aktion” das Gelände verließen.

Ein zweiter Denkmalbus wechselte im Laufe der Jahre seinen Standort, um so die Erinnerung in die Regionen zu tragen und wird in Pirna für ein Jahr an die Opfer der Jahre 1940/1941 erinnern. Pirna-Sonnenstein war eine von sechs Tötungsanstalten der „Euthanasie-Aktion”, bei der mindestens 14.751 Männer, Frauen und Kinder aufgrund ihrer Behinderung oder psychischen Krankheit im Zuge der „Aktion T4” systematisch getötet wurden.

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Gedenkstätte oberhalb der Pirnaer Altstadt gibt es seit zehn Jahren. Das 1991 gegründete Kuratorium Gedenkstätte Sonnenstein e. V. hatte jahrelang um diese Einrichtung gekämpft. Zuvor waren die Euthanasie-Verbrechen und die Rolle von Pirna-Sonnenstein als Tötungsanstalt der Nazis jahrzehntelang kein Thema in der Stadt. Bereits kurz nach dem Krieg waren die Verbrechen auf dem Sonnenstein vergessen. Trotz der 1973 angebrachten kleinen Gedenktafel wusste Ende der 80er Jahre kaum noch einer der nach dem Krieg geborenen Pirnaer um dieses Zentrum des Massenmordes unter nationalsozialistischer Herrschaft.

Aus der Geschichte des „Sonnenstein”

Bereits 1811 wurde die Anlage am Schloss Pirna zur Anstalt für als heilbar angesehene Geisteskranke. Sie hatte wegen ihres reformpsychiatrischen Konzepts einen guten Ruf. Der Sonnenstein entwickelte sich zu einer im In- und Ausland anerkannten Heilstätte. Die für damalige Zeit beachtlichen Heilerfolge beruhten auf der humanen Beschäftigung mit den Patienten, wobei auf einschränkenden Zwang, Isolierung und Bestrafung weitestgehend verzichtet wurde. Nach den Befreiungskriegen war es Gottlob Adolf Ernst von Nostitz und Jänkendorf, der die Heilanstalt für Geisteskranke reformierte. Zwischen 1855 und 1914 wurde die Anstalt durch zahlreiche Neubauten erweitert. Ende der 20er Jahre waren dort über 700 Patienten untergebracht, die von 7 Ärzten und 120 weiteren Beschäftigten betreut wurden.
Ab 1922 beherbergte sie die staatliche Pflegerschule, die ebenfalls einen sehr guten Ruf als Ausbildungsstätte hatte.
Als Prof. Hermann Paul Nitsche 1928 zum Direktor berufen wurde, begann die systematische Ausgrenzung der chronisch psychisch Kranken. Als Befürworter der „Rassenhygiene“ und „Euthanasie“ setzte er Zwangssterilisationen, fragwürdige „Zwangsheilbehandlungen“ und „Verpflegungssparrationierungen“ gegen „erbkranke“ Patienten durch. Die Anstalt wurde im Herbst 1939 durch einen Erlass des sächsischen Innenministers geschlossen.

„Aktion T4”

Im Oktober 1939 unterzeichnete Hitler ein Schreiben, in dem er seinen Arzt Dr. Brandt und den Leiter der Kanzlei des Führers Bouhler anwies, die Ermordung „unheilbar” Kranker zu organisieren. Brandt und Bouhler schufen unter Beteiligung von 4 Institutionen eine Organisation, die mit der Ermordung von „unheilbar” Kranken beauftragt war. Nach dem Dienstsitz der Zentrale in der Berliner Tiergartenstr. 4 wurde sie „T4” benannt.
Diese Zentrale ließ seit Herbst 1939 in Altersheimen, psychiatrischen Kliniken und Einrichtungen der Behindertenpflege Meldebögen ausfüllen, nach deren flüchtiger Auswertung über Leben oder Tod entschieden wurde.
In den Jahren 1940/41 wurden im Deutschen Reich sechs Euthanasie-Anstalten eingerichtet. Neben dem alten Zuchthaus in Brandenburg waren das die psychiatrischen Einrichtungen in Grafeneck (bei Stuttgart), Bernburg (bei Magdeburg), Hadamar (bei Frankfurt), Hartheim (bei Linz) und die ehemalige Heilanstalt Pirna. Einen Teil der 1939 aufgelösten Anstalt auf dem Pirnaer Sonnenstein dafür zu nutzen, entschied man 1940. Ein Komplex von 4 Häusern wurde mit Mauern umgeben und im Keller des Gebäudes C16 wurde eine Gaskammer und ein Krematorium eingebaut. Am 28. Juni 1940 trafen die ersten 10 Männer aus Waldheim ein und mit ihnen begann der Massenmord.

Obwohl die Patienten oft sofort nach ihrer Ankunft durch Kohlenmonoxyd getötet wurden, täuschten die Anstalten die Angehörigen mit fingierten Briefen. Erst nach einigen Wochen erhielten die Familien die Todesnachricht mit Ursachen anderer Krankheiten, oft auch von einer der anderen Anstalten verfertigt, um die Morde zu vertuschen.
Nach einer vorübergehenden Verlegung der Patienten nach Arnsdorf, Großschweidnitz und Zschadraß starben auf dem Sonnenstein unter anderem auch Bewohner der Altenheime Augustusburg, Coswig, Bad Gottleuba und Kamenz. Auf diesem Umweg, der die Nachforschungen der Angehörigen erschweren und die Morde verschleiern sollte, kamen ca. 9.000 Menschen in die Tötungsanstalt Sonnenstein. Im Frühjahr 1941 wurde die Aktion auf Häftlinge ausgeweitet, die durch Krankheit oder Verletzungen „arbeitsunfähig” geworden waren. Unter diese Aktion fielen auch Häftlinge aus politischen oder rassischen Gründen.
Unter der Leitung des Arztes Horst Schumann wurden in Pirna von Juni 1940 bis August 1941 13.720 Patienten sowie 1.031 KZ-Häftlinge durch Vergasung getötet. Im Juli 1941 wurden sogar 187 Häftlinge aus Buchenwald zum Töten auf den Sonnenstein gebracht. Die Hälfte von ihnen waren Juden. Auch ein Zug aus dem KZ Auschwitz mit 575 Polen traf Ende Juli 1941 in Pirna ein. Wegen des verbreiteten Gerüchts, Kranke und Erschöpfte in ein Sanatorium in die Nähe von Dresden zu entsenden, hatten sich viele freiwillig auf die Transportliste setzen lassen. Sie alle endeten in der Gaskammer von Pirna Sonnenstein.

Das Ende und doch kein Ende
Durch Weisung von Adolf Hitler wurde am 24. August 1941 diese Aktion gestoppt. Dafür gab es mehrere Gründe: Der erste war, dass der Bischof von Münster Clemens August Graf von Galen die Morde in einer Predigt öffentlich gemacht und angeprangert hatte und der zweite, dass man während des Krieges gegen die Sowjetunion keine Unruhen im eigenen Land haben wollte. Nach der Beseitigung aller Spuren wurden die Gebäude als Lazarett der Wehrmacht zur Verfügung gestellt und als Umsiedlerlager eingerichtet.
Der Abbruch der „Aktion T4” bedeutete aber nicht, dass keine Krankentötungen mehr vorgenommen wurden. Das Morden ging in großem Stil weiter. Hinzu kamen Morde an arbeitsunfähigen Zwangsarbeitern, verletzten Wehrmachtssoldaten und durch Kriegseinflüsse Verwirrten. Sie wurden mit Medikamenten vergiftet oder durch Nahrungsentzug getötet. Diese Morde geschahen dezentral in vielen Heil- und Pflegeanstalten wie z. B. in Großschweidnitz.

70 Jahre danach

Die Begleitausstellung zum Denkmal befindet sich in den Räumen der Filiale Pirna der Ostsächsischen Sparkasse Dresden, Ecke Gartenstraße/Grohmannstraße und kann während der Öffnungszeiten der Bank kostenfrei besichtigt werden. Dort sind auf großen Tafeln die Stationen des „Grauen Busses” in den letzten Jahren dokumentiert, sowie ein kurzer Überblick über das Kapitel „Euthanasie-Aktion” gegeben. Vom Standort des Denkmals in der Nähe des Altstadtzentrums von Pirna soll man mittels eines künftig angebrachten Spiegels direkt zum Sonnenstein blicken können. Der eigentlich gewünschte Standort direkt unterhalb des Sonnensteins konnte wegen des Gewichtes des Denkmals (über 75 Tonnen) nicht realisiert werden. Im Moment kann man durch die wenige Schritte entfernte Jacobäerstr. hinauf zum Sonnenstein blicken, wo gerade sehr umfangreiche Bauarbeiten am Schloss und Schlosshof begonnen haben.


Die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein, das Kuratorium Altstadt Pirna e. V., das Kuratorium Gedenkstätte Sonnenstein e. V., die Stadtverwaltung Pirna und die Aktion Zivilcourage e. V. bereiteten ein umfangreiches Rahmenprogramm u. a. mit Vorträgen, Filmen und Lesungen vor.
Seit dem Jahr 2000 beherbergt die Gedenkstätte auf dem Sonnenstein eine Dauerausstellung zur „Euthanasie-Aktion” 1940/41. Mittels vieler Originaldokumente wird die Entwicklung einer humanen Heilanstalt zur Tötungsanstalt im gesellschaftlichen Umfeld aufgezeigt.
In den zur Tötung benutzten Kellerräumen des Hauses C16, welches seit 1995 rekonstruiert wurde, befindet sich die Gedenkstätte.

Im Raum der Stille sind auf 3 deckenhohen Glastafeln die bisher 14.560 ermittelten ermordeten Personen mit Name und Geburtsjahr verzeichnet. Im Gedenkraum sind stellvertretend für alle Mordopfer vom Sonnenstein 22  Lebensgeschichten und deren Leiden in Wort und Bild in zwei Reihen auf mannshohen Pfählen dargestellt.
Seit dem Jahr 2002 endet hier in den Kellerräumen der Gedenkstätte auch die „Gedenkspur”. Sie besteht aus 14.751 bunten Kreuzen (teilweise bereits nummeriert) und führt vom Elbufer aus über den Markt, am Rathaus vorbei hinauf zum Schloss, über den Schlosshof in den Keller der Gedenkstätte. In Zukunft soll unter jedem Kreuz die fortlaufende Zahl der Ermordeten stehen. Diese Spur soll dazu beitragen, dass ein lange verdrängtes Kapitel der Geschichte ins öffentliche Bewusstsein rückt. Von Jugendgruppen in Pirna wird sie immer wieder erneuert, da die Ziffern und Kreuze im Laufe der Zeit verblassen, die Erinnerung daran aber wach gehalten werden soll.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Elke Schäfer