Nach der Entscheidung von Leipzig

"Den Bürgern dieser Stadt verpflichtet – nicht irgendeiner Kirche!"

LEIPZIG. (hpd) Die Mitglieder der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) und Organisatoren der Protestaktion “11. Gebot: Du sollst Deinen Kirchentag selbst bezahlen!” zeigen sich enttäuscht über die Zustimmung der Leipziger Ratsversammlung zur Subventionierung des Katholikentags 2016 mit 1 Mio. Euro.

Für die Aktivisten war die Spannung zum Greifen nah: Zwar wurde bereits am Tag vor der Abstimmung in der Presse kolportiert, dass sich eine Mehrheit für die Subventionierung des katholischen Glaubensfestes aussprechen werde, doch noch hatte man die Hoffnung nicht aufgegeben: Die Organisatoren hatten sich zuvor in 2 öffentlichen Briefen mit zahlreichen Argumenten, der mahnenden Moses-Skulptur in der Leipziger Innenstadt und der kostenlosen Übersendung des Violettbuchs Kirchenfinanzen an die Abgeordneten der Leipziger Ratsversammlung gewendet.

Ziel war es, pünktlich zum 100. Katholikentag die Tradition zu begraben, dass der Staat diese religiösen Missionierungsveranstaltungen bezuschusst, und stattdessen die seit 1919 (!) in Deutschland “hinkende Trennung” von Staat und Kirche endlich von wenigstens einer Krücke zu befreien.

Wo könnte man diesem Ziel näher kommen, als im atheistischen Leipzig, in dem gerade mal 20 Prozent einer der beiden christlichen Kirchen angehören?

Doch vergebens. Vermutlich so knapp wie nie, mit 33 Ja-Stimmen zu 26 Nein-Stimmen (bei 5 Enthaltungen), biedert sich selbst das einst so progressive Leipzig den Veranstaltern mit 1 Mio. Euro an.

Dabei hatten diese bereits öffentlich bekundet, auf jeden Fall in die Messestadt zu kommen – ein Beleg dafür, dass man auf den Zuschuss der hochverschuldeten Stadt gar nicht angewiesen ist. Aller angepriesenen Vorteile des Katholikentages (Imagegewinn, “Umwegrendite” und ein “kulturelles Event” für die Leipziger) konnten sich die Abgeordneten also auch bereits vor der Abstimmung sicher sein.

Anders als bei kulturellen oder sportlichen Ereignissen stand das “Ob” der Veranstaltung mithin gar nicht auf dem Spiel. Es war das naheliegendste Argument gegen einen Zuschuss und doch sprach es niemand aus. Dass sich die Fraktionen der CDU und SPD mit verfassungsrechtlichen Argumenten nicht beeindrucken lassen, wurde den Aktiven vom 11. Gebot recht schnell klar. Welch’ Armutszeugnis für einen demokratischen Verfassungsstaat, in dem der Verweis auf die Verfassung als “rechtliche Hochreckübung” abgekanzelt wird (so Axel Dyck, der Vorsitzende der SPD-Fraktion). Einzig die Leipziger Piratenpartei bekannte sich bereits im Vorfeld zur weltanschaulichen Neutralitätspflicht: Die 29-Jährige Studentin Kathrin Weiss hatte sich nach Medienberichten als “Kirche” verkleidet, um in einer Mini-Protestaktion vor dem Neuen Rathaus die Scheidung vom schwarz gewandeten Staat zu zelebrieren.

Die Wortmeldungen im Stadtrat führten deutlich vor Augen, wie sehr eine Denkfabrik für Humanismus und Aufklärung – wie sie die gbs ist – in Deutschland benötigt wird. Aufgeräumt werden muss insbesondere mit dem auch gestern ins Feld geführten Mythos vom christlich-jüdischen Abendland und der Caritas-Legende. Es ist traurig, dass mit Naoma Pia-Witte ausgerechnet eine Abgeordnete der LINKEN (die glücklicher Weise nur für sich selbst und nicht die gesamte Fraktion sprechen wollte) diesen Lügen aufgesessen ist.

Ihrer Ansicht nach, sei die Trennung von Kirche und Staat natürlich richtig, aber die zunehmende Trennung von Kirche und Gesellschaft empfindet sie als gefährlich. Glücklicher Weise fand sich mit Bert Sander von den Grünen eine Stimme der Vernunft: Er erinnerte an den Aufklärer Christian Wolff, der auch in Leipzig dozierte und schon im Jahr 1721 in seiner “Rede über die praktische Philosophie der Chinesen” feststellte, dass auch Chinesen eine hohe Moral haben – ohne dass sie der christlichen Religion anhingen.

William Grosser, Wirtschafts- und Beschäftigungspolitischer Sprecher der LINKEN im Stadtrat, wollte ebenfalls nicht über die Trennung von Staat und Kirche sprechen, denn dies könne nicht im Stadtrat entschieden werden, sondern müsse andernorts erfolgen. Auch dies wirkt befremdlich: Natürlich muss das geltende Religions- und Weltansschauungsrecht, wie es in unserer Verfassung festgeschrieben ist, ausgelegt werden. Doch zu einer Interpretation und damit der Beziehung einer klaren Position sind zunächst die Rechtsanwender (hier: die Abgeordneten) berufen. Erst im Streitfall kann “andernorts” – z.B. in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht – darüber entschieden werden.

Die Weitere Argumentation von William Grosser lag hingegen ganz auf der Linie der Aktiven vom 11. Gebot: “Immer wieder war Geldmangel der Grund seitens der Stadt, Projekte wie das Stadtbad und andere Dinge abzulehnen. Ist es Populismus, darauf hinzuweisen, dass in Leipzig immer noch 22.000 Langzeitarbeitslose leben?”

Beifall verdiente auch die prägnante Zusammenfassung: “Wir Stadträte sind den Bürgern dieser Stadt verpflichtet und nicht irgendeiner Kirche.” Zum Schluss bemühte er als einziger Redner doch noch einmal die Verfassung, konkret den Gleichheitsgrundsatz: Direkt an Bettina Kudla (CDU) gewandt fragte er diese, wie sie sich verhalten würde, wenn demnächst Buddhisten, Muslime und andere Glaubensrichtungen eben solche Forderungen erheben würden. Die Frage drängt sich auf – sie führt am deutlichsten vor Augen, dass die bisher gelebte Praxis der (angeblichen) “gleichmäßigen Förderung” der Glaubensgemeinschaften in unserer heutigen pluralen Gesellschaft zum Scheitern verurteilt ist und der Staat daher einfach gar keine religiös oder weltanschaulich geprägten Veranstaltungen fördern sollte. Die Frage wurde auch im Vorfeld der Abstimmung diskutiert – nur nicht gestern während der Ratsversammlung.

Schuldig blieb das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) auch die Antwort auf die Anfrage von Michael Schmidt (B’90/Die Grünen), weshalb die anderen deutschen Bistümer nicht einfach ihren Glaubensbrüdern zur Seite springen (man möchte ergänzen: und stattdessen ein nicht ganz so reiches Bistum und ein noch ärmeres ZdK vorschieben).

Daneben blieb offen, warum die öffentliche Hand nicht (wie bislang üblich) ein Drittel, sondern stolze 46 Prozent der Kosten übernehmen soll. Zu Recht räumte der Vertreter der Grünen mit dem zuvor auch schon von Ursula Grimm (CDU) angeführten Argument auf, das ZdK sei eine Laienorganisation und nicht so wohlhabend wie die katholische Kirche selbst: Tatsächlich habe das Bistum das ZdK eingeladen, und nicht umgekehrt. Das ZdK wiederum wusste um die hohe Verschuldung der Stadt Leipzig. Man habe sich bewusst Leipzig zum Missionieren ausgesucht, dann müsse man auch mit den Konsequenzen leben und dürfte nicht so viel Geld fordern.

Eine Steilvorlage gegen die Bezuschussung des Katholikentages lieferte unverhofft die CDU-Fraktionsvorsitzende Ursula Grimm, als sie beklagte, dass bei anderen Veranstaltungen solche Debatten nicht geführt würden. “Geht es jedoch um kirchliche Angelegenheiten, da kocht scheinbar die Volksseele!” Unbewusst wies sie damit auf das Potential von Religionen jeder Art hin, eine Gesellschaft eher in Gruppen zu spalten als sie zu verbinden. Künstlerische Werke und Darbietungen hingegen haben dies allein nie vermocht – hierzu bedurfte es immer einer dienenden Religion bzw. Weltanschauung (man denke nur an die Mohammed-Karikaturen). Um den Religionsfrieden nicht zu stören, sollte der Staat daher gar keine Religion finanziell unterstützen. Auch dieses Argument blieb jedoch leider unerwähnt.

Mehrmals wurde den Kritikern der öffentlichen Bezuschussung in den Redebeiträgen Scheinheiligkeit attestiert, da die Ablehnung des Katholizismus mit dem Gerangel um den finanziellen Nutzen des Katholikentages verknüpft werde. Die Aktivisten vom “11. Gebot” entgegnen dem, dass der Staat sich gerade weltanschaulich neutral verhalten müsse und Leipzig daher eine Geldzahlung gar nicht von einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Christentum abhängig machen darf. Genau deshalb habe man insbesondere im zweiten öffentlichen Brief und auch in der Pressemitteilung vom 16.09.2014 weitgehend ideologiefreie Argumente angeführt. Es sollte gezeigt werden, dass sich nicht nur “erbitterte Kirchenfeinde” gegen die Subventionierung aussprechen, sondern dass auch viele objektive Argumente vorliegen.

Es fällt schwer, den Spitzenreiter auf der (nach oben scheinbar offenen) Skala des unzutreffendsten Arguments auszumachen. Ein heißer Kandidat hierfür wäre jedoch Axel Dyck, Fraktionsvorsitzender der SPD. Seine Einstellung, den Katholikentag, wie auch einen evangelischen Kirchentag zu unterstützen, begründete er wie folgt: “Keine andere gesellschaftliche Kraft – und die hier im Rat vertretenen Parteien schon gar nicht –, ist aktuell in der Lage, in solch gebündelter Form, Breite und thematischer Vielfalt die uns alle drängenden Fragen des Zusammenlebens der Menschen in Deutschland und darüber hinaus streitbar zu diskutieren.” Dies ist nicht weniger als eine Bankrotterklärung gegenüber der pluralistischen und demokratischen Republik!

Axel Dyck bringt damit zum Ausdruck, dass gesellschaftliche Debatten ohne kirchliche Leitung demnach nicht funktionieren würden und Diskussionen in den Parlamenten nicht die notwendige Qualität hätten.

Während der fehlende Tiefgang parlamentarischer Debatten gerade an der Diskussion über die Bezuschussung des Katholikentages noch nachvollzogen werden kann – muss doch dringend davor gewarnt werden, die Kirche als vermeintliche moralische Instanz vom Bock zum Gärtner zu machen: Die Kirche ist selbst Ziel breitgefächerter Kritik. Warum sollten die Steuerzahler gerade bei den “drängenden Fragen des Zusammenlebens der Menschen” eine Partei des Konflikts zum Moderator bestimmen? Warum sollten sie einen Blankoscheck erteilen und ohne Kontroll- und Sanktionsmöglichkeit auf einen fairen Dialog vertrauen? Warum sollten die wissenschaftlichen Institutionen solche Debatten nicht viel besser führen können – war es doch gerade die Wissenschaften, die unserer Gesellschaft in den letzten Jahrhunderten den Schub nach vorn gegeben haben?

Als nicht weniger zynisch kann es bezeichnet werden, dass die SPD wenige Stunden vor der Abstimmung den Änderungsantrag einbrachte, dass nach Ende des 100. Katholikentages dem Stadtrat eine Aufstellung der direkt an die Stadt (inklusive der städtischen Unternehmen) zurückgeflossenen Mittel vorgelegt werde.

Hier muss gefragt werden, weshalb die Stadt überhaupt erst Geld an die Veranstalter auszahlen soll, um es später wieder abzurechnen. Weshalb gewährt die Stadt – wenn überhaupt – nicht erst die Sachleistung und gewährt dann den Veranstaltern eine großzügige Zahlungsfrist?

Eine Stadt ohne Barreserven kann es sich nicht leisten, Geld zu verteilen und damit anderen einen Kredit zu verschaffen. Auch dies ist ein vollkommen ideologiefreies Argument, dass die Stadträte schon allein aufgrund des kommunalrechtlichen Sparsamkeitsgebots hätten berücksichtigen müssen, doch man machte sich gar nicht Mühe, die geltenden Bestimmungen zur Vergabe von Fördermitteln für Kultur- bzw. Sportveranstaltungen einmal zu Rate zu ziehen.

Nur weil mehr Teilnehmer als sonst erwartet werden, tut man nun so als wären die existierenden Regelungen nicht anwendbar und die FDP geriert sich als weiser Vermittler, indem sie vorschlägt, für die Zukunft eine Richtlinie über die Förderung von Großveranstaltungen zu erarbeiten. Solange ein solcher Kriterienkatalog nicht existiert, hätte man sich wenigstens an den bestehenden Richtlinien orientieren können. Stattdessen tauschte die FDP ihre Zustimmung gegen das Versprechen ein, eine solche Richtlinie für die Zukunft zu erarbeiten. Die Bürger Leipzigs können also beruhigt sein: In Zukunft wird die Missachtung der Verfassung wenigstens durch eine städtische Richtlinie “gedeckt” sein.

Das Abstimmungsverhalten der FDP kann somit nur enttäuschen: Eine liberale Partei, die den Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche nicht beherzigt, verdient dieses Attribut nicht. Während der Landesverband der FDP beschlossen hatte, die Staatsleistungen an die christlichen Kirchen sowie weitere Privilegien zu beenden, verkommt die FDP im Leipziger Stadtrat zum Fähnchen im Wind: Ursprünglich tendierte die Fraktion genauso zu einem “nein”, wie ihre FDP-Kollegen im Stadtrat von Münster. Die sprachen sich deutlich gegen die Bezuschussung des für 2018 in Münster geplanten Katholikentages aus.

Die Erwiderung der Leipziger FDP, man sei nicht das “Stimmvieh des Oberbürgermeisters”, wirkt angesichts ihres lauen Kampfes für klassische liberale Werte wie der Freiheit von Religion wenig überzeugend. Es bleibt zu hoffen, dass die FDP in Münster mehr Standhaftigkeit beweist. Die Aktiven vom 11. Gebot werden sie jedenfalls wieder gemeinsam mit “Moses” unterstützen.