Wenn sich Geschwister lieben

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Paar an der Spree (Symbolfoto)
Paar an der Spree (Symbolfoto)

BERLIN. (hpd) Der sog. Inzest ist in Deutschland unter Strafe gestellt. Das Strafgesetzbuch bedroht den vollzogenen Beischlaf unter Geschwistern mit einer Strafe von bis zu drei Jahren. Schon seit längerem gibt es Bestrebungen, diesen Paragrafen 173 zu entschärfen. Gestern hat der Ethikrat eine neue Stellungnahme dazu abgegeben.

Auch der Ethikrat konnte sich nicht zu einer einheitlichen Haltung bei diesem sehr tabuisierten Thema durchringen. 14 Mitglieder des Gremiums unterstützen die 80-seitige Stellungnahme zum Inzestverbot, neun Mitglieder vertraten eine abweichende Meinung und zwei enthielten sich bei der Abstimmung.

Der einschlägige § 173 StGB sagt: “(1) Wer mit einem leiblichen Abkömmling den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer mit einem leiblichen Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft; dies gilt auch dann, wenn das Verwandtschaftsverhältnis erloschen ist. Ebenso werden leibliche Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen.” Personen unter 18 Jahren sind von diesen Regelungen ausgenommen.

Auslöser für die neu entflammte Diskussion war eine Familie aus Sachsen, die sich erfolglos durch mehrere Instanzen klagten. “Patrick S., geboren 1976, wurde mit sieben Jahren adoptiert, hatte keinen Kontakt zu seiner Ursprungsfamilie. 2000 nahm er Kontakt zu seiner leiblichen Mutter und seiner 1984 geborenen leiblichen Schwester Susan K. auf. Zu ihr entwickelte sich bald eine enge Beziehung. 2001, 2003, 2004 und 2005 kamen Kinder zur Welt.”

Selbst wenn sich für Patrick S. und Susan K. juristisch nichts mehr ändern wird, hofft der Ethikrat, mit ihrer Stellungnahme den Gesetzgeber dazu zu bringen, den Strafgesetzparagrafen zu überarbeiten. Er gibt die Empfehlung, einvernehmlichen Sex unter Geschwistern über 18 Jahren nicht mehr unter Strafe zu stellen.

Der Ethikrat erklärte, dass Geschwisterinzest nach allen verfügbaren Daten in den westlichen Gesellschaften sehr selten zu sein scheint. “Betroffene schilderten aber, wie schwierig ihre Situation angesichts der Strafandrohung sei. Sie fühlten sich in ihren grundlegenden Freiheitsrechten verletzt und zu Heimlichkeit oder Verleugnung ihrer Liebe gezwungen.” Deshalb - und wegen einer Entscheidung des des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus dem Jahr 2012 - befasste sich der Ethikrat mit der Thematik.

Nach Auffassung des Gremiums hat das Strafrecht “nicht die Aufgabe, für den Geschlechtsverkehr mündiger Bürger moralische Standards oder Grenzen durchzusetzen, sondern den Einzelnen vor Schädigungen und groben Belästigungen zu schützen.” Er sieht im Fall einvernehmlichen Inzests unter volljährigen Geschwistern auch nicht die Möglichkeit, dass die Geburt von Kindern ein strafrechtliches Verbot dieser Beziehungen rechtfertigen würde. “Das Grundrecht der erwachsenen Geschwister auf sexuelle Selbstbestimmung sei in diesen Fällen stärker zu gewichten” meint der Ethikrat, “als das abstrakte Schutzgut der Familie.”

Die Humanistische Union erkannte bereits im März 2008, dass “strafrechtliche Sanktionierung … keine Lösung [biete] für sozialpsychologische Probleme in Familien, aus denen sich teilweise inzestuöse Beziehungen ergeben.”