BERLIN. (hpd) Einer fast Zweidrittel-Mehrheit in der deutschen Bevölkerung für liberale Regelungen der Sterbehilfe stehen die Bestrebungen der Gröhe-Initiative auf Kriminalisierung jeglicher organisierter Sterbehilfe entgegen. Religiös konservative Kräfte wollen der Gesellschaft ihr Weltbild aufzwingen – sogar mit den Mitteln des Strafrechts. Der Bundestag wird in wenigen Wochen seine Beratungen aufnehmen. Es ist an der Zeit, dass auch außerparlamentarisch Initiativen entfaltet werden, um den Parlamentariern vor Augen zu führen, was die Bevölkerung wirklich denkt und verlangt.
Säkulare und humanistische Organisation haben bereits vor Monaten das “Bündnis für Selbstbestimmung bis zum Lebensende” gegründet, das an diesem Wochenende eine Konferenz mit hochkarätiger Besetzung aus der Sterbehilfe und Medizin, der Philosophie und der Rechtswissenschaft durchführt. In dieser Woche haben DGHS und gbs eine Kampagne “Mein Ende gehört mir gestartet und der HVD hat sich mit einer Broschüre mit dem Titel ”Am Ende des Weges" an alle Bundestagsabgeordneten und die Öffentlichkeit gewandt.
Unterschiedliche Strategien und Orientierungen innerhalb der humanistischen Szene werden sichtbar - einig sind sich aber alle in der strikten Ablehnung eines Verbots der organisierten Sterbehilfe und des Kriminalisierungsvorhabens seitens der Religiös-Konservativen.
Über das gemeinsame Ziel, aber auch über die Unterschiede in der Strategie, über das Gesetzesvorhaben und über ethische Grundsätze bei der Sterbehilfe hat der hpd mit Gita Neumann gesprochen. Gita Neumann ist Psychologin, Referentin Lebenshilfe und Leiterin der Bundeszentralstelle Patientenverfügung des HVD; sie ist zudem Mitautorin der HVD-Broschüre “Am Ende des Weges”.
hpd: Frau Neumann, Sie haben die HVD-Broschüre “Am Ende des Weges” mit verfasst. Was ist die zentrale Aussage dieser Broschüre?
Wir wollen raus aus der Defensive und zeigen, dass wir bei der in Deutschland bestehenden Straffreiheit der Suizidhilfe ein Modell schaffen könnten, was sogar international Vorbildcharakter hätte. Gerade die Suizidbefürworter unter den Organisationen sind aufgefordert, sich endlich Gedanken zu machen, wie wir die Freitodhilfe human gestalten wollen.
Dies muss auf der Grundlage unserer bestehenden Rechtslage geschehen, dass nämlich die Hilfe für einen Sterbewilligen, der durch eigene Initiative selbstverantwortlich aus dem Leben scheiden will, nicht rechtswidrig ist. Darüber hinaus wollen wir die Praxis der ärztlichen Suizidhilfe erleichtern und gleichzeitig die Suizidverhütung stärken.
Wir wollen der Tendenz einer verabsolutierten Selbstbestimmung entgegenwirken, die zur Gleichgültigkeit führt (“Ist doch egal, wenn jemand lieber sterben möchte”) oder auch zur Haltung gegenüber vermeintlich sinnlosem Existieren (“Das ist ja kein Leben mehr”).
Nochmals ganz deutlich: unser Hauptgegner ist allerdings der verabsolutierte Lebensschutz, der Suizidhilfe in Zukunft mit dem Strafrecht den Garaus machen will. Ihm geht es nicht um den individuellen Menschen wie in der humanistischen Position, sondern um ein abstraktes Prinzip, dem die Selbstbestimmung geopfert werden muss.
“Am Ende des Weges” beginnt mit einer eindrucksvollen Bewertung des menschlichen Lebens, das als “höchstes Gut” des Menschen, als endlich und unwiederbringlich bezeichnet und in einen Zusammenhang mit der Evolution gestellt wird. Warum haben Sie in der Broschüre eine grundsätzliche Äußerung zur Bedeutung des Lebens an den Anfang gestellt und nicht die Erörterung von Rechtspositionen, etwa des Selbstbestimmungsrechts?
Wir sollten uns gerade im Namen der betonten Selbstbestimmung immer wieder vergewissern, dass auch das (nicht mehr oder noch nie) zur Selbstbestimmung fähige Leben Wert und Würde hat.
Zudem: Die ganzen verfassungsrechtlichen Argumente sind zwar schön und gut – aber scheinen letztendlich doch ein stumpfes Schwert zu sein. Bekanntlich kann die Würde im Sterben pluralistisch gerade so oder genau anders herum interpretiert werden. Außerdem wird von niemandem in der Debatte das Selbstbestimmungsrecht zum Freitod an sich in Frage gestellt – das wird von Suizidhilfebefürwortern nicht korrekt kommuniziert. Es geht ja bei der Gesetzgebung jetzt ausschließlich um die Bewertung der Hilfe dazu, also um die Beteiligung anderer.
Eine “Rechthaberei” oder auch ein behauptetes “Recht auf Suizidhilfe” bleibt doch sehr an der Oberfläche bzw. ist nicht bis zu Ende gedacht – soll ein solches Recht wirklich unterschiedslos für jeden gelten? Dann also auch für unglückselige Arbeitslose, Vereinsamte, Strafgefangene (wie jetzt in Belgien), für Jugendliche oder körperlich Kerngesunde, die irgendwie gescheitert sind und vor allem für die alten Menschen? Es ist sehr schwer, Grenzen zu ziehen und sollte auch nicht für Polemik missbraucht werden - aber solche Auswirkungen völlig auszublenden, ist verantwortungslos.
Sterbehilfe – ernsthafte Fragen der menschlichen Existenz angesprochen
Es handelt sich doch hier um eine ernsthafte Frage unserer menschlicher Existenz und unserer gesellschaftlichen Zukunft angesichts einer menschheitsgeschichtlich noch nie da gewesenen demographischen Entwicklung. Da sind eine geisteswissenschaftlich-philosophische Tiefe und ethische Verantwortung gefragt. Beides wird gemeinhin gern den Kirchen zugebilligt …
… zudem die Kirchen kräftig an dem Zerrbild mitwirken, sie und nur sie seien die eigentlichen Garanten für ethische Normen und Menschenwürde …
… ja - wobei sie die dies aber gar nicht zu leisten vermögen. Wir zeigen in unserer Positionsbegründung, dass heutzutage der Rückgriff auf die Evolutionsidee uns menschlicher, solidarischer und verantwortlicher macht und haben im Humanistischen Verband ja auch eine entsprechende Praxis beispielsweise im Sozial-, Gesundheits-, Palliativ- und Hospizbereich vorzuweisen. Diese konkreten Erfahrungen im Umgang mit Menschen in schwierigen sozialen und gesundheitlichen Situationen, auch und gerade in der letzten Lebensphase, im Sterbeprozess, prägen natürlich unsere Haltung.
Ein “Recht auf letzte Hilfe”, wie es aktuell etwa die Giordano Bruno Stiftung (GBS) und die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) verlangen, wird in der HVD-Position nicht erwähnt? Handelt es sich um Unterschiede nur in der Formulierung oder gibt es Unterschiede im Inhalt? Es scheint, dass gbs und DGHS ein Recht propagieren, von anderen die Unterstützung bei der Selbsttötung verlangen zu können. Haben Sie Bedenken gegenüber einer solchen Position?
Eindeutig ja. Es ist eine populistische Position und außerdem für jeden, der in der Praxis der Suizidhilfepraxis tätig ist, völlig unannehmbar. Ich erhalte mindestens einmal pro Woche solche Anrufe mir fremder Menschen: teils sehr verzweifelt, teils psychisch gestört, teils dreist fordernd, Geld bietend oder wimmernd flehend, die das Verlangen an mich richten, ihnen dabei zu helfen, so bald wie möglich vom Leben zum Tode zu kommen. Wer dem einfach nachgeben würde, wäre selbst schon längst verloren. Oft werden von mir angesprochene Möglichkeiten, wie doch jeder sterben kann (z. B. durch Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen oder auch auf Nahrungsaufnahme) brüsk als unzumutbar zurückgewiesen – es solle doch ganz schnell gehen. Auf meinen Hinweis – gerade in dieser Woche ist mir das wieder passiert – auch bei Hilfe durch Dignitas oder SterbehilfeDeutschland wäre doch vorher eine ganze Zeit der Regularien zu absolvieren, kommt sehr oft heraus: Der Betroffene möchte eigentlich, dass jemand sofort vorbeikommt, um ihn zu töten.
Ich persönlich leiste auch in Einzelfällen Suizidbegleitung – aber nur völlig freiwillig (und kostenfrei in meiner Freizeit) und nur, wenn die menschliche Beziehung stimmt (und regelmäßig nur bei sehr langem Kennen eines Mitglieds unserer Organisation). Wenn jemand mir gegenüber auf sein “Recht” pochen würde, wäre das für mich keine tragfähige Basis.
In der Broschüre wird zur gegenwärtigen Rechtslage ein Klarstellungsbedarf angemahnt. Was ist Ihrer Auffassung nach klarstellungsbedürftig, wenn die jetzige Rechtslage die Beihilfe zur Selbsttötung straffrei lässt?
Wir haben die paradoxe Situation, dass die Rechtslage eigentlich klar ist – Straffreiheit bei Hilfe zu einer freiwillensfähigen Selbsttötung – dies aber kaum bekannt ist. Dies hat viele Gründe: Tabuisierung (bis zum Verbot, daran überhaupt zu denken geschweige darüber zu sprechen), fehlende Kultur einer Bürgerautonomie (wie etwa in der Schweiz vorhanden), keine für die Leistung von Sterbehilfe zur Verfügung stehende Ärzteschaft (wie etwa in den Niederlanden), skurrile Rechtskonstruktionen (“Garantenpflicht” zur Lebensrettung, wenn der Suizident bewusstlos geworden ist), standes- und arzneimittelrechtliche Hindernisse, schließlich der Mythos vom Hippokratischen Eid und so weiter.
Bestehende Rechtslage normieren?
Das Damoklesschwert des Unrechtmäßigen hing und hängt über der Suizidhilfe. Deshalb hat der Humanistische Verband schon 2012 den Vorschlag gemacht, die bestehende Rechtslage doch gesetzlich zu normieren, damit jeder (vor allem aus der Ärzteschaft) schwarz und weiß im Strafgesetzbuch nachlesen kann, dass weder die Hilfe zum Suizid noch dessen Nichthinderung strafbar ist, wenn der Suizident freiwillensfähig die Tat selbst begangen hat.
Also doch auch vom HVD der Vorschlag einer strafrechtlichen Regelung?
Es geht uns dabei keinesfalls um irgendeine Neukriminalisierung im Strafrecht – ganz im Gegenteil um die gesetzliche Klarstellung der Nicht-Rechtswidrigkeit, der Nicht-Strafbarkeit. Das könnte durchaus auch durch eine neue Regelung im Strafgesetzbuch erfolgen.
Ein eigenes Kapitel der Broschüre ist dem Thema “Einführung einer qualifizierten Suizidkonfliktberatung” gewidmet. Worum geht es Ihnen dabei?
Wir möchten gern das allgemein zugänglich machen, was wir heute schon im Ansatz entsprechend unseren (beschränkten) Möglichkeiten den Mitgliedern des Humanistischen Verbandes anbieten. Das Stichwort ist auch hier, eine Beziehung zu den Ratsuchenden aufzubauen und ihnen eine ergebnisoffene Gesprächsatmosphäre anzubieten. Wir haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht und können sagen: Ja, es ist möglich, den Suizidwunsch voll zu akzeptieren und im Einzelfall auch zu unterstützen, und trotzdem lebensbejahend zu wirken.
Suizidprophylaxe: Suizidhilfe und Suizidverhütung
Der Begriff “Suizidprophylaxe” erscheint wiederholte Male in der Broschüre. Geht es Ihnen letztlich doch vor allem darum, Suizide zu verhindern, um jeden oder um welchen Preis?
Meine Erfahrung von 25 Jahren als Lebenshilfereferentin im Humanistischen Verband ist: Suizidhilfe und Suizidverhütung sind viel näher beieinander als die meisten denken. Das fängt schon damit an, dass auch bei der Suizidverhütung - etwa in der Telefonseelsorge oder dem psychologischen Setting - eine völlige Akzeptanz und Nicht-Verurteilung des Gesprächspartners Voraussetzung für jede Beziehungsaufnahme ist. Es gibt aber auch eine gravierenden Unterschied: Wenn ein Suizidvorhaben absehbar ist, reagieren die Agenten der reinen Suizidverhütung doch teils mit Zwangsmaßnahmen – es wird etwa der sozialpsychiatrische Dienst eingeschaltet. Ehrlicherweise muss man sagen, dass sie natürlich auch mit einem etwas anderen Klientel zu tun haben, nämlich auch sehr impulsiven, psychisch destabilen oder suchtkranken Menschen. Zu uns kommen hingegen in aller Regel sehr vernünftig abwägende, reflexionsfähige Menschen, mit denen Gespräche “auf Augenhöhe” möglich sind. Die Frage, ob ich zum Beispiel jemanden wie Robert Enke – sofern das in meiner Macht gestanden hätte – um jeden Preis vom Suizid zurückgehalten hätte, hat sich mir glücklicherweise nie gestellt – aber wahrscheinlich ja, allein schon um des Zugführers willen.
Die Gegner von Suizidbeihilfe verweisen auf Palliativmedizin und Hospize als Alternativen zum Suizid und wollen diese Bereiche ausbauen. Es wird argumentiert, damit könnten Selbsttötungen weitgehend ausgeschlossen werden. Was sagen Sie dazu?
Das ist falsch. Denn erstens kommt die besonders hohe Zahl der multimorbiden Alterssuizidenten gar nicht dazu, davon zu profitieren. Denn die genannten Leistungen gelten ja nur für Menschen, die lebensbedrohlich erkrankt und dem Tode schon sehr nahe sind. Ins Hospiz kommen eigentlich fast nur, zu mehr als 95 Prozent Krebskranke, die noch einige Tage, höchstens noch einige Wochen zu leben haben. Es handelt sich um ein bis maximal zwei Prozent der Bevölkerung. Schwer chronisch Kranke sind ebenso ausgeschlossen wie Menschen, die bereits in einem Pflegeheim untergebracht sind – denn diese, so heißt es, sind ja schon stationär versorgt.
Sterbehilfe und Palliativmedizin / Hospize – Ergänzung erforderlich
Die Forderung muss deshalb lauten: Die Pflegeheime für die übergroße Mehrheit der Menschen am Lebensende müssen zumindest hospizlichen Charakter annehmen und Palliativmedizin soll es auch für Leidende geben, die vielleicht noch ein paar Jahre zu leben haben, und nicht definitionsgemäß schon “todesnah” sein müssen.
Der Deutsche Hospizverband fordert sogar die Strafbarkeit von Beihilfe zum Suizid ….
… und zwar für absolut alle Formen – auch für die völlig unentgeltliche und altruistische. Das hat mit einem Allmachtsanspruch zu tun, nur man selbst könne würdiges Sterben gewährleisten, mit Ausgrenzung und nicht zuletzt mit Interessenpolitik. Denn nur immer dann soll es ja wieder mehr Geld für die Hospize geben, wenn die Empörung gegenüber “kommerziellen” Suizidhilfeorganisationen besonders hohe Wellen schlägt.
“Am Ende des Weges” geht auf ein Detail ein, das so bei anderen Befürwortern von Sterbehilfe nicht zu finden ist. Sie verlangen die Zulassung des Medikaments “Natrium-Pentobarbital” im Rahmen ärztlicher Suizidbegleitung. Warum ist diese Forderung so bedeutsam, dass sie in der knapp gefassten Broschüre erwähnt wird?
Es besteht sowohl bei den Suizidbefürwortern als auch bei den Gegnern der Mythos, Ärzte würden doch schon wissen, welche Mittel zur Suizidhilfe zum Einsatz kommen können. Das ist grundfalsch – woher soll das ein Arzt wissen? Der Sterbehelfer Christian Arnold greift für seine Suizidkandidaten zur Kaffeemühle – wie unlängst in der ARD zu sehen war. Es werden darin verschiedene Medikamente in großer Zahl zu einem Cocktail zerkleinert – die Mischungen werden wie Küchenrezepte gehandelt. Bei SterbehilfeDeutschland e. V. geht es nicht anders zur Sache.
Das einzig fachgerecht sichere und wissenschaftlich erprobte Verfahren ist das mit dem Mittel Natrium-Pentobarbital. Die Schweizer sagen uns, ihr müsst für dessen Zulassung sorgen, alle anderen Ausweichverfahren sind doch fragwürdig. Wenn wir die Suizidhilfe bei Schwerkranken zur qualitätsgesicherten Aufgabe machen wollen, bedarf es solcher Mittel. Natrium-Pentobarbital ist in Deutschland nur in der Veterinärmedizin zugelassen – dort dient es der verlässlichen sanften Tötung qualvoll leidender Tiere.
Frau Neumann, im Moment gibt es Bestrebungen einiger Bundestagsabgeordneter um den CDU-Politiker Hinze und einige SPD-Politiker, Suizidbeihilfe generell unter Strafe zu stellen, aber eng begrenzte Ausnahmen für ärztlich assistierte Suizide zuzulassen. Wie bewerten Sie diese Position?
Die Suizidbeihilfe generell unter Strafe zu stellen bzw. immer dann, wenn sie nicht nach vorgegebenen strengen Regularien erfolgt, ist in jedem Fall unakzeptabel. Es würde sich um einen nicht hinnehmbaren gesellschaftlichen Rückschritt handeln.
Ärztekammerpräsident Montgomery verlangt seit Jahren, dass Ärzte an Suiziden nicht mitwirken dürfen. Hat seine Position (der Totalkriminalisierung von Sterbehilfe) schon verloren?
Montgomery ist doch in den letzten Wochen selbst umgeschwenkt und will auf einmal das Strafrecht außen vor lassen – wie übrigens auch die Gesellschaft der Palliativmediziner. Der oberste Ärztechef meint, von ihm initiierte standesrechtlichen Verbot seien hinreichend. Langfristig wird er seine Position nicht halten können.
Renate Künast von den Grünen hat sich als einzige Bundestagsabgeordnete bislang deutlich gegen eine Strafbarmachung von Sterbehilfe ausgesprochen, Sorgfaltsregeln und Transparenz gefordert und sich auch für die Zulässigkeit von gemeinnützigen Sterbehilfevereinigungen ausgesprochen. Steht sie allein unter den Bundestagsabgeordneten?
Ich fürchte, ja. Sie ist ein einsames leuchtendes Beispiel, nennt auch die christliche Ideologie, die hinter den Verbotsinitiativen steht, beim Namen, spricht auch bewusst vom “Freitod”. Aber leider gibt es bisher sonst keine Stimme, die nicht zumindest etwas verboten haben will, wobei man sich allgemein auf die Organisation SterbehilfeDeutschland e. V. eingeschossen hat.
Vor einigen Monaten hat sich das Bündnis “Mein Ende gehört mir – Bündnis für Selbstbestimmung bis zum Lebensende” gegründet, dem u.a. der HVD, die DGHS, die GBS, der IBKA und die Humanistische Union angehören. Jetzt gibt es seit kurzem eine Kampagne “Mein Ende gehört mir”, mit dem Titel des Bündnisses, aber nur unterstützt von DGHS, gbs und IBKA, die ein “Recht auf letzte Hilfe” propagiert – der HVD bringt nun eine Broschüre heraus mit anderer Schwerpunktsetzung. Da tun sich etliche Fragen auf …..?
… Wir haben uns mit den Initiatoren der Kampagne, der Giordano-Bruno-Stiftung, einvernehmlich darauf geeinigt, getrennte Wege zu gehen. Dabei bleiben wir uns im Ziel einig: Die unverschämte Gesetzesinitiative von Bundesgesundheitsminister Gröhe und anderen Unionspolitikern in die Schranken zu weisen, die jede Form “organisierter” Suizidhilfe in Zukunft strafrechtlich verbieten wollen. Der “Held” dieser “Letzte-Hilfe”-Kampagne, dessen neues Buch dabei im Mittelpunkt steht, ist der Arzt und Sterbehelfer Uwe Christian Arnold. Mit ihm bin ich bereits seit Anfang 2000 gemeinsame Wege gegangen, was damals noch hoch brisant war. Ihm, dem Pionier, haben wir auch im 2012 erschienenen Sammelband der Humanistischen Akademie Suizidhilfe als Herausforderung den Ehrenplatz des Eröffnungsbeitrags eingeräumt. Heute stehen wir jedoch vor der Frage, wie ärztlich assistierte Suizidhilfe in Deutschland geregelt werden soll – das kann natürlich kein “Modell Arnold” sein, also das eines nur sich selbst verantwortlichen Einzelkämpfers.
Hat sich das humanistische Lager in der Frage der Sterbehilfe – nach anfänglicher Einigkeit – gespalten?
Nein, keinesfalls, wie gesagt verfolgen wir ja ein gemeinsames Hauptziel auf getrennten Wegen. Jeder wie er kann.
Humanistische Szene: unterschiedliche Strategien, aber gemeinsames Ziel
Ich bewundere die Kampagne “Letzte Hilfe”, sie ist sehr gut gemacht, das muss man erst mal auf die Beine stellen. Aber Aufklärung darüber, wie denn eine Lösung der Suizidhilfefrage in Deutschland aussehen könnte, liefert sie nicht. Ich bemängele durchaus, dass man sich auch von der DGHS in all den Jahren damit begnügt hat zu fordern, es müssen doch endlich auch in Deutschland gesetzliche Regelungen geben wie etwa in den Beneluxstaaten oder in Oregon/USA. Ja, aber welche denn konkret? Da ist viel Zeit ins Land gegangen, die man zu einer Positionierung und auch vertretbaren Praxis hätte nutzen können.
Wie wird die weitere Debatte im Bundestag verlaufen und für wann rechnen Sie mit einer Entscheidung? Wagen Sie heute eine Prognose, was am Ende des parlamentarischen Prozesses herauskommen wird?
Bekanntlich stehen wir als Humanisten mit der Hellseherei nicht auf so gutem Fuße, aber ich prognostiziere mal: Nichts. Damit meine ich, dass es nicht unwahrscheinlich ist, dass gar kein Gesetz herauskommt.
Denn der Teufel liegt ja im Detail: Wen, welche Personengruppe will man in welchen Fällen bestrafen oder umgekehrt nicht bestrafen. Nehmen wir mal das im Raume stehende Kriterium der “nahestehenden Person”, die unter Umständen einen Suizid begleiten dürfte - soll denn wirklich einmal vor Gericht die Bewertung “nahestehend” darüber entscheiden, ob jemand für bis zu drei Jahren ins Gefängnis muss oder straffrei bleibt? Und dann – auch darauf hat Künast hingewiesen – die schiere Unmöglichkeit, “organisiert” (auch ehrenamtlich), “geschäftsmäßig” (wiederholt durchgeführt) oder “kommerziell” (mehr als gegen Aufwandsentschädigung) gegeneinander abzugrenzen.
Trotzdem sind wir der Meinung, die entstandene Debatte zu nutzen, um unseren konstruktiven Vorschläge einzubringen und schon mal öffentlich zu Gehör zu bringen.
Frau Neumann, für Ihre Initiative viel Erfolg und vielen Dank für dieses Gespräch.
Das Interview für den hpd führte Walter Otte.
Einige Veröffentlichungen / Stellungnahmen von Gita Neumann:
Gita Neumann (Hrsg.) Suizidhilfe als Herausforderung, Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Berlin, Band 5, Alibri, 2012, 243 Seiten, 20,– Euro (ISBN 978–3865690845)
Das Buch bei Denkladen.de bestellen
Aufklärung an allen Fronten ist dringend notwendig
Bei Lebenshilfe hat auch Sterbehilfe ihren Platz
Statement aus humanistischer Sicht bei der GRÜNEN-Fraktion
Sterbehilfedebatte – Es gibt noch viele offene Fragen
Gedanken zur geistig-humanistischen Orientierung
3 Kommentare
Kommentare
D.Pavlovic am Permanenter Link
Der Titel geht in die richtige Richtung. Tatsächlich ist "Lebensschutz" ein Euphemismus (=Hüllwort) für eine dogmatische Ethik die keine Güter abwägt und daher in ihr Gegenteil umschlagen kann. D.h.
Thomas Bertow am Permanenter Link
"Eine “Rechthaberei” oder auch ein behauptetes “Recht auf Suizidhilfe” bleibt doch sehr an der Oberfläche bzw. ist nicht bis zu Ende gedacht – soll ein solches Recht wirklich unterschiedslos für jeden gelten?
Wieso nicht? Wer gibt dem Staat das Recht, den Menschen hier irgendwelche Auflagen zu machen und ihnen vorzuschreiben, welches Leid sie zu ertragen haben? Warum kann nicht jeder selbst entscheiden, ob sein Leben lebenswert ist? Wer das Land verlassen oder eine Schwangerschaft beenden will, braucht ja auch keine besonderen Gründe.
Die Vorstellung, dass das Leben außerhalb schwerer Krankheiten immer lebenswert ist, halte ich für naiv. Es gibt so viele Menschen, die bei körperlicher Gesundheit ein jämmerliches Leben führen und sich nur durch ihre Tage schleppen. Oft hat das mit persönlichen Defiziten zu tun. Wer zum Beispiel sehr hässlich oder unbegabt ist, der hat in unserer immer noch sozialdarwinistisch bestimmten Gesellschaft nun mal keinen guten Platz. Da können auch Glückspillen und Therapeutengespräche nichts dran ändern. Wenn ein solcher Mensch das Leben ein paar Jahre früher verlassen möchte als die anderen, wo liegt das Problem?
Maximilian Steinhaus am Permanenter Link
Mein Kommentar bezieht sich auf folgenden Abschnitt:
Frage: "Ein “Recht auf letzte Hilfe”, wie es aktuell etwa die GBS und die DGHS verlangen, wird in der HVD-Position nicht erwähnt […] Haben Sie Bedenken gegenüber einer solchen Position?"
Antwort: "Eindeutig ja. Es ist eine populistische Position und außerdem für jeden, der in der Praxis der Suizidhilfepraxis tätig ist, völlig unannehmbar. […] Wenn jemand mir gegenüber auf sein “Recht” pochen würde, wäre das für mich keine tragfähige Basis."
Es ist einfach nicht zu verstehen, weshalb der HVD sich manchmal so regelrecht bösartig gegenüber anderen humanistischen Organisationen aufspielt. Die Formulierung eines Rechts auf letzte Hilfe ist doch nicht an Ärzte oder Suizidbeihelfer adressiert, sondern an den Gesetzgeber! Dies ist so klar, dass es ausgeschlossen scheint, dass Gita Neumann dies einfach nur missverstanden haben könnte. Natürlich soll kein Arzt oder Sterbehelfer aufgrund dieses Rechts gezwungen werden können, gegen sein Gewissen Beihilfe zum Suizid leisten zu müssen. (Damit vereinbar ist es freilich, das Uwe-Christian Arnold in seinem Buch die Ärzteschaft davon überzeugen möchte, ihre Patienten nicht im Stich zu lassen). Diesen Appell an den Gesetzgeber, das Recht auf letzte Hilfe nicht zu verbieten, als „populistische, völlig unannehmbare Position“ zu verbrämen, ist eine Frechheit. Sollte das der Grund sein, weshalb der HVD (wie auf der 2. Seite des Interviews beschrieben) "eigene Wege" gehen wollte, ist das nicht nachvollziehbar.