Parteitag der Grünen stimmt (nicht) über Sterbehilfe ab

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Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen
Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen

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Jürgen Roth
Jürgen Roth

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Renate Künast
Renate Künast

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Stephanie Aeffner
Stephanie Aeffner

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Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen
Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen

HAMBURG. (hpd) Am Wochenende tagten die Bundesdelegierten von Bündnis 90/Die Grünen in Hamburg. Über viele der dort behandelten Themen haben bereits andere Medien berichtet. Dabei ging völlig unter, dass es auch einen Antrag zur Sterbehilfe gab, dessen Entscheidung jedoch von der Parteispitze trickreich in die Zukunft verschoben wurde.

Es war bereits später Nachmittag - das ZDF, n-tv und andere Fernsehsender hatten längst die Kameras ausgeschaltet und der Presseraum leerte sich - als Jürgen Roth das Podium betrat und den Antrag stellte, dass die Bundesdelegiertenkonferenz (BDK) sich in der Debatte um die Sterbehilfe positionieren soll. “Wir können nicht den anderen Parteien die Hoheit über dieses Thema überlassen” forderte Roth. Er erinnerte an die Diskussionen am Vortag, in denen es um Freiheit ging. “Wir Grünen wollen eine Freiheitspartei sein und müssen schon deshalb auch über die Freiheit am Lebensende sprechen.”

Mit ähnlichen, noch deutlicheren Worten forderte dies auch Renate Künast, die bereits in den Wochen zuvor als eine der wenigen Politikerinnen im Deutschen Bundestag eine Liberalisierung forderte. Künast verteidigte den Antrag “Selbstbestimmung bis zum Lebensende - Keine Kriminalisierung von Sterbehilfe”, der federführend von Walter Otte und Jürgen Roth zur BDK eingereicht wurde.

Wie erwartet hat sich der Bundesvorstand von B90/Die Grünen eher zögerlich gezeigt, diesen Antrag bei der BDK überhaupt nur zu zulassen. Er kam nicht umhin, ihn dann doch zur Diskussion zu stellen, da die Mitglieder der Partei ihn diskutieren wollten.

Allerdings konnte selbst die bewegende Rede von Stephanie Aeffner den Vorstand nicht umstimmen, eine wirkliche Diskussion im Plenum zuzulassen oder gar über den Antrag zu entscheiden. Aeffner saß in ihrem Rollstuhl am Sprecherpult und sagte, dass es seitens der Behindertenverbände große Widerstände gegen eine Liberalisierung der Sterbehilfe gäbe. Sie jedoch möchte das Recht haben, sich, wenn der Zeitpunkt erreicht ist, selbst zu entscheiden, ob sie ihr Leben (noch) für lebenswert hält. “Ich habe mein ganzes Leben lang mich immer wieder neu definieren müssen. Ich habe Schmerzen ertragen, habe oft genug gezweifelt und mich immer wieder neu erfinden müssen; mein Leben immer wieder neu aufbauen müssen. Und ich will, wenn ich die Kraft dazu nicht mehr habe, es erneut zu tun, nicht in die Schweiz fahren müssen oder gar meinen Arzt oder meinen Mann der Gefahr aussetzen, etwas Illegales zu tun. Mein Arzt hat mich durch Höhen und Tiefen meiner Krankheit begleitet; ich möchte, dass er gefahrlos mir auch am Ende beistehen darf.”

Diskussionen vorab: Walter Otte und Renate Künast
Diskussionen vorab: Walter Otte und Renate Künast

Durch die Geschäftsordnungsfinessen wurde im Übrigen auch verhindert, dass der Einreicher der Vorlage, Walter Otte (Säkulare Grüne), sowie auch Irmingard Schewe-Gerigk (langjährige Vorsitzende von terre des femmes) ihre Reden für eine liberale Regelung von Sterbehilfe halten konnten.

Was in den Gegenreden zu diesem Antrag dann zutage trat, zeigte zweierlei: Zum einen versucht die Gegenseite immer wieder, zu unterstellen, dass die Antragsteller einer aktiven Sterbehilfe das Wort reden. Es ist davon auszugehen, dass einige der Redner das nicht aus Unwissenheit taten, sondern aus politischem Kalkül bzw. mit religiösen Begründungen, die in dieser Diskussion nichts zu suchen haben.

Es zeigte sich zudem - auch in Gesprächen am Rande der BDK - dass viele der Delegierten von der Materie viel zu wenig fundierte Kenntnisse haben; dass Begriffe verwechselt werden und nicht ausreichend differenziert wird zwischen den juristischen Unterschieden, mit denen man es in der Debatte zwangsläufig zu tun bekommt. Hier muss das Bündnis “Mein Ende gehört mir” noch viel öffentliche Aufklärungsarbeit leisten. Denn nur so wird es möglich werden, dass auf panikmachende Argumentationen, wie sie zum Beispiel der Grünen-Politiker Volker Beck in seiner Rede äußerte, die Reaktion erfolgt, die angemessen wäre: man nimmt sie kopfschüttelnd zur Kenntnis.

Der Riss, der durch die Gesellschaft geht, zeigte sich auch bei der BDK der Grünen; der Antrag von Walter Otte und anderen erhielt etwa genauso viel Zustimmung wie die Redner der Gegenseite Beifall. Hier wäre eine grundsätzliche Debatte notwendig gewesen. Doch auch wenn verständlich ist, dass dafür auf einem Parteitag kaum Zeit und Raum ist; was der Bundesvorstand dann mit dem unbequemen Antrag tat, zeigt eher seine Feigheit, sich mit dem Thema auseinander zu setzen.

Etliche Delegierte vermuteten schon im Vorfeld, dass der Bundesvorstand beabsichtigt, dieses Thema ebenso “auszusitzen” wie das Thema Jungenbeschneidung. Damals verhinderte der Bundesvorstand eine Abstimmung auf einer BDK mit dem Versprechen, eine Kommission zu Beschneidungen einzuberufen. Bis heute ist das Thema aber nicht innerhalb der Grünen weiterdiskutiert worden.

Der Vorstand machte dann tatsächlich den Vorschlag, dieses Thema auf der nächsten BDK (im November 2015) zu diskutieren - das wäre dann definitiv nach einem möglichen Bundestagsbeschluss über ein Sterbehilfegesetz.

Jetzt soll der grüne Bundesvorstand die Sache richten und eine Debatte organisieren. Ausgerechnet das Gremium, das bis Samstag keinerlei Interesse an diesem Thema gezeigt hat und es gar nicht parteiintern behandelt haben wollte.

Das Ergebnis lässt sich voraussehen. Dazu braucht es nicht einmal eine grüngefärbte Glaskugel.