Für die Laizistinnen und Laizisten in der SPD schreibt Nils Opitz-Leifheit (ebenfalls bei Facebook):
"Das Bundesverfassungsgericht hat sich unlängst mit der Kündigung eines Arztes in einem katholischen Krankenhaus wegen seiner Wiederverheiratung als Geschiedener befasst. Im hierzu am 22. Oktober in Karlsruhe ergangenen Beschluss wird das Urteil des Bundesarbeitsgerichts, welches dem Arzt in seiner Kündigungsschutzklage Recht gegeben hatte, aufgehoben. Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist ein rechtspolitischer Rückschritt und eine schwere Enttäuschung für die vielen Betroffenen und ihre Familien.
Besonders schwer wiegt bei der Entscheidung, dass die Richter die Chance zur Korrektur des sich angeblich aus dem Grundgesetz ergebenden Selbstbestimmungsrechts der Kirchen nicht genutzt haben. Diese verhängnisvolle Überinterpretation des Artikel 140 GG in Verbindung mit Artikel 137 Abs. 3 WRV ist erst Mitte der 80er Jahre begründungslos vom Verfassungsgericht selbst vorgenommen worden. Tatsächlich weist der Artikel 137 Abs. 3 WRV aber den Religionsgemeinschaften lediglich das Recht zu, ihre Angelegenheiten innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes selbst zu ordnen und zu verwalten. Ein Selbstbestimmungsrecht der Kirchen ist aus diesem Ordnungs- und Verwaltungsrecht aber nicht abzuleiten. Diese Fehlinterpretation wurde auch beim jüngsten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nicht korrigiert.
Kritikwürdig am jüngsten Beschluss ist auch die weite Auslegung des kirchlichen Bereichs. Das kirchliche Selbstordnungs- und Verwaltungsrecht soll sich danach nicht nur auf den verkündungsnahen Bereich der Kirchen erstrecken. Auch alle weiteren Einrichtungen seien unabhängig von ihrer Rechtsform davon erfasst. Lediglich bei ganz überwiegender Gewinnerzielung befinde sich eine Organisation der Kirchen außerhalb dieses Privilegs. Damit ignorieren die Verfassungsrichter, dass sich auch die sozialen Einrichtungen der Kirchen und ihrer Träger längst fast vollständig aus öffentlichen Geldern bzw. Geldern der Sozialversicherungen finanzieren. Hier den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den allgemeinen Rechtsschutz zu verwehren, ist deshalb falsch und unzeitgemäß.
Ein kleiner Lichtblick im Beschluss der Verfassungsrichter findet sich lediglich im Bereich der Güterabwägung, denn Karlsruhe macht ausdrücklich klar, dass das kirchliche Selbstordnungs- und Verwaltungsrecht nicht schrankenlos gilt. Es gilt nur in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Deshalb können im Einzelfall zum Beispiel der Schutz von Ehe und Familie (Artikel 6 Abs. 1 GG) oder der Vertrauensschutz (Artikel 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 3 GG) überwiegen und den Beschäftigten vor der beeinträchtigenden Entscheidung der Kirchen schützen. Es ist deshalb nicht unwahrscheinlich, dass der hier gekündigte Arzt im erneuten Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gegenüber der katholischen Kirche Rechtsschutz erhält.
Wir halten fest: Der jüngste Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hat die Benachteiligungen der Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen nicht beendet. Die Arbeit bei kirchlichen Arbeitgebern bleibt vorerst für den Einzelnen eine Beschäftigung mit weniger Rechten, schwächerem Rechtsschutz und der latenten Gefahr der Diskriminierung. Gerade deshalb ist auch unser Einsatz für eine rechtliche Gleichstellung aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiterhin erforderlich."
siehe zum Thema auch:
Ein skandalöses Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Wir werden dieses Urteil nicht klaglos hinnehmen!
Schäumen hilft nicht
Entscheidung kommt nicht überraschend
3 Kommentare
Kommentare
Petra Posch am Permanenter Link
Die drei Stellungnahmen fassen alles zusammen, was es zu diesem Skandal zu sagen gibt.
Philo am Permanenter Link
Zum Skandal des Bundesverfassungsgerichts möchte ich zitieren:
-Macht und Recht-
“Das Recht ist fragwürdig, die Macht ist unverkennbar und fraglos.
So konnte man die Macht nicht mit dem Recht verleihen, weil die Macht dem Recht widersprach und behauptete, es sei ungerecht und sie wäre es, die das Recht sei.
Und da man nicht machen konnte, dass das, was recht ist, mächtig sei, macht man das, was mächtig ist, zum Recht.”
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-Was erzähle man dem Volke-
“Es ist gefährlich dem Volke zu sagen, dass die Gesetze nicht gerecht sind, denn es gehorcht ihnen nur, weil es glaubt, dass sie gerecht sind.
Deshalb muss man ihm gleichzeitig sagen, dass man ihm gehorchen muss, weil sie Gesetze sind, wie man den Vorgesetzten gehorchen muss, nicht weil sie gerechte Leute, sondern weil sie Vorgesetzte sind. Wenn es gelingt, dies verständlich zu machen und dass hierin die eigentliche Definition der Gerechtigkeit besteht, dann ist man jeder Auflehnung zuvorgekommen.”
[Quelle: Blaise Pascal, 1623-1662, Fragment Nr.298 und 326 aus “Der verborgene Pascal” von Theophil Spoerri, Seite 132 und 133]
David am Permanenter Link
Danke für dieses mir unbekannte Zitat. In der Tat sehr passend.