Dr. Ralph Ghadban im Interview: Der Islam ist reformierbar

Islamverbände in Deutschland stehen Integration im Wege

Zur Koran-Auslegung: Prof. Khorchide etwa fordert eine Auslegung des Korans im “historischen Kontext” und unterscheidet grundsätzlich zwischen den Koranäußerungen aus der mekkanischen und denjenigen aus der medinischen Zeit (als Mohammed Stadtpräsident war), die er – grob formuliert – als grundsätzliche, zeitlose, ethische, religiöse Aussagen einerseits und andererseits als situationsgebundene des “Politikers” Mohammed differenziert.

Der Ansatz von Prof. Khorchide reiht sich in die Tradition der liberalen Islamreformer ein, deshalb die heftige Reaktion der im Koordinationsrat der Muslime versammelten vier Dachverbände. In ihrem Gutachten werfen sie Ihm u.a. die Anwendung der historisch-kritischen Methode vor und zeigen klar, dass sie den Geist des Mittelalters vertreten.

 

In der gegenwärtigen öffentlichen Debatte über “den Islam” ist umstritten, ob es Sinn macht, zwischen Islam und Islamismus zu differenzieren …

Eine Differenzierung macht Sinn für die praktische Arbeit. Wenn sie aber meint, dass Islamismus nichts mit dem Islam zu tun hat, dann ist sie falsch und irreführend. Der Islamismus ist ein Zweig des Salafismus und ganz islamisch. Er verkörpert den politischen Islam.

 

Sie haben 2007 gesagt, dass die Mehrzahl der Muslime (in Deutschland) eher mit einer verfehlten Integrationspolitik Probleme habe als mit dem demokratischen System und den Freiheitsrechten, was ja durch jüngste Umfragen der Bertelsmann-Stiftung grundsätzlich bestätigt wird; sehen Sie das heute auch noch so oder haben Sie Ihre Auffassung geändert?

Die verfehlte Integrationspolitik traf alle Ausländer gleich. Wegen der Ausgrenzung begann die zweite Generation der Muslime in den 80er Jahren eine islamische Identität zu entwickeln und geriet unter die Obhut der islamischen Verbände. Einem Italiener oder einem Spanier nutzt die Entwicklung einer christlichen Identität in Deutschland gar nichts, ihnen bleibt nur der Weg der Integration offen.

Die islamischen Verbände haben den jungen Muslimen dagegen eine Alternative vorgegaukelt, die islamische Lebensweise, die gar keine ist. So landeten sie in Parallelgesellschaften.

Islamische Verbände stehen Integration von Muslimen im Wege

Herr Dr. Ghadban, Sie haben in dem erwähnten Interview 2007 auch geäußert: “Die Masse der Muslime hat die modernen Werte der Menschenrechte weitgehend verinnerlicht, der offizielle orthodoxe Islam hat diese Entwicklung allerdings nicht begleitet. Und der politische Islam bekämpft die Modernisierung.” Würden Sie erläutern, was dies Ihrer Auffassung nach konkret für Deutschland bedeutet?

Die letzten Studien zeigen, dass der Wille zur Integration bei den Muslimen ständig wächst. In der letzten Bertelsmann-Studie vom letzten Dezember behaupten sogar 63 Prozent der Muslime, dass sie integriert sind. Das geschah gegen die Verbände und nicht mit ihrer Hilfe. Die Verbände haben nicht nur versäumt, diese Entwicklung theologisch zu begleiten, sondern stehen ihr mit ihrem rückwärts orientierten Islam massiv im Wege.

 

In Deutschland erheben einige Verbände, deren Ausrichtung in der politischen Diskussion zunehmend mit konservativ-orthodox beschrieben wird, den Anspruch, “die Muslime” hierzulande zu vertreten. Ist das tatsächlich der Fall und wie sieht es mit der Vertretung liberaler Muslime aus?

Dieser Anspruch ist nicht begründet. Nach der Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge über “Muslimisches Leben in Deutschland” von 2009 sind circa 20 Prozent der Muslime Mitglieder islamischer Verbände. Die im Koordinationsrat (KRM) der Muslime versammelten Dachverbände dürften im besten Fall 15 Przent der Muslime vertreten.

Die Verbände besitzen jedoch zwei Vorteile: Einerseits verfügen sie über die Moscheen und andererseits behaupten sie, Religionsgemeinschaften zu sein.

Diese zwei Bedingungen können die Liberalen nicht erfüllen. Ihnen bleibt nur der Druck von außen übrig, aber dafür sind sie noch zu schwach organisiert.

 

Wo bleibt die Stimme der von ihnen genannten Masse der Muslime, die die Werte der Menschenrechte verinnerlicht haben? Werden diese Menschen in den Kooperationen von Staat und Verbänden überhaupt angemessen berücksichtigt?

Nein, sie haben keine Stimme.

 

Können Sie den Eindruck bestätigen, dass die Kooperation von Bund und Ländern sich immer stärker nur auf die mit den konservativ-orthodoxen Verbänden beschränkt, deren Islamvorstellungen damit auch quasi eine amtliche Bestätigung erhalten?

Auf jeden Fall.

 

In einer frühen Phase der Islamkonferenz etwa waren auch liberale Muslime, Einzelpersonen vertreten, wogegen die vorhandenen Verbände protestierten. Wie hat sich die Zusammensetzung der Islamkonferenz verändert und welche Konsequenzen hat das?

Die traditionell und islamistisch orientierten Verbände haben nach Beginn der Islamkonferenz ihre Kräfte in den KRM gebündelt und gewonnen. Zurzeit sind sie der Hauptansprechpartner des Staates geworden. Die Liberalen spielen keine Rolle mehr.

 

In einer Stellungnahme für den Hessischen Landtag Anfang Januar haben Sie erneut den konservativ-orthodoxen Islamverbänden attestiert, sie bildeten das Haupthindernis für eine Integration der Muslime. Wie begründen Sie diese Auffassung?

Wie schon gesagt, mit ihrem rückwärtsorientierten Islam stehen sie der Integration im Wege. Nun nach der Aufwertung durch den Staat, der sie überall als Partner holt (Stichwort: Religionsunterricht, Beiräte, Staatsverträge usw.), bilden die Verbände eine Mauer, die immer höher wächst vor der Integration.

 

Die konservativ-orthodoxen Verbände haben mittlerweile mit der Unterstützung der Politik eine starke Stellung erlangt. Droht eine Dominanz traditioneller islamischer Vorstellungen bei den Muslimen in Deutschland?

Das Leben ist stärker als die Ideologie. Wir treffen z.B. nicht selten im öffentlichen Raum muslimische Mütter und ihre Töchter beim Einkaufen. Die Mutter trägt ein Kopftuch und einen Mantel, der ihre Silhouette verdeckt. Neben ihr trägt die Tochter Jeans und unter ihrem bunten Kopftuch lässt sich eine dreistufige Haarfrisur ahnen, noch dazu ist sie wie Scheherazade geschminkt, alles verbotene Dinge im Islam. So haben wir auf der einer Seite einen Islam, der die Weiblichkeit unterdrückt und auf der anderen Seite eine Weiblichkeit, die den Islam sprengt.

Die oben erwähnten 63 Prozent integrierten Muslime sind ein Beweis dafür, dass dieser Prozess der Humanisierung des Islam unvermeidlich ist. Die Verbände können den Prozess bremsen und verzögern aber nicht verhindern. Das schafft viel unnötiges Leid für die Betroffenen und viel Störung für die Gesellschaft.

Politik muss Muslime vor den Verbänden schützen

Die Verbände provozieren wird ihre aktuelle Forderung, dass die Politik die Muslime auch vor den Verbänden schützen müsse. Was erwarten Sie von der Politik?

Durch die falsche Politik der Anerkennung der Verbände als Ansprechpartner trägt die Politik zur Unterdrückung der Liberalen bei, indem sie sie in die Arme der Verbände zwingt. Die Aufgabe der Politik besteht aber darin, die Bürger muslimischen Glaubens vor dem negativen Einfluss der Verbände zu schützen.

Die Politik darf das Neutralitätsgebot des Staates in Religionsfragen nicht verletzen und darüber entscheiden ohne gesetzliche Grundlage, wer eine Religion vertritt. Für die Politiker gilt auch der Grundsatz der Trennung zwischen Politik und Religion. Und für die Regelung der Beziehung zwischen den Beiden haben wir die Verfassung und ausreichend Gesetze.

 

Herr Dr. Ghadban, vielen Dank für dieses Interview.

Das Interview führte Walter Otte für den hpd.

 


In einer Stellungnahme für den Hessischen Landtag hat sich Dr. Ghadban Anfang 2015 ausführlich zum Thema Islamismus/Salafismus und den aktuellen politischen Notwendigkeiten geäußert. (siehe Anlage)

Siehe auch: Stellungnahme "Islam und Islamkritik" 2012 - u.a. zur Ideologie des Multikulturalismus