BERLIN. (hpd) Was kann Menschen zur Flucht bewegen? Welche Geschichten werden erzählt, müssen bedacht werden, wenn Flüchtlinge Hilfe und Schutz brauchen? Die für ein Buch Interviewten sind in ihren Heimatländern befragt worden. Doch ihre Erlebnisse und ihre erlittenen Qualen stehen stellvertretend für viele, die sich z.B. in Deutschland Hilfe und neue Chancen erhofften, jedoch stattdessen Misstrauen, offene Feindseligkeit und weitere Verletzungen ihrer Rechte erleben müssen.
Marlene Pfaffenzeller hat in ihrer neurologisch-psychiatrischen Praxis in Berlin 30 Jahre lang mit traumatisierten Flüchtlingen gearbeitet. Nun wurde ihr Buch “Todesangst und Überleben nach extremer Gewalt” im Kulturmaschinenverlag veröffentlicht. Im Zuge der allgemeinen Verunsicherung hinsichtlich neuer Weltordnungen und veränderter Migrationsströme, die sich in Deutschland beschämenderweise in großen Aufzügen (Pegida und ähnliche Gruppierungen) durch einige Großstädte bemerkbar macht, kommt dieses Buch genau zur richtigen Zeit.
hpd: Nach 30 Jahren Arbeit mit traumatisierten Menschen haben Sie zwar die Form ihrer Arbeit verändert, jedoch den Inhalt beibehalten. Was treibt Sie an?
Marlene Pfaffenzeller: Die lange und intensive Arbeit mit traumatisierten Menschen und die zum Teil sehr belastenden Auseinandersetzungen mit bürokratischen Hürden in diesem Zusammenhang beschäftigen mich natürlich weiter. Vor diesem Hintergrund fällt es mir schwer, den wohlmeinenden Rat von Freunden anzunehmen und endlich meinen wohlverdienten Ruhestand zu genießen.
Als ich zum Beispiel die Bilder der vielen Flüchtlingslager im Zusammenhang mit dem Krieg in Syrien und den Aktivitäten des IS in den Medien sah, hat es mir den Schlaf geraubt und ich habe mich entschlossen, dort hin zu fahren, um zu sehen, wie ich sinnvoll helfen könnte. Wie schon so oft musste ich feststellen, dass es sehr schwer ist zu helfen. Eine der größten Hürden war für mich die Sprache.
Sie beschreiben die Gegend in der Osttürkei, in Nordirak, um den Van See herum als schönste Gegend, die Sie bisher auf ihren zahlreichen Reisen gesehen haben. Dennoch leben und arbeiten Sie in Kolumbien und Deutschland. Können Sie sich auch vorstellen, an einem andern Ort zu leben?
In Deutschland habe ich meine Wurzeln und Freunde, mit der Sprache bin ich aufgewachsen. Kolumbien kenne ich seit fast 20 Jahren, auch hier habe ich Freunde und eine kleine Hütte, in wunderbarer Natur, wo ich etwas zur Ruhe kommen kann. Hier kann ich mich leidlich verständigen aber es gibt viele Orte der Welt, wo ich gerne auch länger leben würde.
Gerade das heutige Siedlungsgebiet der Kurden (Türkei, Nordost-Syrien – Nordirak und West-Iran) mit der Wiege unserer Kultur in Bezug auf die Religionen finde ich sehr spannend, allerdings bin ich Europäerin und hätte von daher Schwierigkeiten mich den dortigen sozialen Verhältnissen anzupassen. Dazu kommt das Problem der Sprache.
Ein anderes Land, das mich interessiert ist Russland, die russischen Klassiker, russische Gesänge und einige Musiker haben mich schon in der Jugend sehr berührt. Aber auch da hätte ich unter anderem Probleme mit der Sprache.
Stellen Sie sich vor, Sie wären Beraterin der derzeitigen Regierung. Welcher Rat oder Hinweis wäre, Ihrer Meinung nach, der dringlichste?
Mein Rat wäre, weniger zu reden und mehr zuzuhören und dabei vor allem den Schwächsten zuzuhören, die sonst nicht zu Wort kommen.
Ihr Buch ist, bis auf einige wenige Ausnahmen, sehr deskriptiv. Die Leserinnen und Leser können ihre eigenen Schlüsse aus den Interviews ziehen. Die Geschichten, die erzählt werden, gehen einem jedoch lange Zeit nicht mehr aus dem Kopf. Wie gehen Sie mit den, zum Teil sehr quälenden, Erinnerungen der Menschen um?
Das lässt sich schwer beantworten. Viele Geschichten und Gesichter haben Spuren hinterlassen. Aber Gespräche mit Freunden und anderen Menschen, die ähnlich fühlen wie ich, sind sehr hilfreich, um damit umzugehen.
Manchmal gelingt es mir auch, wenn ich zum Beispiel mit meinen fröhlichen Enkeltöchtern unterwegs bin, am Strand spazieren gehe, oder mit einer schnurrenden Katze auf dem Bauch Salman Rushdie lese, alles Schreckliche dieser Welt weit weg zu schieben
Planen Sie ein weiteres Buch?
Ich habe einige Ideen, bin aber sehr unsicher.
Ich danke für das Gespräch, hoffe auf weitere Bücher und finde den Gedanken an eine schnurrende Katze auf dem Bauch bei guter Lektüre auch sehr entspannend.
Das Interview führte Susan Navissi für den hpd.
Siehe auch die Rezension des Buches “Podewins Verfolgung” sowie das Interview mit dem Autoren Norbert Ahrens, dem Ehemann von Marlene Pfaffenzeller.
Die TAZ bietet grad ein Buch zum Thema Folterschulen der CIA an.