Der 1. Mai in Berlin: "Wie komme ich zum Spreewaldplatz?"

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"Die Arbeit der Zukunft gestalten wir" 2015, Der DGB Slogan zum 1. Mai - Kinder- und Familienfest mit bunten Programm auf der Strasse zum 17. Jun
"Die Arbeit der Zukunft gestalten wir"

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Rainer Hoffmann
Rainer Hoffmann

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Am sowjetischen Ehrenmal
Am sowjetischen Ehrenmal

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1. Mai 2015 Berlin Kreuzberg Ohlauer Strasse: Warten
1. Mai 2015 Berlin Kreuzberg Ohlauer Strasse: Warten

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Ohlauer-/Reichenberger Strasse: Warten
Ohlauer-/Reichenberger Strasse: Warten

BERLIN. (hpd) Der 1. Mai war kein normaler Freitag. Neben politisch organisierten Demonstrationen hatte Berlin über seinen Veranstaltungskalender zu weiteren "Feierlichkeiten rund um den Tag der Arbeit" eingeladen und 7.000 Polizei-Beamte standen bereit.

1,5 Millionen Touristen hatten sich avisiert, von den 3,5 Millionen "Berlinern"(2012 gezählt) blieben einige zu Hause. Dennoch in dem überwiegend säkularen Berlin waren die Strassen voller Menschen, es wurde gefeiert und klug demonstriert.

Der Demonstrationszug des DGB lief an diesem 1. Mai mit dem Slogan "Die Arbeit der Zukunft gestalten wir" vom Hackeschen Markt zum Brandenburg Tor. Mit Absperrungen und Ordnern bedacht öffnete sich dort die Bühne für Ansprachen und buntes Programm hin zur Strasse des 17. Juni. Für das Kinder- und Familienfest wurden "BSR-Spiele, Musik, Essen, Trinken, Hüpfburgen" angeboten. Tische, Bänke, Informationsstände, Broschüren, Flyer, Handzettel war bereit. Auch prominente Gewerkschaftler, z. B. der DGB-Vorsitzende Rainer Hoffmann, griffen direkt am Stand zum Mikrofon. Die Demonstranten sonnten sich; Kaffee, italienische Spezialitäten, Holzkohlen-Grill, Curry-Wurst, Bier, nichts fehlte. Beliebtes Ziel war das Sowjetische Ehrenmal, die beiden T-Panzer wurden nicht nur für Kinder zum Opfer der Begierde und mit einer Fotografie dann zum Beleg für scheinbaren Mut. Also Hochklettern, "Foto machen" und Absprung. Für die kleineren Kinder boten sich die beiden Kanonen an, auf dem neuen Lack rutschte sich vorzüglich. Alles war friedlich und im weiteren Verlauf war die Strasse des 17. Juni wie an jedem normalen Feiertag.

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Das Myfest, gegründet 2003, ist das Highlight des Feierns in Berlin-Kreuzberg geworden. Am 1. Maitag 2015 war auf dem Weg dorthin meine erste Blaulicht-Begegnung, Polizeiwagen standen quer und sperrten am Engeldamm die Verbindung zum Mariannenplatz. Berliner nutzen im allgemeinen öffentliche Verkehrsmittel, so war der Fußweg vom Ostbahnhof stärker "belebt" als an jedem anderen Freitag oder Feiertag des Jahres. In Feierlaune waren sie erst einmal mit einer stillen Demonstration konfrontiert. Aufgebaut war sie über der ehemaligen Mauer: "In Gedenken an die Opfer der Agenda 2010" war russisch, spanisch, türkisch übersetzt zu lesen. In Deutschland haben 60 Menschen durch Suizid ihr Leben beendet. Die Ursachen dazu waren schleichende Armut, Drohung des sozialen Abstiegs, Kündigung des Mietverhältnisses und ähnliches.

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Michael Fielsch hat die Ursachen, die zur Selbsttötung führten, zusammengetragen und trifft einen wunden Punkt. 2001 wurde der internationale EuroMayDay initiert, dessen zentrales Anliegen es ist, die "verschiedenartigsten Formen von Prekarisierung und Arbeit und Leben einen Ausdruck zu geben, die nach Ansicht der Organisatoren durch die klassischen Institutionen der Arbeiterbewegung und der Linken nicht (mehr) organisiert werden".

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Der Mariannenplatz selbst kündigte sich von weiten nicht nur mit feier-fröhlichen strömenden Menschen und Blaulicht an, auch Trommeln und Musik locken. Relaxen ist angesagt, Lachen, Spielen. Gegrilltes wie Geschnetzeltes und Gemüse, Brot, Tee, Kaffee, Wasser, Säfte, Bier stehen bereit und Männer tanzen. Anziehungspunkt für Kinder und Begleitung ist das Rondell im mittleren Park. Es ist dicht besetzt, belagert und umstellt, Kinder tollen in seiner Mitte, sie lachen, laufen und scheinen etwas fangen zu wollen. "Nachbarschaftlich" ist die Stimmung. Integration, Deutsche und andere, Weltanschauungen, Begegnungen - zumindest an diesem einen Tag wird es hier gelebt.

Der Mariannenplatz führt im Süden in die Oranienstrasse und über die Wiener Strasse nahe dem Görlitzer Park auf den Spreewaldplatz. Es ist ein kleiner, in Berlin eher unbekannter Platz, praktisch gelegen zwischen Feuerwehr, einer Schwimmhalle und den typischen Wohnblöcken der Gründerzeit, jeweils mit Restaurants und Sitzplätzen an der Strasse. Der Spreewaldplatz ist als Startplatz für die Revolutionäre 1. Mai-Demonstration 2015 ausgesucht worden und von allen Richtungen her gut erreichbar.

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Die Polizei hatte einen Demonstrationszug genehmigt, der über die Ohlauer- und die Reichenbacher Strasse vom Myfest weg und über eher schmalere Strassenzüge, an der geduldeten, von und für Flüchtlinge besetzten Gerhard Hauptmann Schule vorbei führte.

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Die meisten Demonstranten kamen zu Fuß einfach weiter im Verlauf der Oranienstrasse, über das Maybach-Ufer, von der Schönleinstrasse, dem Kottbusser Damm, der Skalizer Strasse…. Berlin und seine Gäste waren auf der Strasse. Hier und da gab es die Frage: "Wie komme ich zum Spreewaldspatz?" - "Einfach geradeaus, wir gehen alle dahin."

Darauf, dass ein Demonstrationszug sich in Bewegung setzt, warten alle: Die Zuschauer, die Demonstranten selber genauso wie die Polizeieinheiten, die ihren jeweils geplanten Begleit-Einsatz einzuhalten haben. Dann ging es los: Die Gesichter der Demonstranten signalisierten ihre Entschlossenheit, bewusst Teil dieser Demonstration zu sein und das mit großer Klarheit, ohne Bier und "Späßchen".

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Mein Rückweg führte zurück durch den Kreuzberger Kiez, über die Wiener Strasse, Oranienstrasse, hier wurde noch für einen Euro ein Blick von der Leiter in den Trubel angeboten, dann weiter über die Mariannenstrasse, Naunynstrasse, Adalbertstrasse zum Moritzplatz. Gut gelaunt waren sie beisammen, die Säkularen, die Muslime und Christen, fröhlich war’s. Gedränge? Na, ja, aber eigentlich nicht wirklich.

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Müll? Ja, die Gäste und auch die Myfest-Beauftragten vor Ort wussten sich zu helfen und stapelten die Hinterlassenschaften auf den Postkästen und manches fiel auch auf den Boden. Wir alle räumen nach einer Veranstaltung auf im Kleinen wie im Großen. Wohin mit dem Abfall, wenn nichts vorbereitet ist, keine Müllcontainer aufgestellt wurden? Die Anzahl der Touristen war mit 1.5 Millionen bekannt. Die leer getrunkenen Flaschen an den Kantsteinen fanden schnell einen neuen Eigentümer und haben vielleicht dem einen oder der anderen einen Einkauf ermöglicht.

Das Myfest, ursprünglich als Mittel zur Deeskalisierung der revolutionären 1. Mai Demonstration initiiert, wurde von der Bezirksbürgermeisterin Friedrichshain-Kreuzberg in Frage gestellt: Die Kapazitätsgrenze sei erreicht, der Müll zu viel, der Weg an der Gerhard Hauptmann Schule vorbei zu riskant …

In Deutschland geben übrigens die Bundesländer mit ihren Gesetzen dem 1. Mai als Feiertag ihren Namen. Beispielsweise in NRW ist es der "Tag des Bekenntnisses zur Freiheit und Frieden, soziale Gerechtigkeit, Völkerversöhnung und Menschenwürde".

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