Demonstration gegen "60 Jahre Loccumer Vertrag" in Hannover

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HANNOVER. (hpd/ibka) Mit einem Festakt begingen die niedersächsische Landesregierung und die Evangelische Kirche in Deutschland am 23. Juni 2015 das 60-jährige Bestehen des Loccumer Vertrages – ohne eingeladene Presse. Ein vielfältiges Bündnis Säkularer demonstrierte vor dem Gästehaus der niedersächsischen Landesregierung in Hannover für die Beendigung der in diesem Vertrag festgeschriebenen Kirchenprivilegien – im Beisein etlicher Medienvertreter.

Das ist schon bemerkenswert: Da wird im Gästehaus der niedersächsischen Landesregierung in Hannover von der niedersächsischen Landesregierung und der Evangelischen Kirche in Niedersachsen das 60-jährige Bestehen des Loccumer Vertrages mit einem Festakt begangen. Aber in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ)und der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung erscheint tags darauf nur ein kleiner Bericht mit dem Titel "Leiser Protest begleitet Kirchenempfang". Diesmal also kein großer Bericht – das ist schon bemerkenswert, denn oft genug wird der traditionelle Schulterschluss zwischen Kirche und Staat öffentlich groß demonstriert – wenn es der beiderseitigen Imagepflege dient. Die TAZ vom 24.6.2015 hat eine zutreffende Erklärung dafür: Würdenträger und Ministerpräsident begingen die Festveranstaltung "… nicht umsonst leise, still und beinahe heimlich: … Kassiert werden soll unter Ausschluss der Öffentlichkeit."

Es war ein vielfarbiges Bündnis, das sich vor dem Gästehaus eingefunden hatte: Rund 30 Menschen von der Humanistische Union (HU), den Piraten, der Grünen Jugend Niedersachsen (GJN), dem Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) und der Hannoverschen Regionalgruppe der Giordano Bruno Stiftung (GBS). Auf ihren Transparenten zeigten sie unmissverständlich ihren Unmut: "Kirchenprivilegien abschaffen!" – "Schluss mit den Kirchenprivilegien! Weniger Glockenläuten! Kein Zeitläuten!" – "Christlicher Staat – Nein danke!" – "Keine Demokratie ohne Trennung von Staat und Kirche – wir treten dafür ein!"

VertreterInnen der Humanistischen Union, des Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten und der GBS-Regionalgruppe übergaben den Besuchern des Festaktes ihr Flugblatt "7 Forderungen zum Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften". (siehe Anlage)

Gegenüber dem evangelischen Landesbischof, dem niedersächsischen Ministerpräsidenten und gegenüber der Presse wurde die Kritik an dem staatskirchenrechtlichen Abkommen "Loccumer Vertrag" deutlich schärfer formuliert: "Staatskirchen-verträge sind demokratiefremd, die Kirchenprivilegien gehören abgeschafft" sagte Johann-Albrecht Haupt von der Humanistischen Union. Zu dem im Vertrag festgeschriebenen Einzug der Kirchensteuern (besser hieße es: Vereinsbeiträge!) durch den Staat – ein Widerspruch zur Verfassung – sagte Hans-Jürgen Rosin (IBKA) gegenüber Radio LeineHertz: "Das ist auch ein Punkt, in denen die Kirchen bevorzugt werden, dass der Staat für die Kirchen die Kirchensteuer einzieht. Das macht er für keinen anderen Verein. Kein anderer Verein wird vom Finanzamt derartig unterstützt, sondern es geht immer nur um die beiden ….Kirchen. Die Kirchensteuer ist sowieso ein Relikt, das abgeschafft gehört."

GJN-Landeschef Marcel Duda erregte sich nicht nur über den staatlichen Kirchensteuereinzug, das diskriminierende kirchliche Arbeitsrecht und das Tanzverbot an den sog. stillen Tagen – weg damit. "Wir fordern die Landesregierung auf, sich für Verhandlungen zur Aufhebung des Loccumer Vertrages einzusetzen." Denn die darin zementierte Verbindung zwischen Staat und Kirche konterkariere das Leitbild einer offenen, vielfältigen Gesellschaft – so Duda gegenüber dem Weserkurier vom 23.6.2015.

Und wie reagierte der niedersächsische Ministerpräsident, der sich leutselig kurz zu den DemonstrantInnen begab? Die HAZ schreibt: "Er schätze das gute Verhältnis zur Kirche. Sprach’s und verschwand."

Bemerkenswert und erfreulich ist auch noch dieses: Mittlerweile haben die Medien bemerkt, dass hier in Niedersachsen eine Vielzahl von Menschen lebt, die keiner der beiden noch dominierenden sog. christlichen Kirchen angehören und die kein Verständnis mehr haben für die zahllosen geldwerten und einflusssichernden Kirchenprivilegien. Genauer gesagt: Von den ca. 7,9 Mio Einwohnern in Niedersachsen zählen rund 30 Prozent zu den Konfessionslosen oder sind Mitglieder anderer Religionen, rund 2 Prozent sind Muslime, 50 Prozent protestantisch und 18 Prozent katholisch (Quelle: Statista; 2015).

An den beiden letztgenannten Zahlen sind berechtigte Zweifel angebracht: Wie hoch ist die Dunkelziffer derjenigen, die nur deswegen Kirchenmitglied sind, damit sie wegen des diskriminierenden kirchlichen Arbeitsrechts ihren Arbeitsplatz in einer der vielen sozialen Einrichtungen, die von den Kirchen betrieben werden, nicht verlieren?

Die TAZ verweist zu Recht auf die jährlichen Millionenzahlungen von Bund und Ländern und die aufgelaufenen Milliardenbeträge an die Kirchen seit 1803 und resümiert unter dem Titel: "Festhalten an den Verträgen? – Kohle für die Kirche": "Umso wichtiger, dass Humanisten und Atheisten ein Ende der Milliardensubventionen, zumindest aber die Einfügung von Kündigungsklauseln in den Loccumer Vertrag gefordert haben – und dass wenigstens die Nachwuchsorganisation (Grüne Jugend Niedersachsen; I.W.) einer Regierungspartei den Mut hatte, sie dabei zu unterstützen. Denn die Diskussion um Loccum hat gerade erst begonnen." So ist es! Die säkularen Verbände in Deutschland werden weiterhin auf die Entfilzung zwischen Staat und Kirchen/Religionsgemeinschaften dringen.