Alternative zu Hillary Clinton

Der demokratische Sozialist Bernie Sanders

Auch in anderen Politikfeldern geht es Sanders um eine Reduzierung der Macht der Superreichen, sei es bezogen auf ihren Einfluss auf die Medien, sei es hinsichtlich der Regelung von Wahlkampfspenden. Er beschwört dabei die Gefahren einer Entwicklung, welche es Billionären erlaubt, Kandidaten und Wahlen zu kaufen. Sanders sieht hier Gefahren für die politische Demokratie und die soziale Sicherheit. Diese Einstellung erklärt mit seine Abneigung gegen Freihandelsabkommen, die den Profitinteressen von Großkonzernen in den USA dienten, doch im eigenen Land zu Arbeitslosigkeit und Lohndumping führten. Gleichwohl lehnt Sanders nicht alle internationalen Abkommen ab, denn bezogen auf den Klimaschutz plädiert er entschieden für Übereinkünfte auch für die USA. Ansonsten tritt Sanders eher für außenpolitische Zurückhaltung ein. Den "Islamischen Staat" hält er zwar für eine anwachsende Bedrohung durch eine barbarische Organisation, sieht aber für die Bekämpfung die Länder des Mittleren und Nahen Ostens in der Pflicht.

Diese Einstellung konnte man bereits im früheren Abstimmungsverhalten feststellen: Sanders gab 2002 einer Resolution zum Irak-Krieg nicht seine Stimme und opponierte ab 2003 stark gegen die Invasions-Politik der Bush-Administration. Krieg dürfe nicht das erste, sondern nur das letzte Mittel zur Lösung solcher Probleme sein. Darüber hinaus sollten die USA im internationalen Einklang und nicht durch eine unilaterale Invasion handeln. Gegenüber Israel nahm Sanders eine Haltung der kritischen Solidarität ein. Denn die von der Netanjahu-Regierung 2014 durchgeführten Bombardierungen mit der Tötung vieler Zivilisten legten die Grundlage für fortgesetzten Hass und stärkten letztendlich die Hamas. Besondere Kritik fand bei Sanders das Bemühen, mit Hinweis auf eine sicherheitspolitische Bedrohung durch den Terrorismus bestimmte Grundrechte einzuschränken oder zu relativieren. Er gehörte denn auch nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zu den kontinuierlichen Kritikern des "Patriot Act" und stimmte gegen alle Neuauflagen und Verschärfungen.

Wie steht es um seine Wirkung?

Wie steht es um Sanders’ Wirkung? Als er seine Bewerbung um die Nominierung als Kandidat der Demokraten für die Präsidentschaftswahl erklärte, tat Sanders dies als das zuvor am längsten amtierende parteilose Mitglied des Repräsentantenhauses und als der erste bekennende Sozialist im Senat in der US-Geschichte. In der letztgenannten Funktion hatte er sich der Demokraten-Fraktion angeschlossen und bei den meisten Abstimmungen mit ihr votiert. Da Sanders aber der Partei nicht angehört und als Unabhängiger wirkt, verfügt er bei den Demokraten weder persönlich noch politisch über eine "Hausmacht" bzw. Verankerung. Seine Kandidatur findet denn auch kaum Akzeptanz und Unterstützung von hochrangigen Funktionären oder relevanten Untergliederungen. Darüber hinaus kann man Sanders mit seiner inhaltlichen Ausrichtung dem eher kleinen linken Flügel zuordnen.

Insofern sprach zunächst nicht viel für den Erfolg der Kampagne, noch dazu als Konkurrent von Hillary Clinton. Indessen fand Sanders bereits zu Beginn seiner Kandidatur große Zustimmung:
Zwar konnte er nach ersten Umfragen nur mit um die fünf Prozent rechnen. Doch binnen weniger Wochen stieg die Bereitschaft auf um ein Drittel der potentiellen Stimmen stark an. Damit liegt Sanders noch klar hinter Clinton, aber der Abstand beträgt je nach Staat nur noch zwischen zehn und zwanzig Prozent. Gleichzeitig mobilisierten seine Wahlkampfauftritte – im Vergleich mit denen der anderen Kandidaten beider Parteien - die meisten Zuhörer. Auch in entscheidenden und konservativen Staaten fand sich eine erstaunlich hohe Zahl ein. Bei Spenden kann Sanders indessen nicht mithalten: Während Clinton hohe Summen von wenigen Reichen einnahm, kam von Kleinspendern lediglich ein Drittel ihres finanziellen Etats für ihn zusammen. Dafür hat sich eine aktive "Grassroot"-Bewegung gebildet, welche für die Kandidatur über Facebook und Twitter wirbt. Aus deren Reihen stammen auch zwei kurze YouTube-Videos. In der Gesamtschau hat die Kampagne unter dem Slogan "A political revolution is coming not for sale" erstaunliche Reaktionen ausgelöst.

Dies belegt, dass es in der Gesellschaft offenkundig ein bedeutendes Potential für einen stärkeren Wandel gibt. Bereits bei der Obama-Kampagne hatte es sich artikuliert, war aber durch die Kompromiss-Politik des Präsidenten gegenüber den Republikanern enttäuscht worden. Die Kritik an der ansteigenden sozialen Ungleichheit, die das Kernthema von Sanders Wahlkampf bildet, stellt zwar auf eines der bedeutsamsten Problemfelder der US-Gesellschaft ab. Auch wenn der Kandidat hier Glaubwürdigkeit und Kompetenz in hohem Maße vorweisen kann, dürfte er das durchaus vorhandene Klientel für eine Stimmabgabe zu seinen Gunsten nicht mobilisieren können. Gerade die von den gemeinten Entwicklungen negativ Betroffenen haben sich immer mehr aus dem politischen Prozess verabschiedet und zurückgezogen. Darüber hinaus deutet sich schon jetzt an, dass nicht nur die konservativen Medien eine Schmutzkampagne starten werden. Mit einer besonders perfiden Hetze bezeichnete man jüngst ausgerechnet den Juden Sanders als Nationalsozialisten.

Welches Sozialismus-Verständnis besteht?

Und schließlich bietet für die erwartbaren Diffamierungen auch Sanders’ öffentliches Bekenntnis als Sozialist ein Thema. Auch unabhängig davon stellt sich die Frage nach dem besonderen politischen Profil des Kandidaten, der damit eine Außenseiter-Position im Lichte der Politischen Kultur der USA einnimmt. Welches Sozialismus-Verständnis besteht bei Sanders? Spricht man ihn darauf an, wie in einem "Fox"-Interview, verweist er zunächst ausdrücklich auf das Attribut "demokratisch". Dies ist aufgrund der negativen Konnotierung von Sozialismus mehr als nur verständlich. Sanders’ Auffassungen haben indessen nichts mit einem diktatorischen oder extremistischen Verständnis zu tun. Gefragt nach politischen Systemen mit Vorbildcharakter nennt er Dänemark und Finnland, Norwegen und Schweden. Für Sanders soll Amerika "skandinavischer" im Sinne dieser Systeme von Wohlfahrtsstaaten werden. Dabei verweist er auf die dortigen Entwicklungen unter sozialdemokratischen Regierungen der Vergangenheit.

Demnach geht es Sanders um eine linkskeynesianische und nicht um eine planwirtschaftliche Politik für die USA. Die Marktwirtschaft soll durch Interventionen des Staates, deren Kern eine Steuerpolitik zugunsten der mittleren und unteren Schichen wäre, hinsichtlich ihrer Neigung zur sozialen Ungleichheit korrigiert werden. Demnach steht Sanders nicht mehr in der Tradition von Eugene V. Debs und stärker in der Tradition von Franklin D. Roosevelt. Der letztgenannte Präsident hatte die Auswirkungen der seinerzeitigen Weltwirtschaftskrise mittels eines Beschäftigungsprogramms und einer Umverteilungspolitik überwinden wollen. Insofern können Sanders’ Auffassungen nur aus heutiger Sicht als ungewöhnlich gelten, haben sich doch im öffentlichen Diskurs nicht nur der USA die Einstellungen zum Politik-Wirtschaft-Verhältnis verschoben. Aus europäischer Perspektive formuliert entsprechen die genannten Forderungen denen der sozialdemokratischen Parteien insbesondere in den skandinavischen Ländern der 1960er und 1970er Jahren.

Da die damaligen Gegebenheiten von einem hohen Maß an politischer Freiheit und sozialer Sicherheit geprägt waren, können Forderungen mit solchen Rekursen zumal für die USA keineswegs als überholt gelten. Eine Aussage hinsichtlich Sanders’ Positionen ergibt sich aber auch aus seiner Antwort auf die Frage, wen er sich als Angehörige seines Kabinetts vorstellen könnte. Mit dem bedeutenden Ökonomen Paul Krugman, dem ehemaligen Clinton-Arbeitsminister Robert Reich und dem früheren Chefvolkswirt der Weltbank Joseph Stigliz nannte er drei erfahrene und profilierte Experten, die alle scharfe Kritiker einer von steigender sozialer Ungleichheit geprägten Wirtschaftsentwicklung sind. Im Konsens mit deren Auffassungen bewegt sich der 73jährige Senator durchaus am Puls der Zeit. Da er mit seinen Forderungen nicht die Millionäre mobilisieren kann, muss er dafür die Millionen von Wählern mobilisieren. Diese Erwartung kann man mit guten Gründen skeptisch sehen. Doch wie sagt Bernie Sanders selbst am Ende eines Videos: Man solle ihn nicht unterschätzen.