Notizen aus Polen

Jahreswechsel an der Weichsel

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WARSCHAU. (hpd) Das waren die politisch schnellsten Monaten seit der Wende im Jahre 1989, in denen die regierende national-katholische Partei PiS die mühsam erbaute liberale Republik stark geschwächt hat. Am meisten hat die Verfassung gelitten.

Alle namhaften Juristen und ihre Organisationen: Das Komitee der Rechtswissenschaften der Akademie der Wissenschaften, der Erstee Vorsitzende des Obersten Gerichts, der Landesrat des Gerichtswesens, der Oberste Rat der Anwaltschaft, der Bürgerbeauftragte und vor allem die leitenden Gremien der Justizfakultäten der führenden polnischen Universitäten haben die – zumeist im Eiltempo von PiS-Mehrheit verabschiedeten – Gesetze eindeutig als Verfassungswidrig erklärt. Die PiS hat dafür nur die Antwort: Das sei unbegründete Hysterie.

Ziel der von PiS schon beschlossenen, angekündigten und erwarteten Gesetze ist die Unterordnung der wichtigsten Institutionen des demokratischen Staates unter die Regierung und die Rücknahme vielen freiheitlichen Regelungen: Verfassungsgericht, öffentliche Medien, Staatsanwaltschaft (der Justizminister wird wieder auch Generalstaatsanwalt sein), Beamtentum (anstatt freier Wettbewerb für die höhere Beamtenposten die Nominierung von den Vorgesetzten), Schulwesen (neue Inhalte der Unterrichtsgrundlagen) , Kulturleben, historische Politik (die erneute Geschichtsschreibung in national-katholischen Gesinnung), Aufgeben der Finanzierung in vitro Befruchtung, Verschärfung des Abtreibungsgesetzes, neue Besteuerungen der Banken und des Supermarkts, Antiterrorismus Gesetz das die Bürgerfreiheiten einschränkt (u.a. weitgehende Überwachung des Internets), Stärkung der Position der Katholischen Kirche (die Trennung des Staates und der Kirche wir praktisch nicht mehr bestehen). Alle diese Gesetze wurden als so genannte Projekte der Abgeordnetengruppen durch das Parlament durchgesetzt, was die Umgehung der üblichen Prozeduren und Anforderungen ermöglicht, zum Beispiel die öffentliche Konsultationen und das Einholunen von Meinungen und Gutachten relevanter Institutionen und Organisationen.

Diese Ziele waren kaum im Wahlprogram der PiS artikuliert. Demgegenüber wurden die Versprechungen, mit denen die PiS die Wahlen gewonnen und auch linksgerichtete Wähler gewinnen konnte (was zu Wahlniederlage der Sozialdemokraten beigetrug) noch immer nicht im Parlament besprochen worden. Da wären: Das Versprechen auf 500 PLN für jedes neugeborene Kind, die Bestimmung des Mindeststundenlohnes, eine Erhöhung der steuerfreien Bemessungsgrundlage, die Herabsetzung des Pensionsalters, eine Entlastung den zahlreichen Kreditnehmer u.a. Man hat schon angekündigt, dass diese Projekte weit und breit in der Gesellschaft diskutiert werden, was die lange Verzögerung ihrer Verabschiedung durch Parlament bedeuten kann. Vor allem aber schiebt die Regierung diese Projekte auf die lange Bank, weil im Staatshaushalt viel zu wenige Mittel für ihre Finanzierung besteht.

Die Gleichgültigkeit der Gesellschaft und die Konformität der von der “Guten Änderung” (so die Hauptparole aus der Wahlkampagne der PiS) betroffenen Beamten, Angestellten, Geschäftsleute, Artisten etc. war von der PiS kalkuliert. Der Plan war, zuerst blitzschnell die weitgehenden politischen Veränderungen einzuführen, bevor die Leute recht verstehen, worum es geht und dann die “sozialen Bonbons” zu verteilen.

Dieser Kalkül scheint aber aus zwei Gründen nicht aufzugehen.

Erstens - Jarosław Kaczyński hat nicht mit dem sofortigen und so großen gesellschaftlichen Protesten gerechnet. Er duldet keinen Widerstand, verliert die Geduld und greift brutal seine Widersacher an. Die Beleidigungen gegenüber protestierenden Demonstranten: “Diebe”, “Kommunisten”, “Leute geringerer Sorte”, “Verräter” usw. verursachen jedoch einen noch größeren Widerstand der Polen. Laut neuesten Umfragen solidarisieren sich 40% der Befragten mit den von Komitee für Verteidigung der Demokratie (KOD) organisierten Protestkundgebungen und nur 25% stimmen für die PiS Losungen.

Zweitens - die europäische Institutionen haben überraschend rasch auf Ereignisse in Polen reagiert . Sowohl die EU-Kommission, als auch das EU-Parlament wird die Situation in Polen analysieren und entsprechend handeln. Die Minister der polnischen Regierung versuchen bereits, diese EU Vorhaben als “unerlaubte Einmischung in die innere Angelegenheiten Polens” zu stoppen. Hoffentlich vergeblich.

Es besteht noch eine Gefahr für die Regierenden. Die Proteste, offenen Briefe, Kundgebungen etc. haben bisher die Teilnehmer in dem Alter um 30–40 erreicht. Die jungen Leute haben bei den letzten Wahlen vor allem die Protest-Parteien des Rockmanns Kukiz und des Anarchist Korwin-Mikke unterstützt. Wenn den Jungen nun klar wird, dass das neue Antiterrorismusgesetz ihr “Heiligtum”, das Internet, reglementiert und kontrolliert, werden sie höchstwahrscheinlich genau so massenhaft wie bei Anti-ACTA Protesten Widerstand leisten.

So optimistisch das auch klingen mag; die meisten Beobachter und Kommentatoren der politischen Szene in Polen sind eher der Meinung, dass es nicht zu vorgezogenen Parlamentswahlen kommen wird und wir vier lange Jahr der PiS-Herrschaft vor uns haben werden. Es gibt sogar Politiker, wie Lech Wałęsa und Bogdan Borusewicz (einst Präsident und Senatsvorsitzender), beide legendäre Anführer des ersten Streiks in Werft Gdańsk im Jahre 1980, die in schlimmsten Fall einen Bürgerkrieg in Polen nicht ausschließen wollen.