Kommentar: Zum Umgang mit Zuschreibungen im journalistischen Alltag nach Köln

Die verflixte Ziffer 12.1

Das Bekanntgeben der Nationalität oder der ethnischen Herkunft der Verdächtigen der Silvestervorfälle in der Domstadt scheint wiederum gerechtfertigt: Nicht zwingend die aktuelle “Flüchtlingskrise” berechtigte zu diesem Schritt. Viel eher war das Ausmaß der nächtlichen Vorfälle von derart öffentlichem Belang, dass es besonders zum Bewahren der Integrität von etwaig anderen Gruppen nahezu unumgänglich gewesen ist, die Zugehörigkeit der Täter zu einem bestimmten Personenkreis anzuführen. In der Gegenüberstellung von Beweggründen zur Veröffentlichung einzelner Detailangaben kann im Zweifel die Aufklärung, die auch dem Schutz der Bevölkerung vor weiteren Straftaten ähnlichen Vorgehens dienen dürfte, dem Risiko der Unduldsamkeit überwiegen. Sie erfolgt dann nicht zum bewussten und willentlichen Verbreiten von Ressentiments, sondern im Informationsauftrag, den die Presse gleichsam gewissenhaft wahrzunehmen verpflichtet ist.

Und natürlich ist die Nennung einer Behinderung bei einem Unfall eines Rollstuhlfahrers mit einem PKW für das Verständnis der Leserschaft von Bedeutung, wenn sich jeder Nichtbeteiligte fragen würde, weshalb der Verunglückte das Auto denn nicht gesehen hat. So kann gar die Erwähnung einer bestimmten Eigenschaft erforderlich sein, um falsche Verdächtigungen, Schulzuweisungen oder Werturteile eben gerade zu unterbinden. Ebenso, wie es zulässig sein kann, den Stand eines Sozialhilfeempfängers vorzubringen, wenn es um seine Gerichtsverhandlung über einen möglichen Missbrauch solcher Leistungen geht. Denn potenzielle Zusatzangaben, die geeignet sind, eine Sachdarstellung in einem ehrlicheren Lichte (welches nicht mit einem gefälligeren Bilde für die Stimmung im Volke zu verwechseln ist) dazustellen, sind im Sinne der Wahrhaftigkeit (Ziffer 1 Pressekodex) sogar unumgänglich. Oder aber bei einer Gewalttat, die im Namen einer Religion verübt wird: Auch hier ist das Benennen des weltanschaulichen Bekenntnisses des vermeintlichen Täters vollends nachzuvollziehen und für die Gewichtung des Vorfalles durch den Leser bedeutsam.

Eine zentrale Aussage von Ziffer 12 des Pressekodexes ist aber das Untersagen von jeglicher Pauschalisierung und Generalisierung. Nur, weil Person A eine Straftat begangen hat, ist die nationale Gruppe, der A angehört, nicht ebenso verdächtig. Und damit dürfte auch selbstverständlich sein, dass die Nationalität eines anderes Mitgliedes dieser Herkunft bei einer ähnlichen Straftat nicht automatisch genannt werden darf. Geschlossene Sachzusammenhänge gehören zum zwingend objektiven Vorgehen eines Journalisten, das ihm in allen Genres seines Faches zu unterstellen ist.

Wann bedarf es aber das “Verständnis” über den “begründeten Sachbezug” zu einem “berichteten Vorfall”? Ist es für das Verstehen einer Meldung oder einer Information von Bedeutung, ob der Einbrecher in das Geschäft in der Stadt aus einem bestimmten Land stammt? Tatsächlich kann die Antwort “Ja” oder “Nein” sein. Generell würde man die Frage verneinen, denn Einbrüche geschehen sowohl von Deutschen wie auch von Ausländern. Ist aber beispielsweise durch eine Studie oder eine Erhebung belegt worden, dass im Stadtteil, in dem eingebrochen wurde, überproportional viel Kriminalität durch eine andere ethnische Tätergruppe erfolgt, kann die Erwähnung der Nationalität gleichsam richtig sein, um Vorurteile reduzieren zu können. Auch diese Aufgabe hat Journalismus.

Würde ein Verdächtiger aus dem Kreise derer stammen, die auffällig waren, wäre dagegen ein Vorbringen seiner Herkunft möglicherweise sogar fahrlässig, sollte nicht wiederum die Schutzwürdigkeit anderer Interessen – wie der Anspruch auf Sensibilisierung (und nicht Polarisierung!) der Bürger – überwiegen. Um den Fallen der Parteilichkeit zu entgehen, steht dem Journalisten sein wichtigstes Handwerkszeug zur Seite: Sprache, Stil und Formulierung. Mit ihnen kann er das Wagnis mindern, in bewertendes Schreiben abzudriften. Leitmotiv ist hierbei die Sorgfalt. Sie hat der Pressekodex in Ziffer 2 als “unverzichtbares Instrument” bezeichnet – und sie macht gerade in Ziffer 2.1. für das Arbeiten in der momentanen Situation klar, dass nicht Umfragen oder Statistiken allein den Journalisten leiten dürfen, denn gerade sie sind es oft, die zur Befangenheit aus falscher Deutung, unzureichender Verhältnismäßigkeit und durch meist ungewollte wissenschaftliche Ungenauigkeiten beitragen.

Die wahrheitsgetreue Wiedergabe aller Nachrichten, die den Ruf des Journalisten sichert, gelingt am ehesten in der selbstkritischen Frage, wie viele Attribute notwendig sind, um Sinn, Hintergrund sowie Zusammenhänge einer Meldung zu verstehen. Sich dabei aus Sicht des unabhängigen Journalisten in die Lage des subjektiv motivierten Lesers zu versetzen, ist eine Mammut-Aufgabe, an der sich die Presse und die Medien messen lassen müssen. Manchmal ist im Informieren auch ein Weniger schlussendlich ein Mehr. Sicherheit darf dabei aber nicht zu mutlosem Zurückhalten führen, das würde dem Charakteristikum des journalistischen Berufes nicht gerecht. Gleichsam ist diese verflixte Ziffer 12.1 des Pressekodexes gar kein so unerfüllbares Monstrum, zu dem es dieser Tage ungerechterweise degradiert wird. Sie einzuhalten, ist eigentlich eine selbstredende Kunst, es bedarf lediglich viel Ehrlichkeit, noch mehr Vernunft und ganz besonders viel Verantwortungsbewusstsein, sich als Journalist mit der eigenen Arbeit auch in Tagen angespannter Zukunftsaussicht für den eigenen Stand nicht profilieren zu wollen, sondern ein gewissenhafter “Berufsethiker” zu sein…