Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche

Aufarbeitung ohne Verantwortung

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Matthias Katsch ("Eckiger Tisch", links) bei einer Kunstaktion 2020 im Gespräch mit Stephan Ackermann (Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz).
Matthias Katsch im Gespräch mit Stephan Ackermann

Elf Jahre nachdem der Missbrauchsskandal am Berliner Canisius-Kolleg begann, legt das Bistum Berlin ein Gutachten einer Anwaltskanzlei über sexuellen Missbrauch durch Priester vor: Ohne Verantwortliche zu identifizieren, ohne Täter zu benennen, ohne mit Opfern zu sprechen. Konkrete Informationen für die Fälle, die dabei untersucht wurden, werden nicht veröffentlicht. Die Beschäftigung damit soll der "innerkirchlichen" Aufarbeitung überlassen bleiben.

Als Begründung wird der Schutz der Persönlichkeitsrechte der Täter und die angebliche Gefahr der Retraumatisierung der Opfer angeführt. Tatsächlich wird auf diese Weise verhindert, dass Betroffene voneinander erfahren, sich austauschen und vernetzen können. Auch die Öffentlichkeit wird gehindert, sich ein Bild von den empörenden Vorgängen machen zu können, angeblich um Voyeurismus zu vermeiden. Dieses Vorgehen führt das Bemühen um Aufklärung und Aufarbeitung ad absurdum. Eine Kontrolle über das kirchliche Vorgehen durch die Öffentlichkeit ist nicht möglich.

Verfasst wurde das Gutachten von denselben Anwälten, die die Kirche seit über zehn Jahren dabei beraten, wie sie möglichst billig aus der Krise kommt – billig aus Sicht der Betroffenen. Die Anwälte selbst dürften als Honorare ein Vielfaches der Summen erhalten, die sie den Opfern zukommen lassen.

Es sind dies dieselben Anwälte, die sich in Köln mit wiederum anderen Anwälten darüber streiten, wer die Verantwortungsträger besser vor unbilliger Kritik schützt. Denn man muss es klar sagen: Anwälte dienen richtigerweise ihren Auftraggebern, nicht der Öffentlichkeit und schon gar nicht den Betroffenen. Von einer innerkirchlichen Aufarbeitung haben die Betroffenen jedenfalls nichts zu erwarten.

Eine Untersuchung der Hunderte von Missbrauchsfällen an den Schulen des Jesuitenordens in Deutschland, die wissenschaftlichen Maßstäben genügt und die Betroffene einbezieht, fehlt nach wie vor. Wir appellieren an den Jesuitenorden, hier endlich eine umfassende, unabhängige Aufarbeitung in Gang zu setzen. Auch die anderen Ordensgemeinschaften in Deutschland, die in ihren Unterlagen Hinweise auf über 1.600 Opfer gefunden haben, brauchen dringend entsprechende Untersuchungen.

Verbesserte Anerkennungsleistung, aber nicht für alle −
und weiterhin keine Entschädigung in Sicht

Offen ist auch die Frage der Entschädigung, die seit dem Runden Tisch, der dafür eine Lösung finden sollte und nicht fand, immer wieder verzögert und verschleppt wurde. Seit 1. Januar soll es eine auf Antrag verbesserte Anerkennungsleistung geben. Die Bistümer zahlen jetzt − nach über zehn Jahren − also angeblich das, was an deutschen Gerichten in solchen Fällen üblich ist, als Schmerzensgeld. Damit geben sie zu, dass sie bisher dazu nicht bereit waren. Zugleich ist aber sichergestellt, dass deutsche Gerichte gar nicht in die Lage kommen, entscheiden zu müssen, was es denn wert ist, fahrlässig das Leben eines Kindes durch einen immer wieder versetzten Serientäter ruinieren zu lassen. Denn im Zweifel beruft sich die Kirche auf die Verjährung.

Die jetzt angebotene, verbesserte Anerkennungszahlung erfolgt wiederum nach dem Prinzip "friss Vogel oder stirb". Die zaghaften Versuche, zwischenzeitlich mit Opfervertretern über wirkliche Entschädigung zu sprechen, wurden ganz schnell beendet, als klar war, dass man sich das nicht leisten will.

Ganz billig ist es aber, dass die Opfer der katholischen Orden außen vorgelassen werden. Die Opfer der Jesuiten, Redemptoristen, Salesianer, Maristen, Hiltruper Missionare, Schwestern vom göttlichen Erlöser und wie sie alle heißen, warten weiter.

Die ersten dieser Ordensgemeinschaften haben bereits ihr Geschäft in Deutschland eingestellt und lassen von ihren Niederlassungen im Ausland mitteilen, dass sie leider für die Hinterlassenschaft ihres Wirkens in Deutschland keinerlei Verantwortung mehr zu tragen bereit sind. Hier müssen die Bischöfe die Verantwortung übernehmen: Opfer einer Ordensgemeinschaft im Bereich eines Bistums müssen sich in jedem Fall an dieses Bistum wenden können, um eine Anerkennungsleistung zu erhalten – und zwar unabhängig davon,
ob die Ordensgemeinschaft willens oder in der Lage ist, Verantwortung zu übernehmen.

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