Betroffenenorganisation "Eckiger Tisch":

Staatliche Untersuchungskommission zum kirchlichen Missbrauchsskandal gefordert

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Kloster (Symbolbild)
Kloster (Symbolbild)

Die Zeit des Versteckspielens ist vorbei − auch für die katholischen Ordensgemeinschaften in Deutschland. Es ist Zeit für eine staatliche Untersuchungskommission. Die Orden müssen sich bereiterklären, an der Aufklärung und Aufarbeitung der dunklen Aspekte ihrer Vergangenheit mitzuwirken. Sollten sie sich einer Aufklärung verweigern, müsste ihnen der Status von Körperschaften öffentlichen Rechts entzogen werden. Wenn den "Organisationen der Täter" die Aufklärung wieder selbst überlassen wird, in der Hoffnung, dass es schon irgendwie gut gehen wird, dann verpassen wir die vielleicht letzte Gelegenheit, dieses Kapitel deutscher Zeitgeschichte aufzuklären.

Es ist ein Skandal in mehrfacher Hinsicht: 100 katholische Ordensgemeinschaften haben in den vergangenen Monaten in ihren Unterlagen nachgesehen und festgestellt, dass sich dort Spuren von mindestens 1.400 Opfern und 650 Tätern sexuellen Missbrauchs finden. Zehn Jahre haben die Jesuiten, Redemptoristen, Salesianer, Franziskaner und all die anderen Orden für diese Feststellung gebraucht. Zwei Drittel der männlichen Gemeinschaften berichten, dass es bei ihnen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Ordensangehörige gab. Und immerhin 20 Prozent der Frauenkongregationen.

Diese Gemeinschaften, in denen Nonnen und Mönche, Priester und Brüder zusammenleben, betrieben und betreiben in Deutschland dutzende Schulen, Internate, Heime und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Sie genießen den Status von Körperschaften des öffentlichen Rechts, denn sie gehören zur katholischen Kirche und haben damit Anteil an den großzügigen Privilegien, die unsere Verfassungsordnung religiösen Institutionen der beiden Großkirchen einräumt.

Bei Bedarf betonen sie dann aber auch wieder ihre Unabhängigkeit von den 27 Bistümern und ihren Bischöfen in Deutschland. Die meisten unterstehen formal dem Papst und seiner Bürokratie im fernen Vatikan. Vom deutschen Staat hatten sie bislang nichts zu befürchten. Und es sieht so aus, als ob sie der Überzeugung sind, dass dies auch weiterhin gilt. Deshalb haben sie weder an der MHG-Studie teilgenommen, die vor zwei Jahren die Öffentlichkeit und die Kirche selbst erschütterte, noch haben sie eigene Studien in nennenswertem Umfang durchführen lassen.

Und auch jetzt meinen sie, dass sie alle Zeit der Welt hätten, um erst einmal in Gespräche einzutreten, ob und wie sie ihre Geschichte von Gewalt und sexuellem Missbrauch aufklären wollen. Nur dass sie es nicht so machen wollen wie die Bischöfe, da sind sie sich sicher. Doch im Gegensatz zu den Bistümern, die in der Regel über mehr oder weniger professionelle Strukturen verfügen, auf die bei Aufarbeitungsprojekten aufgesetzt werden kann, scheinen die Orden völlig überfordert. Und die wenigen großen Gemeinschaften, die sehr wohl in der Lage gewesen wären, auch schon in der Vergangenheit selbst an die Aufarbeitung zu gehen, ihren Opfern Hilfe zu leisten und Entschädigungen anzubieten, haben sich jahrelang hinter den hunderten kleinen, teilweise obskuren Schwestern- und Bruderschaften versteckt, die sich in der sogenannten "Deutschen Ordensoberen-Konferenz" eine Vereinsstruktur gegeben haben, die zu nichts verpflichtet und zu nichts verpflichten kann.

Aktenbestände sichern und den Staatsanwaltschaften zur Verfügung stellen

Dies ist die andere Seite des Skandals: Dass die Orden so lange ungehindert nichts tun konnten, wohl in der Hoffnung, dass die Opfer irgendwann resignieren oder sterben, so wie viele Täter. Nur nicht wie diese abgesichert im Schoße ihrer Gemeinschaft, sondern mit den Folgen des Missbrauchs in ihrem Leben, oft genug neben seelischer Not und gesundheitlichen Beeinträchtigung auch in finanzieller Not.

Wir fordern deshalb: Alle Aktenbestände der Ordensgemeinschaften müssen jetzt gesichert und den Staatsanwaltschaften zur Verfügung gestellt werden, sofern es einen Verdacht auf sexuellen Kindesmissbrauch durch Angehörige dieser Gemeinschaften gibt. Sofern dann eine Verjährung festgestellt ist, was in vielen Fällen zu erwarten ist, müssen die so gesicherten Unterlagen einer baldigst einzurichtenden zentralen Aufarbeitungskommission zugeleitet werden. Die Orden müssen sich bereiterklären, an der Aufklärung und Aufarbeitung der dunklen Aspekte ihrer Vergangenheit mitzuwirken. Sollten sie sich einer Aufklärung verweigern, müsste ihnen der Status von Körperschaften des öffentlichen Rechts entzogen werden.

Das deutsche Parlament sollte möglichst rasch eine unabhängige Untersuchungskommission für diesen kriminellen Komplex "sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche durch Angehörige katholischer Ordensgemeinschaften" einsetzen. Nur so ist zu erwarten, dass die noch lebenden Opfer jemals so etwas wie Klarheit und Wahrheit erfahren werden über die Umstände, unter denen sie als Kinder und Jugendliche Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch durch Angehörige dieser Organisationen wurden, und wie diese Taten über Jahrzehnte von den Leitungen verdeckt und verheimlicht wurden.

Denn: Wenn jetzt wieder nicht gehandelt wird − zehn Jahre nach dem Bekanntwerden der über 100 Opfer allein an der Berliner Schule des Jesuitenordens, dem Canisius-Kolleg −, wenn also den "Organisationen der Täter" die Aufklärung wieder selbst überlassen wird, in der Hoffnung, dass es schon irgendwie gut gehen wird, dann verpassen wir die vielleicht letzte Gelegenheit, dieses Kapitel deutscher Zeitgeschichte aufzuklären.

Darüber hinaus erwarten wir, dass die Ordensgemeinschaften sich gemeinsam bereiterklären, solidarisch ihre Opfer zu entschädigen, falls notwendig auch unter Hilfe der gesamten katholischen Kirche in Deutschland, der reichsten Kirche der Welt.

Keinesfalls darf mit Hinweis auf verarmte Gemeinschaften den Opfern eine angemessene Entschädigung verweigert werden. Diese müssen sich an den Empfehlungen orientieren, die im letzten Jahr im Auftrag der und für die Deutsche Bischofskonferenz von Expertinnen und Experten entwickelt und vorgelegt worden sind.

Mindestens 5.000 Kinder und Jugendliche sind in den vergangenen Jahrzehnten durch Priester und Ordensleute der katholischen Kirche sexuell missbraucht worden. Das steht nunmehr fest. Das geben die eigenen Unterlagen der Kirche preis. Mindestens 2.200 Priester, Brüder und auch Schwestern werden als Täter und Täterinnen beschuldigt. Dies ist die Verantwortung, der sich die katholische Kirche in Deutschland insgesamt stellen muss.

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