Die Sozialwissenschaftlerin Janine Schröder legt mit ihrem Buch "Politisch motivierte Gewalt. Eine qualitative Befragung in der linksautonomen Szene" eine Studie zum Thema vor. Auch wenn nur wenige Befragte in das Projekt einbezogen wurden, ergaben sich doch interessante Erkenntnisse zu Gewalteinstellungen und Positionen.
Durch die gewalttätigen Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel in Hamburg 2017 wurde eine breitere Öffentlichkeit daran erinnert, dass es auch einen linken Extremismus mit einem Gewaltpotential gibt. Meist sind dies heute Anhänger der Autonomen-Szene. Sie besteht bereits seit Anfang der 1980er Jahre, Aufsätze oder Bücher zu ihr liegen aber häufig nur von früheren Protagonisten oder Sympathisanten vor. Denn die Akteure schotten sich gern gegenüber der Außenwelt ab, was sowohl in der Einstellung gegenüber Journalisten wie Wissenschaftlern gilt. Ausnahmen bestätigen die Regel. Eine solche Ausnahme ist die von der Sozialwissenschaftlerin Janine Schröder vorgelegte Studie: "Politisch motivierte Gewalt. Eine qualitative Befragung in der linksautonomen Szene". Es handelt sich hier um eine qualitative, nicht um eine quantitative Studie, worauf eben auch der Untertitel aufmerksam macht. Insofern ist der Einwand, es seien nur sieben Personen befragt worden und daher könne nicht von Repräsentativität gesprochen werden, unangemessen.
Aber zunächst zurück zum Anfang, nämlich dem konkreten Erkenntnisinteresse. Die Autorin will "einen Einblick in die Lebenswirklichkeit aktiver Mitglieder linksautonomer Szenen" (S. 3) geben. Dazu fragt sie nach den Gründen und Zielen, die sich mit politisch motivierter Gewalt verbinden, nach deren Definition und Einschätzung im Kontext von politischem Protest, nach gruppendynamischen Faktoren bei der Radikalisierung und nach den Grenzziehungen bei Körperverletzungen und Sachbeschädigungen. Zunächst geht es aber um den aktuellen Forschungsstand, wobei die Arbeiten zu den Autonomen erstaunlicherweise fast komplett ignoriert werden. Sie tauchen auch im Literaturverzeichnis nicht auf. Anschließend erfolgen Begriffsbestimmungen hinsichtlich der "politisch motivierten Gewalt". Dabei referiert die Autorin aus der Sekundärliteratur, nimmt aber selbst keine Arbeitsdefinition für ihre Studie vor. Danach werden Gewalttheorien aus der Soziologie vorgestellt, welche die spätere Auseinandersetzung mit dem Thema methodisch umrahmen.
Bei der folgenden forschungsmethodischen Darstellung wird auch mehr auf eigenen Füßen gegangen. Als geeignetes Erhebungsinstrument soll es um die Form "episodischer Interviews" (S. 30) gehen, wofür die Gewinnung von Interviewpartnern für Schröder nicht leicht war. Sie schildert deren Bedenken im Vorfeld, befürchtete man doch bei einer "Enttarnung" mögliche strafrechtliche Konsequenzen. Erst nach allgemeinen Informationen über die jeweiligen Interviewsituationen geht es darum, die Gesprächsinhalte bezüglich bestimmter Hauptkategorien aufzuarbeiten. Dazu gehören etwa "Zugang zur linksautonomen Szene", "Gruppendynamische Faktoren", "Einstellungen und Werte", "Sinn und Zweck der Gewaltanwendung" oder "Abläufe von Aktionen". Die Autorin erweist sich dabei als gute Beobachterin und Interpretin, was etwa die Ausführungen zu "Hierarchien" zeigen: Sie "sind in den Gruppierungen nicht gewollt … Es entwickeln sich erfahrungsbasierte Hierarchien (…), die abhängig von der Präsenz und Dauer der Aktivität einer Person sind" (S. 72).
Gegen Ende werden die Ergebnisse zusammengefasst, wobei aber kein rundes Bild von den Autonomen entsteht. Dies ist nicht der Autorin anzulasten, hat es doch etwas mit dem Untersuchungsgegenstand zu tun. Sie konstatiert: "Feststellbar ist (…), dass sich die Akzeptanz von Gewalt und die eigene Bereitschaft zur Anwendung dieser erhöht, je aktiver die Person in linksautonome Kreise eingebunden ist (…)". Oder: Es werden "radikale Positionen bezüglich Gewaltanwendung überwiegend nicht von anderen Mitgliedern kritisiert, da jeder Aktivist in seinem Standpunkt toleriert wird" (S. 106).
Bilanzierend ist die Arbeit aufgrund der Aufarbeitung von Statements aus der Szene wichtig. Insofern wird eine Forschungslücke ansatzweise geschlossen. Mitunter beschreibt beziehungsweise referiert die Autorin die dort vertretenen Einstellungen und Positionen primär, eine kritische Einordnung hätte der Studie noch einen größeren Wert gegeben. Gleichwohl hat man es hier mit einer Arbeit zu tun, welche Auskunft über ein ansonsten ignoriertes Phänomen gibt.
Janine Schröder, Politisch motivierte Gewalt. Eine qualitative Befragung in der linksautonomen Szene, Baden-Baden 2020 (Tectum-Verlag), 163 Seiten, 36 Euro
4 Kommentare
Kommentare
Carsten Ramsel am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Prof. Pfahl-Traughber,
Ihre Rezension der Studie wirft bei mir ein paar Fragen auf.
2. Wie sollte auf der Grundlage von 7 episodischen Interviews „ein rundes Bild von den Autonomen“ entstehen?
3. Wenn es in der qualitativen Studie um die Beschreibung linksautonomer Lebenswirklichkeiten geht, auf welcher Grundlage sollte eine kritische Einordnung der Einstellungen und Positionen erfolgen?
Vielen Dank für ein paar kurze Antworten und Ihre Mühen.
Mit freundlichem Gruß,
Carsten Ramsel
David Z am Permanenter Link
Kritisches Hinterfragen von Studien ist, grade heutzutage, grundsätzlich löblich.
Carsten Ramsel am Permanenter Link
@David Z
Ihre Frage kann ich mit einem kurzen „ja“ beantworten.
Zur Klarstellung möchte ich ergänzen, dass ich nicht die Studie kritisiere sondern die Rezension. Die genannten „Einwände“ des Herrn Professor sind keine, wenn ich voraussetze, dass Herr Professor sich mit qualitativer Sozialforschung auskennt. Die Studie selbst erweckt auf mich den Anschein, ich habe sie selbst nicht gelesen, dass sie im Rahmen des qualitativen Settings die Ergebnisse liefert, die möglich und erwartbar sind.
M. Landau am Permanenter Link
Dieser 'Riss' durch die linke Szene ist so alt wie die Szene selbst. Bereits bei den Demos gegen Springer, Vietnam, Kiesinger, den Shah und seinen Besuch usw. usf. haben sich bspw.