Die beiden Leipziger Sozialwissenschaftler Elmar Brähler und Oliver Decker legen erneut ihre empirische Untersuchung zu rechtsextremistischen Einstellungen in Deutschland – diesmal unter dem Titel "Flucht ins Autoritäre. Rechtsextreme Dynamiken in der Mitte der Gesellschaft" – vor. Auch wenn berechtigte Detail-Kritik an verschiedenen Deutungen formuliert werden kann, machen sie erneut ein hohes rechtsextremistisches Einstellungspotential deutlich und liefern Daten zur Erfassung von Besonderheiten und zur Ursachenanalyse im Wirkungskontext.
Wie viele Menschen weisen rechtsextremistische Einstellungen auf und inwiefern unterscheiden sich diese von anderen Menschen? Antworten auf die Frage kann die empirische Sozialforschung liefern. Seit 2002 werden im Zwei-Jahres-Rhythmus entsprechende Daten von einem Forscherteam um Elmar Brähler und Oliver Decker von der Universität Leipzig analysiert. Deren neueste Ausgabe arbeitet mit der Bezeichnung "Autoritarismus" und firmiert nicht mehr als "Mitte"-Studie, wobei das damit gemeinte Verständnis beibehalten wird. Demnach finde man die gemeinten Einstellungen sehr wohl auch in der "Mitte" und nicht nur an den Rändern der Gesellschaft. In Anlehnung an klassische Forschungen von Theodor W. Adorno u. a. soll nun diese autoritäre Dimension stärker ins Zentrum gestellt werden. Die Buchausgabe erschien unter dem Titel: "Flucht ins Autoritäre. Rechtsextreme Dynamiken in der Mitte der Gesellschaft" und enthält neben den aktuellen Daten noch weitere Interpretationen zu verschiedenen Themen.
Zunächst geht es um die theoretischen Grundlagen für die Studie, wobei dazu sowohl klassische wie moderne Positionen referiert werden. Danach findet man als ausführlichsten Beitrag die Ergebnisse der empirischen Untersuchung. Diese machen eine weiterhin hohe Akzeptanz für eindeutig rechtsextremistische Einstellungen deutlich (Angaben bezogen auf "stimme voll und ganz zu" und "stimme überwiegend zu", in Klammern "stimme teils zu, teils nicht zu"): "Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert": 19,4 Prozent (24 Prozent), "Eigentlich sind die Deutschen anderen Völkern von Natur aus überlegen": 11,3 Prozent (20,5 Prozent) oder "Die Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich und passen nicht so recht zu uns": 9,1 Prozent (21,5 Prozent) (vgl. S. 74 f.). Darüber hinaus werden noch Daten zu den sozialen Besonderheiten der Gemeinten erhoben, wobei es um die Bildung, das Geschlecht, das Lebensalter oder die Ost-West-Verteilung geht.
Es gibt dabei auch interessante Ergebnisse zum Wählerkontext: "Wer die AfD wählt, unterscheidet sich nicht in erster Linie durch soziodemografische Merkmale wie Wohnort oder Einkommen von den Wählerinnen und Wählern anderer Parteien, sondern vor allem in den politischen – und das heißt sehr häufig ausländerfeindlichen und antidemokratischen Einstellungen" (S. 93). Bedenklich sind darüber hinaus die Erkenntnisse zur Einstellung gegenüber der Demokratie, die abstrakt von 93,3 Prozent bejaht wird, aber konkret sind mit ihr nur 53,2 Prozent zufrieden (vgl. S. 111). Die folgenden Aufsätze gehen dann unterschiedlichen Kontexten nach: Es geht um den konfliktären Faktor der Religion, die angestiegene Muslimenfeindlichkeit oder antisemitische Ressentiments. Darüber hinaus finden sich eine Fallstudie zur "Freien Kameradschaft Dresden" im Kontext von Pegida, eine Präsentation des zivilgesellschaftlichen Monitorings zu antisemitischen Vorfälle anhand von RIAS Berlin oder eine Untersuchung zu Einstellungen niedersächsischer Jugendlicher.
Beachtenswert ist auch diese Ausgabe der Leipziger Studien schon wegen der Regelmäßigkeit der Datenerhebung, womit man es eben nicht nur mit einer Momentaufnahme zu tun hat. So können Entwicklungsverläufe gut nachgezeichnet werden. Auch arbeiten Brähler und Decker mitunter mit sehr deutlichen Einstellungsstatements, was allerdings nicht für alle genutzten Items gilt. Nach wie vor sind die Erhebungen zu Ausländerfeindlichkeit oder Chauvinismus nicht besonders trennscharf. Auf die daran geübte Kritik gehen die Wissenschaftler leider nicht ein. Gleiches gilt für ihre Verwechslung von politischer und sozialer Mitte bei den einschlägigen Reflexionen. Und dann konstatieren sie auch einen leichten Rückgang des Antisemitismus, wobei aber Items bezogen auf eine israelfeindliche Judenfeindschaft fehlen. Trotz dieser notwendigen Detailkritik, die noch um weitere Gesichtspunkte ergänzt werden könnte, handelt es sich um eine beachtenswerte Studie. Sie macht auf ein erhebliches Mobilisierungspotential für unterschiedliche Rechtsextremisten aufmerksam.
Oliver Decker/Elmar Brähler (Hrsg.), Flucht ins Autoritäre. Rechtsextreme Dynamiken in der Mitte der Gesellschaft. Die Leipziger Autoritarismus-Studie 2018, Gießen 2018 (Psychosozial-Verlag), 328 S., ISBN: 978-3-8379-2820-4, 19,90 Euro
9 Kommentare
Kommentare
David Z am Permanenter Link
Herr Pfahl-Traughber, wir müssen wohl unterschiedliche Versionen der Studie gelesen haben, es ist mir ansonsten völlig unverständlich, wie Sie hier in der Summe zu einer positiven Bewertung kommen können.
Vielleicht noch ein paar interessante Details:
- Finanziert wurde die "Studie" von der Heinrich-Böll-Stiftung. Diese steht der Partei DIE GRÜNEN nahe. Dass diese Nähe möglicherweise nicht nur finanziell besteht, sollte erwogen werden.
- die Autoren sind Medizinsoziologen, keine ausgebildeten Sozialwissenschaftler, was möglicherweise den mangelnden Kenntnisstand an Methoden der empirischen Sozialforschung begründet.
- Die Studien der beiden Herren wiesen bereits in der Vergangenheit erhebliche methodische Mängel auf.
Andreas am Permanenter Link
@ David Z Bedauern Sie, dass die Studie nicht von "Ihrer" AFD-Stiftung finanziert wurde?
David Zahn am Permanenter Link
Was meinen Sie mit "Ihrer"?
Und warum sollte ich es bedauern, wenn anstelle des einen tendenziösen Interessenskonflikt ein anderer tritt?
Eine Frage an Sie: Sind Sie daran interessiert, via Studien die Realität so objektiv wie möglich einzufangen oder verstehen Sie Studien als Mittel zur Bestätigung der eigenen Wahrnehmung und politischen Vorlieben?
Andreas am Permanenter Link
@ David Zahn Ich bin nicht an einem Gespräch mit einem Rechten interessiert, dafür ist mir meine Zeit zu kostbar.
David Zahn am Permanenter Link
Oh, das ist sehr schade.
Wir hätten dann nämlich klären könen, woher Sie glauben zu wissen, dass ich ein "Rechter" bin.
Spannend wäre es auch gewesen, das gezeigte Demokratieverständnis zu reflektlieren, wonach man Gespräche mit Menschen einfach ablehnt, weil sie eine andere Meinung haben.
Andreas am Permanenter Link
@ David Zahn Ich lese hpd, und die Kommentare. Ich habe viele Ihrer Kommentare gelesen, Fazit: "rechts". Wobei "rechts" noch eine Auslegung zu Ihren Gunsten ist.
David Z am Permanenter Link
Eine sehr bequeme und infantil vereinfachende Position.
Ihr subjektives Empfinden von Kommentaren ändert nichts an der Tatsache, dass Sie hier ein äußerst fragwürdiges Demokratieverständnis offenbaren.
Alex H am Permanenter Link
Netter Versuch die Studie zu diskreditieren. Herr Pfahl-Traughber wird als Sozialwissenschaftler die Studie vermutlich auch auf ihre Methodik geprüft haben.
David Zahn am Permanenter Link
Der Hinweis auf fachliche Mägel oder offensichtliche Interessenskonflikte ist keine Diskreditierung sondern valide Kritik, wie es für jede wissenschaftliche Studie üblich ist - oder zumindest war, denn offensichtlich
Und in Zeiten, in denen "Studien" via Medien oft lediglich zitiert und von Jounalisten und Lesern gleichermassen unkritisch zur Kenntnis genommen werden, sollte man mMn schon genauer hinschauen, wenn wir vermeiden wollen, dass sich die Wissenschaft für die Politik missbrauchen lässt.
Herr Pfahl-Traughber hat die Kritikpunkte als Sozialwissenschaftler offensichtlich erkannt, er erwähnt sie ja zum Teil selbst. Aber zu zaghaft und nach meiner Bewertung nicht kritisch genug gewichtet.