Bundestag ignoriert weiterhin Verfassungsauftrag

Keine Sichtung der Staatsleistungen

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Nach dem Finanzausschuss hat nun wenig überraschend auch der Deutsche Bundestag die Einsetzung einer Kommission zur Überprüfung der Staatsleistungen abgelehnt. Die Linksfraktion im Bundestag hatte gefordert, dass eine Expertenkommission beim Finanzministerium "den Umfang der enteigneten Kircheneigentümer und der bisher geleisteten Entschädigungszahlungen evaluiert und prüft".

Es ist schon fast ein Ritual. Einmal mehr hat der Bundestag ohne Diskussion einen (im Mai 2015 eingereichten) Antrag zu den historischen Staatsleistungen an die Kirchen abgelehnt  (Drs. 18/4842). Diese Staatsleistungen fließen jedes Jahr bedingungslos an die Kirchen und sollen diese für Enteignungen im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 entschädigen. Im aktuellen Haushaltsjahr beläuft sich der Betrag laut Angaben des Informationsportals Staatsleistungen.de auf fast 524 Millionen Euro, die der Staat an die beiden großen Kirchen zahlt. Das ist ein neuer Rekord. Jeder Bundesbürger finanziert diese Subventionszahlungen, die nichts mit den Kirchensteuern oder der Finanzierung für die sozialen Dienstleistungsangebote von Diakonie oder Caritas zu tun haben, mit 6,38 Euro im Jahr. Seit 1949 sind insgesamt mehr als 17 Milliarden Euro an historischen Staatsleistungen an die Kirchen geflossen. Nach Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung ist der Bund verpflichtet, die Grundlagen zu schaffen, nach dessen Vorgaben die Länder Gesetze zur Ablösung der Staatsleistungen zu erlassen haben.

Der nun abgelehnte Antrag forderte nicht wie viele zuvor die direkte Ablösung der Staatsleistungen, sondern zunächst lediglich die Schaffung von Klarheit und Transparenz durch die Einsetzung eines Expertengremiums, das die geleisteten Zahlungen seit 1919 mit den Säkularisierungsverlusten von 1803 abgleichen sollte. Dass es sich dabei um einen ernstgemeinten Vorschlag handelt, der nicht auf den kurzfristigen Skandal, sondern auf eine langfristige Lösung aus war, macht schon die angestrebte Zusammensetzung dieser Expertenkommission deutlich. Nicht nur Ökonomen und Finanzbeamte sollten die Zahlungen an die Kirche sichten, sondern auch (Kirchen-)Historiker, Kirchen- und Verfassungsrechtler sowie Repräsentanten der beiden großen Amtskirchen. Dieser Personenkreis sollte dem Bundestag nach Sichtung und Bewertung der Zahlen Vorschläge unterbreiten, "welche Konsequenzen der Gesetzgeber in Hinblick auf den zukünftigen Umgang mit der Zahlung von Staatsleistungen aus der Evaluierung ziehen sollte."

Diese Gegenüberstellung von Forderungen und Zahlungen, die bei jedem mittelständischen Unternehmen Standard ist, wird im Finanzministerium jedoch nicht stattfinden, denn die Vertreter der Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD haben sich im Finanzausschuss gegen diesen Vorschlag ausgesprochen (Drs. 18/11428). Für die Staatsleistungen seien die Bundesländer zuständig, argumentierten die Vertreter der Regierungskoalition im Ausschuss und empfahlen, den Antrag abzulehnen. Dieser Empfehlung ist der Bundestag nun ohne weitere Diskussion gefolgt.

Die Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen haben sich sowohl im Finanzausschuss als auch bei der Abstimmung im Bundestag enthalten. Sie sprachen sich im Finanzausschuss aber dafür aus, parteiübergreifend nach geeigneten Lösungswegen zu suchen. Die Grünen waren auf Ihrem Parteitag im November 2016 einem Leitantrag des Parteivorstands gefolgt und hatten einen Grundsatzbeschluss zum Verhältnis von Staat und Kirchen gefasst, in dem sich die Partei unter anderem auch für eine Ablösungsgesetzgebung stark macht, um die historischen Staatsleistungen dem Auftrag des Grundgesetzes entsprechend endlich abzulösen.

Die neuerliche Entscheidung des Bundestages kommt nicht unerwartet. Die Linken-Politikerin und Antragführerin Halina Wawzyniak hatte bereits vor mehreren Monaten in der WirtschaftsWoche erklärt, warum im Bundestag zwar eine Mehrheit für die Ablösung der Staatsleistungen sei, man bei diesem Punkt aber dennoch nicht vorankomme:

"Die SPD ist zwar dafür, unterstützt uns im Parlament aber nicht, weil sie mit der Union koaliert, die nichts ändern will. Dass die SPD den Koalitionsvertrag nicht platzen lässt, ist nachvollziehbar, schadet aber dem Parlamentarismus."

Wenngleich dies nicht vollkommen falsch ist, schadet dem Parlamentarismus vor allem die dürftige Teilnahme an der Plenarsitzung. Zugleich tut sich hier ein kleines Handlungsfenster auf, denn es scheint nicht vollkommen unmöglich, bei einer so mäßig besuchten Bundestagsdebatte eine Abstimmung zum weiteren Umgang mit den Staatsleistungen bei guter Vorbereitung zu kapern.

Kirsten Wiese hatte gestern entsprechend auch schon für die Humanistische Union erklärt, man befürchte, "dass das unliebsame Thema der Staatsleistungen zum Ende der Legislaturperiode erneut vertagt und der aktuelle Antrag ohne weitere Debatte abgelehnt werden wird." Genauso ist es nun gekommen, obwohl der Antrag lediglich der Vorbereitung des Ablösungsprozesses dient und keineswegs vorwegnimmt, wann und zu welchen Konditionen die Staatsleistungen eingestellt werden.

Der Präsident des Humanistischen Verbandes Deutschlands Frieder Otto Wolf hatte kurz vor der Abstimmung im Bundestag erklärt, dass eine bloße Verweigerungshaltung "längst nicht mehr als seriöse Position gelten" könne, zumal an der Verständlichkeit und Verbindlichkeit dieses verfassungsmäßigen Auftrags "kein ernsthafter Zweifel" bestehe. Zudem wollten "Millionen konfessionsfreie Wählerinnen und Wählern" zu Recht "auch bei diesen Leistungen wissen, warum und wofür an wen aus öffentlichen Haushalten Zahlungen fließen", erklärte Wolf weiter. Er forderte alle Parteien auf, Vorschläge für eine zeitgemäße und transparente Religionspolitik zu machen, die den Anforderungen einer sich verändernden weltanschaulichen Landschaft nachkomme. Dabei bekräftigte er die Position des HVD, die eine Überarbeitung des Geflechts finanzieller staatlicher Zuwendungen an Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften auf Grundlage der vom Grundgesetz vorgesehenen Prinzipien weltanschaulicher Neutralität und kooperativer Laizität vorsieht.

Wie überfällig eine Regelung zu den historischen Staatsleistungen ist, geht aus einer Kalkulation hervor, die die Humanistische Union vorgenommen hat.

"Hätte der Deutsche Bundestag in seiner zweiten Wahlperiode 1957 die von der Verfassung geforderten Grundsätze der Ablösung verabschiedet, so wäre diese bei einem damaligen Jahresbetrag von 59 Millionen Euro nach 20 Jahren beziehungsweise mit einer Gesamtsumme von 1,2 Milliarden Euro inzwischen längst abgeschlossen. Mittlerweile haben die Länder dagegen weitere 16 Milliarden Euro verausgabt".

Und jährlich werden es mehr, denn die Höhe der Staatsleistungen ist an die Besoldung der Kirchenbeamten geknüpft. Und diese steigt jedes Jahr ein bisschen weiter. Allein im vergangenen Jahr stieg das Volumen der bedingungslosen Zahlungen um weitere 14 Millionen Euro.