Darf ein Apotheker die Herausgabe der "Pille danach" aus Gewissensgründen verweigern?

apotheker_andreas_kersten_verweigert_pille_danach_berufsgericht_verwaltungsgericht_berlin.jpg

Apotheker Andreas Kersten (links) mit seinem Verteidiger (rechts)
Apotheker Andreas Kersten mit seinem Verteidiger

Weil er findet, dass sie "ein Angriff auf das Recht zu leben" sind, weigerte sich der frühere Betreiber einer Apotheke in Berlin-Neukölln, dieses und andere Verhütungsmittel herauszugeben. Außerdem belehrte er seine Kunden in selbst gedruckten Beipackzetteln ungefragt über die Lebensbereicherung durch Kinder. Bis auf eine Warnung wegen eines Datenschutzverstoßes blieb das Handeln des Apothekers jedoch bis jetzt vor Gericht folgenlos.

Die Deutsche Apotheker-Zeitung berichtete ausführlich über den Fall: Bis 2018 führte Andreas Kersten die umstrittene "Undine-Apotheke" in Berlin-Neukölln. Umstritten deswegen, weil er so seine Probleme im Umgang mit Verhütungsmitteln hatte. Kunden, die Kondome kauften, legte er einen selbstgeschriebenen Beipackzettel bei: "Bitte werben Sie für einen verantwortungsvollen Umgang mit Verhütungsmitteln", wurde einem dort ungefragt empfohlen, "setzen Sie sich ein für eine grundsätzliche Offenheit und Bereitschaft, Kinder zu bekommen und für eine sorgsame Abwägung bei der Entscheidung für ein Verhütungsmittel – im Bewusstsein der Lebensbereicherung durch Kinder!"

Die Spirale verkaufte er gleich gar nicht und er weigerte sich auch, die "Pille danach" herauszugeben. An der Tür seiner Apotheke befestigte er ebenfalls Zettel, auf denen er seine Meinung kundtat und dazu aufrief, keine Verhütungsmittel zu verwenden, die das Einnisten einer befruchteten Eizelle in die Gebärmutterwand unterbinden. Um die Menschenwürde zu wahren, empfiehlt er stattdessen "die natürliche Familienplanung".

Den Grund für seine Haltung präsentierte der Apotheker seinen Kunden im Schaufenster: Papstaufkleber, Engelchen und Kirchenminiaturen wiesen ihn unverkennbar als überzeugten Katholiken aus. Die "Pille danach" sei für ihn "ein Angriff auf das Recht zu leben", schrieb die Deutsche Apotheker-Zeitung 2016. Wollte eine Kundin das Präparat bei ihm erwerben, lehnte er dies ab und gab ihr wiederum einen Zettel mit, diesmal mit den Worten:

"Liebe Dame, lieber Herr! Der Wirkmechanismus der "Pille danach" ist noch nicht vollständig geklärt. Einerseits wird der Eisprung gehemmt und damit eine Befruchtung der Eizelledurch die Samenzelle unmöglich gemacht. Andererseits wird die Einnistung einer bereits befruchteten Eizelle in die Schleimhaut der Gebärmutter verhindert. Da die Schwangerschaft mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt, wird durch die Einnahme der "Pille danach" beginnendes menschliches Leben an seiner Entfaltung gehindert. Bitte geben Sie dem Leben eine Chance!"

Das hatte Folgen: negative Internetbewertungen, Protestaktionen mit Sachbeschädigungen. Schließlich leitete die Apothekerkammer Berlin ein berufsrechtliches Verfahren ein mit der Begründung, Kersten habe in vier Fällen "entgegen bestehender Verpflichtung die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung nicht gewährt und damit der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes nicht gedient".

Rechtsanwalt Rainer Auerbach, Geschäftsführer der Berliner Apothekerkammer, war in einer bereits 2013 formulierten Stellungnahme zu folgender Einschätzung gelangt: "Dem Apotheker steht kein religiös oder weltanschaulich begründetes Ermessen bei der Abgabe von Arzneimitteln zu. Eine Abgabeverweigerung aus Gewissensgründen ist nicht zulässig."

Auch die ungebetene "Meinungsnebenwirkung" in Form der Beipackzettel war Teil des Verfahrens, die er auch dann beilegte, wenn ein Arzt die Präparate verordnet hatte. Ein weiterer Klagepunkt war eine gesetzeswidrige Nutzung personenbezogener Daten: In einem Fall hatte er nämlich einer Kundin seine Belehrungen an ihre Adresse nachgeschickt – welche ihm durch das mitgebrachte Rezept bekannt war –, nachdem ihr Freund die Mitnahme beim Kauf einer Anti-Baby-Pille abgelehnt hatte.

Das war schließlich auch der einzige Punkt der Anklage, den das Berufsgericht für Heilberufe, das am Berliner Verwaltungsgericht angesiedelt ist, als sanktionierungsfähig ansah: Gegen den frommen Apotheker wurde eine "Warnung" wegen eines Verstoßes gegen das Datenschutzgesetz ausgesprochen, die mildeste Form aller möglichen Bestrafungen. Andreas Kersten sah sein Fehlverhalten an dieser Stelle ein.

Anders als die Apothekerkammer sah das Berufsgericht ansonsten keine Berufsrechtsverletzung vorliegen, denn wissenschaftliche, religiöse, künstlerische oder politische Ansichten oder Handlungen könnten laut Berliner Kammergesetz nicht Gegenstand eines berufsgerichtlichen Verfahrens sein. Ob sich ein Apotheker auf seine Gewissensfreiheit berufen könne, sei rechtlich nicht eindeutig geklärt. Zu der Verweigerung, die "Pille danach" abzugeben, hieß es, dass zur Versorgung genügend andere Apotheken zur Verfügung gestanden hätten. Die Apothekerkammer hat bereits Berufung gegen die Entscheidung eingelegt.

Unterstützen Sie uns bei Steady!