Weil er findet, dass sie "ein Angriff auf das Recht zu leben" sind, weigerte sich der frühere Betreiber einer Apotheke in Berlin-Neukölln, dieses und andere Verhütungsmittel herauszugeben. Außerdem belehrte er seine Kunden in selbst gedruckten Beipackzetteln ungefragt über die Lebensbereicherung durch Kinder. Bis auf eine Warnung wegen eines Datenschutzverstoßes blieb das Handeln des Apothekers jedoch bis jetzt vor Gericht folgenlos.
Die Deutsche Apotheker-Zeitung berichtete ausführlich über den Fall: Bis 2018 führte Andreas Kersten die umstrittene "Undine-Apotheke" in Berlin-Neukölln. Umstritten deswegen, weil er so seine Probleme im Umgang mit Verhütungsmitteln hatte. Kunden, die Kondome kauften, legte er einen selbstgeschriebenen Beipackzettel bei: "Bitte werben Sie für einen verantwortungsvollen Umgang mit Verhütungsmitteln", wurde einem dort ungefragt empfohlen, "setzen Sie sich ein für eine grundsätzliche Offenheit und Bereitschaft, Kinder zu bekommen und für eine sorgsame Abwägung bei der Entscheidung für ein Verhütungsmittel – im Bewusstsein der Lebensbereicherung durch Kinder!"
Die Spirale verkaufte er gleich gar nicht und er weigerte sich auch, die "Pille danach" herauszugeben. An der Tür seiner Apotheke befestigte er ebenfalls Zettel, auf denen er seine Meinung kundtat und dazu aufrief, keine Verhütungsmittel zu verwenden, die das Einnisten einer befruchteten Eizelle in die Gebärmutterwand unterbinden. Um die Menschenwürde zu wahren, empfiehlt er stattdessen "die natürliche Familienplanung".
Den Grund für seine Haltung präsentierte der Apotheker seinen Kunden im Schaufenster: Papstaufkleber, Engelchen und Kirchenminiaturen wiesen ihn unverkennbar als überzeugten Katholiken aus. Die "Pille danach" sei für ihn "ein Angriff auf das Recht zu leben", schrieb die Deutsche Apotheker-Zeitung 2016. Wollte eine Kundin das Präparat bei ihm erwerben, lehnte er dies ab und gab ihr wiederum einen Zettel mit, diesmal mit den Worten:
"Liebe Dame, lieber Herr! Der Wirkmechanismus der "Pille danach" ist noch nicht vollständig geklärt. Einerseits wird der Eisprung gehemmt und damit eine Befruchtung der Eizelledurch die Samenzelle unmöglich gemacht. Andererseits wird die Einnistung einer bereits befruchteten Eizelle in die Schleimhaut der Gebärmutter verhindert. Da die Schwangerschaft mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt, wird durch die Einnahme der "Pille danach" beginnendes menschliches Leben an seiner Entfaltung gehindert. Bitte geben Sie dem Leben eine Chance!"
Das hatte Folgen: negative Internetbewertungen, Protestaktionen mit Sachbeschädigungen. Schließlich leitete die Apothekerkammer Berlin ein berufsrechtliches Verfahren ein mit der Begründung, Kersten habe in vier Fällen "entgegen bestehender Verpflichtung die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung nicht gewährt und damit der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes nicht gedient".
Rechtsanwalt Rainer Auerbach, Geschäftsführer der Berliner Apothekerkammer, war in einer bereits 2013 formulierten Stellungnahme zu folgender Einschätzung gelangt: "Dem Apotheker steht kein religiös oder weltanschaulich begründetes Ermessen bei der Abgabe von Arzneimitteln zu. Eine Abgabeverweigerung aus Gewissensgründen ist nicht zulässig."
Auch die ungebetene "Meinungsnebenwirkung" in Form der Beipackzettel war Teil des Verfahrens, die er auch dann beilegte, wenn ein Arzt die Präparate verordnet hatte. Ein weiterer Klagepunkt war eine gesetzeswidrige Nutzung personenbezogener Daten: In einem Fall hatte er nämlich einer Kundin seine Belehrungen an ihre Adresse nachgeschickt – welche ihm durch das mitgebrachte Rezept bekannt war –, nachdem ihr Freund die Mitnahme beim Kauf einer Anti-Baby-Pille abgelehnt hatte.
Das war schließlich auch der einzige Punkt der Anklage, den das Berufsgericht für Heilberufe, das am Berliner Verwaltungsgericht angesiedelt ist, als sanktionierungsfähig ansah: Gegen den frommen Apotheker wurde eine "Warnung" wegen eines Verstoßes gegen das Datenschutzgesetz ausgesprochen, die mildeste Form aller möglichen Bestrafungen. Andreas Kersten sah sein Fehlverhalten an dieser Stelle ein.
Anders als die Apothekerkammer sah das Berufsgericht ansonsten keine Berufsrechtsverletzung vorliegen, denn wissenschaftliche, religiöse, künstlerische oder politische Ansichten oder Handlungen könnten laut Berliner Kammergesetz nicht Gegenstand eines berufsgerichtlichen Verfahrens sein. Ob sich ein Apotheker auf seine Gewissensfreiheit berufen könne, sei rechtlich nicht eindeutig geklärt. Zu der Verweigerung, die "Pille danach" abzugeben, hieß es, dass zur Versorgung genügend andere Apotheken zur Verfügung gestanden hätten. Die Apothekerkammer hat bereits Berufung gegen die Entscheidung eingelegt.
14 Kommentare
Kommentare
Nora Koch am Permanenter Link
Dieses "Recht zu leben" geht mir mittlerweile so dermassen auf den Sack! Ich bin bei Eltern gross geworden die sich einen Scheiss für mich oder meine Geschwister als Individuen interessiert haben.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Immer raus damit; ist ja ne klare Ansage.
Angelika Wedekind am Permanenter Link
Vor allem die Frauen haben ein Recht auf Leben und zwar so, wie sie es wünschen. Das Leben der Frauen muss stets höher bewertet werden, als das ungeborene Leben in ihr.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Dazu muss ich noch einmal Stellung nehmen. Was die Kirchen betrifft, so schützen diese das Leben nur bis zur Geburt, danach sind Menschen nur noch Kirchensteuerzahler und Kanonenfutter für kommende Kriege.
Wer das nicht glaubt, dem empfehle ich das Buch "Im Sold der Schlächter" über die Rolle der Militärseelsorge im zweiten Weltkrieg, dies ist kein Roman, sondern ein belegbarer Tatsachenbericht.
Pinky Pi am Permanenter Link
Wer schwanger ist oder sein könnte und das nicht will, sollte selbst seine Entscheidungen treffen dürfen - und nicht vom Apotheker bevormundet werden.
Wenn Schulkinder nicht zur Abtreibung gezwungen werden, sollte man andere auch nicht zur Schwangerschaft zwingen.
Wo sind wir denn?
M.S. am Permanenter Link
"Genügend andere Apotheken", witzig wenn die eine dummerweise Notdienst hat.
Antje Bauer am Permanenter Link
Ich bin der Meinung,
JEDE FRAU SOLLTE SELBST ENTSCHEIDEN
ob sie die Pille danach nehmen will, oder nicht.
Wir werden ja entmündigt.
Selbst Frauenärzte, die helfen wollen stehen ja in Deutschland schon am Pranger.
Wo soll das denn noch hinführen???
Das ist meine persönliche Meinung!!!
Willie am Permanenter Link
"Dem Apotheker steht kein religiös oder weltanschaulich begründetes Ermessen bei der Abgabe von Arzneimitteln zu. Eine Abgabeverweigerung aus Gewissensgründen ist nicht zulässig."
Wenn dem so wäre, dann dürfte auch Frau Hundertmark die Globulis nicht aus ihrem Apothekenangebot verbannen, da diese ebenfall unter die Arzneimittelgesetzgebung, wenn auch fragwürdiger, fallen.
libertador am Permanenter Link
Es gibt vielleicht noch eine andere Begründung als eine religiöse oder weltanschaulische, keine Globulis zu verkaufen: Wirksamkeit.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Apotheker für „das Leben“
„Lobet den Herren, der alles so herrlich regieret ... !“ (Kirchenlied)
M.S. am Permanenter Link
Der Beruf des Apothekers widerspricht eigentlich doch dem katholischen Glauben total.
Insofern wäre das Übernehmen eines Großteils der Apotheken ein lohnendes Betätigungsfeld für die Kirchen, um dem gottlosen Treiben dort effektiv einen Riegel vorzuschieben.
Axel Stier am Permanenter Link
Als Inquisitor dieses Betätigungsfeldes schlage ich den derzeitigen Gesundheitsminister vor
Emmerich Lakatha am Permanenter Link
Sind österreichische Richter an das Gesetz gebunden? Ja. Da sie aber unabhängig sind, können sie die Gesetze nach ihrem Gewissen auslegen. Wie ist die Rechtslage in Deutschland?
Wie passt das alles mit der Trennung von Kirche und Staat zusammen?
A.S. am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Lakatha,
in Deutschland ist die Trennung von Staat und Kirche nur ein Märchen, dass den Kindern in der Schule erzählt wird. Wer hingegen die politische Realität in Augenschein nimmt, entdeckt einen unendlichen Staats-Kirchen-Filz.