Humanistische Union zweifelt Tragfähigkeit der im NPD-Verbotsverfahren entwickelten Grundsätze für Parteiverbote an

Drahtseilakt mit ungewissem Ausgang

karlsruhe_bundesverfassungsgericht.jpg

Das Sitzungssaalgebäude des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe
Das Sitzungssaalgebäude des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe

Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union (HU) begrüßt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das mit seinem heutigen Beschluss den Antrag auf Verbot der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) ablehnte (2 BvB 1/13). Die Absicht des Gerichtes, nicht mehr allein auf verfassungsfeindliche Meinungen, Gesinnungen und Weltanschauungen abzustellen, ist aus bürgerrechtlicher Sicht zu begrüßen. Ebenso verdienstvoll ist der Versuch, dem europäischen Recht  entsprechende Maßstäbe für ein Parteienverbot zu finden. Fraglich sei jedoch, ob die neuen Maßstäbe für Parteiverbote in sich schlüssig und überhaupt brauchbar sind.

Dazu erklärt Prof. Rosemarie Will vom Bundesvorstand der Humanistischen Union: "Dass die NPD trotz ihrer klar verfassungsfeindlichen Ziele und ihrer Nähe zur NSDAP nicht verboten wurde, weil sie nach den Feststellungen des Gerichtes nicht wirkungsmächtig genug ist, um diese Ziele zu erreichen, ist ein Fortschritt gegenüber dem KPD-Urteil. Es entlastet das Parteiverbotsverfahren davon, allein auf Meinungen, Gesinnungen und Weltanschauungen zu achten, und stärkt die Meinungsfreiheit, die für unsere Verfassungsordnung konstitutiv ist." Mit seiner Entscheidung habe sich das Verfassungsgericht sichtlich von der bisherigen Spruchpraxis distanzieren wollen. Die Frage ist nur: Wo will es hin? 

"Die Entscheidung des BVerfG gleicht einem Drahtseilakt, bei dem die Absturzrisiken noch ungewiss sind", so Will. Die Staatsrechtslehrerin sieht in der Entscheidung einen Zielkonflikt: "Das Bundesverfassungsgericht wollte die Funktionsfähigkeit des Parteiverbotsverfahrens erhalten und zugleich die demokratischen und rechtsstaatlichen Mindestanforderungen an ein solches Verfahren erhöhen."

Das Verfassungsgericht hält einerseits daran fest, dass Parteiverbote präventiv ausgesprochen werden dürfen – auch gegen Parteien, die sich allein legaler Mittel bedienen und ausdrücklich auch dann, wenn noch keine konkrete Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat bestehe. Zugleich verlangten die Richterinnen und Richter jedoch – in bewusster Absetzung zur bisherigen Rechtsprechung –, dass es im Bereich des potenziell Möglichen liegen müsse, dass die NPD ihre menschenverachtenden Ziele auch durchsetzen könne. Dazu prüften sie, inwiefern die Partei eine reelle Chance habe, in Parlamenten oder in der Gesellschaft mehrheitsfähig zu werden – was das Gericht bei der NPD verneinte. "Eine Partei, die diese Anforderungen erfüllt und eine relevante parlamentarische oder meinungsbildende Kraft ist, ließe sich mit den Mitteln des Verfassungsgerichts aber kaum noch verbieten. Zumindest dürfte das Zeitfenster, wann ein Parteiverbot einerseits zulässig und andererseits noch realisierbar ist, nach der heutigen Entscheidung sehr klein geworden sein", so Professor Will. "Der neue Maßstab für das dem Verbot zugrundliegende Handeln bleibt in der Entscheidung recht abstrakt und ist ganz sicher in verschiedene Richtungen interpretationsfähig. Das scharfe Schwert des Parteienverbots bleibt deshalb zweischneidig."

In seinem Bestreben, von den alten Formeln des KPD-Verbotsurteils abzurücken und für zeitgemäße und handhabbare Maßstäbe für ein Parteienverbot zu bilden, habe sich das Gericht zu wenig vorgewagt. So bleibe etwa die Frage, welche konkreten Bestandteile der staatlichen Ordnung durch Parteiverbote geschützt werden sollen, weiterhin zu unbestimmt. "Die Bezugnahme auf die freiheitliche demokratische Grundordnung ist viel zu allgemein und lädt geradewegs dazu ein, beim Kampf gegen missliebige Positionen in bekannte Instrumentalisierungen dieser Formel zurückzufallen."