Die Causa Brosius-Gersdorf und ihre Folgen

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Prof. Frauke Brosius-Gersdorf
Prof. Frauke Brosius-Gersdorf

Von einer "beispiellosen Kampagne" spricht Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) im Zusammenhang mit der Affäre um Frauke Brosius-Gersdorf. Die renommierte Juristin ist nach öffentlichen Angriffen und Diffamierungen von ihrer Kandidatur zur Verfassungsrichterin zurückgetreten. Sie ist Befürworterin eines liberalen Abtreibungsrechts – für das sich auch eine Mehrheit der Menschen in Deutschland ausspricht. Dennoch hatte die Kampagne Erfolg. Die Strategie macht offenbar Schule: Schon steht die zweite SPD-Kandidatin für das Verfassungsgericht im Visier einer Gegenkampagne.

Was bereits mit der Vertagung der Wahl Mitte Juli als handfester Skandal  begann – offenbar auf Druck von Lobbygruppen und politisch motivierten Kampagnen – hat sich mit dem Rückzug der Kandidatur von Prof. Frauke Brosius-Gersdorf zu einem demokratiepolitischen Desaster entwickelt.

Brosius-Gersdorf selbst erklärte in ihrer Stellungnahme, dass Teile der CDU/CSU-Fraktion ihre Wahl abgelehnt hätten. Weiter heißt es dort: "Zudem droht ein Aufschnüren des 'Gesamtpakets' für die Richterwahl, was die beiden anderen Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht gefährdet, die ich schützen möchte. Auch muss verhindert werden, dass sich der Koalitionsstreit wegen der Richterwahl zuspitzt und eine Entwicklung in Gang gesetzt wird, deren Auswirkungen auf die Demokratie nicht absehbar sind." Ihr Verzicht auf die Wahl werde viele Menschen enttäuschen, die ihr geschrieben und sie bis zuletzt zum Durchhalten aufgefordert hätten, schreibt Brosius-Gersdorf in ihrer Erklärung. "Durchhalten macht aber nur Sinn, wenn es eine reelle Wahlchance gibt, die leider nicht mehr existiert."

Doch weshalb ist Brosius-Gersdorf überhaupt in die Kritik geraten? Ausgerechnet wegen ihrer Position pro Neuregelung des Abtreibungsrechts – wohlgemerkt, für eine Position, die auch von einer großen Mehrheit in Deutschland geteilt wird. Nicht weniger als 83 Prozent der Bevölkerung sprachen sich in einer repräsentativen Umfrage 2022 für eine Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs aus.

Dass gerade diese gesellschaftlich mehrheitsfähige Position für das Amt einer Verfassungsrichterin zum Nachteil wird, ist nicht nur ein Schlag gegen das reproduktive Selbstbestimmungsrecht von Frauen, sondern zeigt auch, dass Teile der CDU/CSU-Fraktion offenbar den Kontakt zur gesellschaftlichen Realität verloren haben.

Viele Beobachter sehen Brosius-Gersdorfs Entscheidung teilweise als Resultat einer Kampagne. Jetzt gerät auch die zweite SPD-Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht ins Visier: Ann-Katrin Kaufhold (49), Professorin für Öffentliches Recht an der Ludwig-Maximilians-Universität München. In einem Instagram-Post wertet die AfD den Rückzug von Frauke Brosius-Gersdorf als "wichtiges Signal", aber "Entwarnung gibt es nicht", heißt es dort weiter. Das nächste Ziel sei: "Jetzt Kaufhold verhindern!" Die Vorwürfe diesmal: Kaufhold sei Klima-Aktivistin und befürworte Enteignungen.

Tatsächlich kandidiert sie für einen Senat des Gerichts, der sich gar nicht mit Klimapolitik befasst. Und sie war Mitglied einer Expertenkommission zum Volksentscheid über die "Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne" in Berlin. Diese kam zu dem Schluss, dass eine Enteignung von Wohngesellschaften durchaus möglich sei. Die Berliner Landesregierung erarbeitet derzeit ein entsprechendes Rahmengesetz – über das eventuell später das Bundesverfassungsgericht entscheiden muss.

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