Weiterhin Nachholbedarf beim Ausbau der Anlagen und Infrastruktur

Energiewende: Die Zeit wird knapp

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Die Energiewende ist eine Mammutaufgabe. Damit sie gelingt müssen Politik, Wirtschaft, Gesellschaft mit vereinten Kräften an einem Strang ziehen. Zeit zum Handeln bleibt kaum noch, denn die Verbrennung fossiler Energieträger ist eine der Hauptursachen der von Menschen gemachten Klimakrise. Deren Folgen werden immer deutlicher sicht- und für Menschen, Tiere und Pflanzen spürbar: Ihnen machen in zunehmendem Maße unter anderem Hitzewellen, Überschwemmungen, Stürme und Waldbrände zu schaffen. Energieexperte Alexander Hauk über den aktuellen Stand der Energiewende, notwendige Schritte, faire Kostenverteilung und Verantwortung.

Die Klimakrise ist eine Überraschung, die in Wirklichkeit keine ist. Seit Jahrzehnten warnen Wissenschaftler vor den Folgen. So berichtet zum Beispiel die Tagesschau vom 17. März 1995 über den wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung, der eindringlich vor einer Klimakatastrophe warnt. Damals hieß es, dass die Kohlendioxid-Emission jährlich um ein Prozent verringert werden müsse, sonst wäre ein Gegensteuern in rund 25 Jahren nicht mehr möglich.

Der entscheidende Zeitpunkt ist nun gekommen und das bisherige Fazit fällt bescheiden aus. Obwohl längst bekannt ist, dass die Verbrennung von fossilen Energieträgern eine der Hauptursachen der Klimakrise ist, wurden weiterhin Kohlekraftwerke gebaut, Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren massiv subventioniert und der Ausbau von erneuerbaren Energien erschwert.

Zeit zum Handeln bleibt nun kaum noch, denn die kritische Erderwärmung um 1,5 Grad Celsius wird bereits 2030 erreicht – zehn Jahre früher noch als 2018 prognostiziert. 2019 war die Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre höher als zu jedem anderen Zeitpunkt seit mindestens zwei Millionen Jahren. Die gute Nachricht: Laut einer aktuellen Studie könnten Wind- und Solarkraft den weltweit jährlichen Energiebedarf um ein Vielfaches decken. Ein Beispiel: Um die ganze Welt mit Sonnenenergie beliefern zu können, bräuchte es rund 450.000 Quadratkilometer Landfläche für Solaranlagen – das sind gerade einmal 0,3 Prozent der gesamten globalen Landmasse

Sagenhafte Profite mit Atomenergie

Wenn das so ist, warum haben wir dann nicht schon viel früher und entschlossener mit der Energiewende begonnen? Für die Kurzversion der Antwort muss der Wahlkampf-Slogan des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton herhalten: "It’s the economy, stupid!". Solang einige wenige Unternehmen und Menschen mit Atomenergie und Energie aus Kohle und Erdgas Milliarden verdienen, fällt den verantwortlichen Entscheidungsträgern aus der Wirtschaft ein Umdenken und zukunftsfähiges Handeln schwer. Dass nun auch wieder über Atomenergie diskutiert wird, hat vor allem einen Grund: Sagenhafte Profite. Laut der Freien Universität Berlin machte jedes der bereits abgeschriebenen deutschen Atomkraftwerke in der Vergangenheit rund eine Million Euro Gewinn – pro Tag.

Dabei ist die Idee, den Klimawandel mit Atomkraft zu bekämpfen, falsch und irreführend. Das ergibt keinen Sinn, vor allem mit Blick auf Umweltschutzgründe, denn Atomenergie ist hochgefährlich und zudem völlig unwirtschaftlich. Die Ergebnisse einer Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung zeigen deutlich, dass es sich unter keinen Umständen lohnt in Atomenergie zu investieren, weder in neue Atomkraftwerke noch in die Verlängerung der Laufzeiten bestehender.

Zwei Generationen haben von deren vermeintlich günstigen und sicheren Stromversorgung profitiert, mindestens 40.000 Generationen müssen nun mit dem hochgiftigen Atommüll leben. Allein die Zwischenlagerung geht mit unabsehbaren Umweltrisiken einher. Und für die Endlagerung des hochgefährlichen und hochgiftigen Atommülls gibt es nach wie vor keine dauerhafte Lösung. Es ist auch keine Lösung, den Atommüll ins Meer zu verklappen, wie es in der Vergangenheit in Europa praktiziert wurde. Hinzu kommt, dass der Uranerzabbau CO2-intensiv ist und ganze Landstriche unbewohnbar macht.

Und wie nun weiter jetzt? Wir müssen weg von fossilen, gefährlichen und giftigen Energieträgern hin zu regenerativen Energien. Also weg von Erdöl, Erdgas und Atomenergie hin zu Bioenergie, Geothermie, Wasserkraft, Sonnenenergie und Windenergie. Der Umstieg auf erneuerbare Energien muss schnellstmöglich umgesetzt werden – in der Industrie, im Verkehrsbereich, im Gebäudesektor und in der Landwirtschaft. Die Technologie dafür ist längst vorhanden. Konkret bedeutet das: Der Ausbau von erneuerbaren Energien, Stromleitungen und Energiespeichern sowie dezentralen Lösungen muss forciert werden.

Großer Nachholbedarf besteht im Ausbau von Anlagen und der für den Betrieb notwendigen Infrastruktur. In Sachen Energiespeicher und Stromnetze könnten wir längst viel weiter sein. Das Rückgrat der Energiewende ist der Netzausbau. Zwar wird immer mehr Ökostrom produziert, trotzdem kommt er nicht in die Steckdose, weil die deutschen Netze oft überlastet sind. Der Grund: Der Großteil des Windstroms wird zwar in Norddeutschland erzeugt, die Energie wird aber in den großen Wirtschaftszentren im Süden und Westen der Republik benötigt. Deshalb sind neue Stromtrassen notwendig, die Windenergie aus dem Norden Deutschlands in den Süden bringen.

Die Klimakrise verhandelt nicht

Kritiker der Energiewende werfen gerne die Frage ein, was denn mit den anderen Ländern sei, ob nicht erst die großen Länder anfangen müssten? Ob wir wollen oder nicht, die vom Menschen verursachte Klimakrise ist da und wird sich weiter verstärken. Alle Industrienationen, auch Länder wie China, Russland und die USA werden sich dem daraus resultierenden Anpassungsdruck nicht widersetzen können. Mit dem Klimawandel lässt sich nicht verhandeln. Je eher die führenden Industrienationen auf regenerative Energien setzen, desto leichter und kostengünstiger wird die Transformation werden.

Welche Folgen zögerliches Handeln und unterlassener Klimaschutz haben, das mussten 2021 die Menschen in den Hochwassergebieten Deutschlands hautnah erfahren. Wenn wir die Energiewende schnellstmöglich umsetzen und damit die Emission von Treibhausgasen stoppen wollen, geht es nicht um Klimaschutz – es geht um Menschenschutz. Noch aber liegt Deutschland bei der Braunkohleförderung auf dem ersten Platz und fördert insgesamt mehr als Russland und die USA zusammen. Deutschland hat eine Vorbildfunktion, weil es seit Beginn der industriellen Revolution mit zu den größten Verursachern von CO2 zählt, übrigens noch vor China.

Viele Menschen und Orte sind sich der Verantwortung bewusst: So hat zum Beispiel die Gemeinde Wildpoldsried vor Jahrzehnten selbst die Initiative ergriffen und den Grundstein für eine klimaneutrale Energieversorgung gelegt. Übers ganze Jahr betrachtet wird in dem Allgäuer Ort achtmal so viel Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt wie die Einwohner, das Gewerbe und die Kommune verbrauchen.

Immer mehr Städte in Deutschland führen eine Solarpflicht für Neubauten ein und diskutieren über eine Erweiterung auf Bestandsgebäuden. 2.400 Hektar an Landflächen wären zum Beispiel in Berlin für die Installation von Solaranlagen geeignet, wie der Berliner Senat errechnet hat. Berlin könnte mindestens ein Viertel seiner Strom- und Wärmeversorgung mit Solarenergie abdecken.

Ökostromanbieter mit grüner Energie

Hinzu kommen Wasser- und Windkraft. Bei der Windenergie muss sich das Ausbautempo in den kommenden Jahren mindestens verdoppeln, um die Ziele der Energiewende zu erreichen. Erforderlich ist ein Abbau bürokratischer Hemmnisse: Strenge Abstandsregeln wie bisher in Bayern führen dazu, dass kaum neue Windräder gebaut werden können. Es hat sich außerdem gezeigt, dass die Akzeptanz für Windräder vor Ort steigt, wenn Anwohner in deren Ausbau investieren können und an den Gewinnen beteiligt werden. Jeder Einzelne ist gefordert und kann ohne großen Aufwand zu einer schnellen Energiewende beitragen, etwa durch den Wechsel zu einem Ökostrom-Anbieter wie Naturstrom.

Eine Herausforderung sind noch Energiespeicher: Stauseen und Power-to-Gas-Anlagen können Batterien beim Speichern von Energie ergänzen. Außerdem ist davon auszugehen, dass sich auch Aufbau, Zusammensetzung und Leitung bei Batterien weiterentwickeln werden. Bei den meisten Biogasanlagen wird das entstandene Gas in einem Bioheizkraftwerk zur Storm- und Wärmeerzeugung genutzt. Andere Biogasanlagen betreiben das gewonnene Gas zu Biomethan auf und speisen es ins Erdgasnetz ein. Biogasanlagen wie die der Bioenergie Birkholz können die schwankende Stromproduktion aus Wind- und Solarenergie ausgleichen.

Mehr Strom als benötigt

Das Märchen vom bevorstehenden Blackout durch die Energiewende darf getrost als Panikmache von professionellen Interessenvertretern eingeordnet werden. Deutschland zählt zu den größten Stromexporteuren und hat in den vergangen Jahren den Spitzenplatz eingenommen. Gleichzeitig wird Deutschland nach aktuellem Stand seine Ausbauziele für die Erneuerbaren Energien verfehlen. Das ist wenig hilfreich. Nach Angaben des Umweltbundesamtes hielten sich Erzeugung und Verbrauch in Deutschland bis zum Jahr 2003 in etwa die Waage. Seitdem werde mehr Strom produziert als verbraucht. Das ändert sich gerade. Der Grund: Mit dem Umstieg auf Wind- und Sonnenstrom schwindet die von Wetterbedingungen unabhängige sichere Leistung im Stromsystem.

Trotzdem besteht kein Grund zur Sorge. Ein Strommangel ist nach aktuellem Stand nicht zu erwarten. Aber Deutschland wird in Zukunft stärker als bisher auf Stromimporte angewiesen sein, um in Extremsituationen die Stromversorgung aufrecht halten zu können. Batteriespeicher wie der von WEMAG in Schwerin tragen zur Flexibilisierung des Stromnetzes bei. Sie sind dezentral einsetzbar und können in Zeiten mit viel Wind oder Sonne Strom aufnehmen, den sie in Zeiten von Flaute und bedecktem Himmel in das Netz einspeisen. Batteriespeicher helfen Netzbetreibern, das Stromnetz sicherer zu machen und die Netzfrequenz stabil zu halten.

Energieversorgung hat auch viel mit Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit zu tun. Das fängt an mit gesetzlichen Rahmenbedingungen, die bewusst und einseitig die alten Energiekonzerne bevorzugen und Stadtwerke sowie unabhängige Ökostromanbieter benachteiligen. Großunternehmen sind von EEG-Umlage und Netzentgelten weitgehend befreit, während die Kosten den Bürgern und mittelständischen Unternehmen aufgebürdet werden.

Faire Verteilung der Kosten

Was tun? Sinnvoll wäre das Herunterfahren der zahlreichen Industrieausnahmen bei der EEG-Umlage. Unternehmen sollten nur dann einen Anspruch auf reduzierte Abgaben erhalten, wenn sie sich energiesparend verhalten. Zudem kann die Stromsteuer gesenkt werden. Um eine faire Verteilung der Kosten sicherzustellen, schlagen Verbraucherschützer vor, die Steuereinnahmen an die Verbraucher zurückzuerstatten.

Energiewende bedeutet nicht gleich Verzicht. Stichwort Mobilität: Beim Flugverkehr kann eine Lösung synthetisch hergestellter Kraftstoff aus Solarenergie und Luft sein. Technisch ist das bereits heute möglich, allerdings sind die produzierten Mengen noch viel zu klein. Klar ist: Dem ÖPNV und Elektroautos gehört die Zukunft. Wir werden sehen, dass Autos mit Verbrennungsmotoren in den kommenden Jahren immer mehr zu Ladenhütern mutieren werden. In Norwegen sind bereits heute gebrauchte Autos mit Verbrennungsmotor nur mehr schwer verkäuflich.

Fazit: Zum Ende des Jahrzehnts will Deutschland zwei Drittel seines Stroms aus erneuerbaren Quellen beziehen, bis 2045 klimaneutral sein. Der entscheidende Hebel ist der Ersatz von Kohle und Gas durch Wind-, Solar- und Wasserenergie. Alles muss viel schneller gehen als bisher geplant. Die Energiewende ist ein Jobmotor und schafft auch in klassischen Branchen viele neue Arbeitsplätze: Produktion, Installation und Betrieb von Erneuerbaren-Energien-Anlagen bringen Menschen in Lohn und Brot. Jede in erneuerbaren Energien investierte Million schafft dreimal mehr Jobs, als wenn diese in fossile Brennstoffe gesteckt werden.

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