Footballer trifft nur noch den Pfosten – weil Gott es so wollte

Der Zufall ist das Böse

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Berührt quasi den Himmel und sieht alles, was die Spieler so tun: Gestänge beim Football

Zufälle, gibt's die? Der US-Footballer Cody Parkey ist sich sicher: Wenn man vier Mal in einem Spiel nur den Pfosten trifft, steckt Gott dahinter.

Neues aus Amerika: Ein Mann hat einen Football vier Mal gegen eine sehr hohe Stange geschossen. Der Grund dafür? Na klar: Gott hat es so gewollt.

Gott hat gewollt, dass der Mann den Ball gegen die Stange schießt. Nicht einmal, nicht zweimal, nicht dreimal: Vier Mal, Lob und Halleluja, gepriesen sei der Herr und seien seine Football-Skills.

Was dadurch gewonnen sei im großen Gesamtplan, dazu mag sich auch der Mann, der hier als ausführendes Organ eines übergeordneten Willens dienen durfte, nicht abschließend äußern."Ich tue, was ich tun soll", kommentierte Footballer Cody Parkey: "Ich kann nur darauf vertrauen, dass mein Herr und Erlöser Jesus Christus keine Fehler macht. Warum auch immer, das war der Tag, der für mich vorgesehen war." Nichts Genaues weiß man also. Warum der Herr es so vorgesehen hatte. Aber Sinn und Zweck des Vierfach-Boinks muss etwas Gutes gewesen sein. Vielleicht haben in der hoch aufragenden Stange Dämonen gewohnt? Die sich dort, in einem Footballstadion, sicher wähnten vor dem Zugriff des Gottes? Ha! Nichts ist's gewesen, fahr aus, Satansbrut! Oder: Das vierfache "Pong" an der Stange war eine einleitende Sequenz für den Anbruch der geoffenbarten letzten Tage der Menschheit? Wäre doch gelacht, wenn sich kein Bibelzitat fände, das sich in dieser Richtung deuten ließe. Oder wenigstens was aus den Apokryphen. Die Welt ist dem Gott ein Instrument, an allen Ecken und Enden zieht er Register, lässt kleine und kleinere Dinge geschehen, wirbelt hier einen Sturm über den Globus, kippt da einen Sack Reis um, lässt dort ein Feuer aufspringen, so dass nach dem Brand dann eine rußige Kirchenwand mit Kruzifix, hallelujah, stehenbleiben kann! Der Gott hat alle Hände voll zu tun, er ist der Organist des großen Ganzen, ums Hintergrundrauschen der Welt (Hunger, Ausbeutung, Kriege) kann er sich nicht kümmern, er ist viel zu sehr in sein Konzept vertieft, in die geheimnisvolle Partitur der Klein- und Kleinstereignisse, die ihm zur Ehre gereichen.

Ich selber zum Beispiel bin auch Teil des göttlichen Plans. Alles, was in meinem Leben passiert und nicht von mir exakt so geplant worden ist, geht auf einen göttlichen Eingriff zurück. Denn nur eine Welt, die aus exakter Planung entsteht, lässt den menschlichen Geist ruhig schlafen. Der Zufall und die Wildheit der Natur machen ihm Angst, sie kitzeln in ihm den furchtbaren Verdacht, dass er gar nicht immer alles im Griff haben könnte. Daher also, danke Gott: Du hast mich heute morgen geweckt, genau im richtigen Moment. Das Bett ist nicht eingekracht über Nacht. Du hast gutes Wetter werden lassen, hast verfügt, dass mein Wasserkocher funktioniert und mir beim Teemachen hilft. Du hast gewollt, dass bei meinem Fahrrad das Licht kaputt ist und mein Wlan wackelt, du hast mir ein Rückenweh geschenkt und sogar einen Nichtglauber aus mir gemacht, danke!

Die Nichtglauber spielen ganz gewiss eine besondere Rolle in deinem Plan, und sie tun es vermutlich am besten, indem sie sich wirklich konsequent keinen Deut um dich kümmern und indem sie über das lachen, was deine Leute für Logik halten. Danke, nicht geglaubter Gott, fürs Kühlschrankbrummen, fürs Mülleimerquietschen, danke für den anmutigen Flug der beiden Elstern da hinten. Danke, dass ich mir neulich, zu deinem Ruhm, den Zeh stoßen durfte. Es geschah sicher aus einem besonderen Grund, und vielleicht ist das die wichtige Rolle, die den Religionsfreien im großen Heilsplan zukommt: Indem der Gott ihre Zehen an Tischbeinen anstößt, straft er ihren Unglauben mit einer Spürbarkeit, die der Gläubige vermisst.

Aber, um beim Sport zu bleiben: Wenn jemand, statt des weit offenen Tores, exakt nur den Pfosten trifft – ist das nicht viel schwieriger, ja, fast unmöglich? Und kann daher kaum ohne einen Eingriff des Gottes gedacht werden? Ist nicht Frank Mill, der vor vielen Jahren im Fußball den Klassiker unter den Pfostentreffern kreierte, dafür unvergessen geblieben, fast als hätte er ein Wunder vollbracht? Und ist es nicht vor allem auch für die Pfostenschützen und Sportversager allgemein ein ungeheurer Trost, dass sie im unwiderstehlichen Auftrag des Höchsten handelten?

Neulich zum Beispiel, was haben wir uns kreuzweise aufgeregt: Hertha spielt in Bremen, alles läuft okay, und dann schießt unser alter Haudegen Fabian Lustenberger in einem hektischen Abwehrversuch nach einer Ecke dem eigenen Torwart den Ball aus den Händen, worauf die Bremer das völlig alberne und doch wegweisende 1:0 markieren. Ist die Härte eines derartig peinlichen Missgeschicks überhaupt verarbeitbar – ohne Religion? Der Gott spendet Trost. Schieße ich dem Torwart den Ball aus den Flossen, ohne Gott, einfach so: kann ich mich die nächsten Monate schämen. In Zeiten von Youtube sogar bis an mein Lebensende. Habe ich aber den Gott, so weiß ich: Es kann kein blöder Zufall gewesen sein! Die immense Schönheit des Augenblicks leuchtet ganz anders, Physik und Geworfenheit des Menschen und des Schicksals tragisches Ausmaß, sie fallen in eins, sie machen die Größe des Gottes erfahrbar, und ich durfte sein Handlanger sein.

Zufall ist der Feind aller Religion und aller Verschwörungstheorien. Irgendwie muss doch alles einen Sinn ergeben! Denn ein Gespür für sog. Sinn ist das Einzige, was uns Menschen über den Regenwurm erhebt. Kann ja wohl nicht sein, dass das alles nur unheimlich blöd gelaufen ist in diesem Moment! Ist es nicht eher so, dass der Schweizer Lustenberger (Kreuz auf der Nationalfahne!) jenem Keeper Rune Jarstein, der aus den atheistischen Regionen Skandinaviens stammt, eine gerechte Lektion erteilte: Niemals fühle dich zu sicher! Gott erwischt dich überall, Ungläubiger! Hm?

Der Gläubige hat immer Recht. Denn der Gott, seine oberste Instanz, zeichnet sich durch eine fast schon freche Unberechenbarkeit aus. Passiert etwas Gutes, hat er uns beschenkt. Passiert etwas Doofes, hat er uns auf die Probe gestellt. Passiert etwas komplett Unverständliches, Bizarres, Böses – sind seine Wege eben unerforschlich. Gott ist das Gegenteil von Sinn, das Gegenteil von logischen Zusammenhängen. Jedes beliebige Ergebnis kann mit jeder beliebigen Ursache in Verbindung gebracht werden. Gott ist ein antirationales Programm, eines, das uns jeglicher Verantwortung für das Diesseits enthebt.

Oft wird ja vermutet: Religion gebe es, um das Diesseits und den Tod zu überwinden. Stimmt aber gar nicht. Gott ist nur eine Überhöhung, Projektion und Rechtfertigung des menschlichen Narzissmus. Denn wie lässt sich vom Gott überhaupt feststellen, was er gewollt hat und will? Er teilt sich nirgends verständlich mit, gibt keine Parolen aus, malt keine Ansagen an den Himmel, er twittert nicht (nur ein schändlicher Nachahmer tut's). Ergo muss, wer des Gotts Willen wissen will, immer in sich selber reinlauschen. Entsprechend viele Ausdeutungen des göttlichen Bestrebens gibt es daher – ebenso viele wie es Gottgläubige gibt.

Was bedeutet es, wenn ein Footballspieler den Ball vier Mal gegen die Stange schießt? Eben nichts. Das Ereignis ist aufsehenerregend, einfach weil es so selten ist. Nur eben: Träfe es nie, nie, niemals ein, wäre das, logisch betrachtet, die wesentlich größere Anomalie. Irgendwann muss eben etwas Unwahrscheinliche passieren. Footballspiele finden ja oft genug statt. In einem davon fliegt der Ball vier Mal an die Stange. In einem davon wird der entscheidende Pass nicht gefangen, weil der Fänger justament in diesem Moment einen Vogelgruß ins Gesicht kriegt. Irgend eines geht 66:6 aus, ohne dass dies die Apokalypse auslöste, sondern einfach nur so, weil es irgendwann passieren muss. Man schaue sich die ganzen Unwahrscheinliche-Zufälle-Videos auf YouTube an: Das ist die Offenbarung der ganzen großen Sinnlosigkeit, in der wir uns ab Geburt befinden. Und, ist man ehrlich: In dieser großen Sinnlosigkeit namens Leben sich aufzuhalten, bereitet mehr Freude als jedes göttliche Endlosjenseits mit Harfen und Singsang es jemals könnte.