Kommentar

Warum der angestrebte Gottesbezug in Schleswig-Holsteins Verfassung ein Angriff auf die säkulare Demokratie ist

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Kiel, Landeshauptstadt von Schleswig-Holstein
Kiel

Während sich die aktuelle Debatte um den geplanten Gottesbezug in der Verfassung Schleswig-Holsteins meist auf politische und symbolische Aspekte konzentriert, bleibt die entscheidende Frage weitgehend unbeachtet: Was bedeutet eine solche Formulierung verfassungsrechtlich? Udo Endruscheit zeigt, warum die Begründung "Der Mensch denkt, Gott lenkt" nicht bloß ein rhetorischer Ausrutscher ist, sondern eine normative Setzung, die das säkulare Fundament unserer Demokratie untergräbt.

Es klingt harmlos, fast volkstümlich: "Der Mensch denkt, Gott lenkt."

Mit dieser Formel begründet die CDU-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag ihren Antrag, einen Gottesbezug in die Präambel der Landesverfassung aufzunehmen. Doch dieser Satz ist keine freundliche Sentenz. Er ist eine verfassungsrechtliche Kampfansage – ein Versuch, das Verhältnis zwischen Mensch, Staat und Transzendenz neu zu definieren.

Vom Symbol zur Norm – ein gefährlicher Übergang

Der Gottesbezug in der Präambel des Grundgesetzes ("vor Gott und den Menschen") wurde 1949 als historischer Kompromiss eingefügt. Das Bundesverfassungsgericht hat seit den 1950er Jahren klargestellt: Diese Formulierung ist symbolisch, nicht rechtsverbindlich. Sie beschreibt ein historisches Selbstverständnis, keine Norm. Sie darf keine rechtlichen Bindungen erzeugen oder zur Auslegung anderer Verfassungsnormen herangezogen werden. Der Gottesbezug im Grundgesetz ist also nicht justitiabel – er ist ein Stück Zeitgeschichte, keine juristische Grundlage.

Was die CDU Schleswig-Holstein nun fordert, ist qualitativ anders. Ihre Begründung zielt nicht auf Erinnerung, sondern auf Verbindlichkeit: "Ein Bezug zu Gott in der Verfassung ist eine wertvolle Demutsformel, denn es liegt nicht alles allein in unserer Hand."

Diese Aussage schafft eine theologische Überformung der Verfassungslogik. Sie erklärt die menschliche Verantwortung zum relativen Prinzip – Gott als das eigentliche Subjekt. Damit aber wird die Verfassung normativ umcodiert: Nicht mehr der Mensch als autonomes, selbstverantwortliches Wesen steht im Zentrum, sondern das göttlich gelenkte Geschöpf. Das ist keine symbolische Geste – das ist eine anthropologische Setzung.

Bereits 2017 habe ich im Humanistischen Pressedienst ausgeführt, dass der republikanische Staat seine Legitimation allein aus der Vernunft, nicht aus der Transzendenz bezieht. Was damals als grundsätzliche Überlegung erschien, zeigt sich heute in Schleswig-Holstein als politische Realität: Wenn Parteien wieder beginnen, göttliche Lenkung als Begründung staatlicher Ordnung zu formulieren, dann ist die säkulare Demokratie nicht mehr selbstverständlich – sie muss verteidigt werden.

Verfassungsdogmatik: Warum der Satz "Gott lenkt" unvereinbar ist mit Artikel 1 und 4 Grundgesetz

Das Grundgesetz bildet den verbindlichen Rahmen für jedes Landesrecht, auch für die Landesverfassungen. "Bundesrecht bricht Landesrecht" bedeutet rechtssystematisch, dass selbst ein einfaches Bundesgesetz im Falle von Unvereinbarkeiten eine Landesverfassung "bricht". Erst recht kann kein Landesgesetzgeber Grundsätze postulieren, die im Widerspruch zu den zentralen Wertentscheidungen des Grundgesetzes stehen – insbesondere nicht zu den Artikeln 1 und 4 GG. Insofern ist die Begründung der CDU-Fraktion in Schleswig-Holstein nicht nur politisch fragwürdig, sondern auch verfassungsdogmatisch inkonsistent.

Der erste Artikel des Grundgesetzes ("Die Würde des Menschen ist unantastbar") ist der Knotenpunkt der gesamten Verfassungsordnung. Er setzt die Autonomie des Menschen als obersten Wert: Der Mensch ist Zweck, nie Mittel, auch nicht göttlicher Ordnung.

Die vorgeschlagene "Demutsformel" der CDU steht im Widerspruch dazu. Denn sie verschiebt Verantwortung und Entscheidungsgewalt vom Menschen auf ein metaphysisches Prinzip. Das unterläuft unmittelbar die in Artikel 4 GG normierte negative Religionsfreiheit, die ausdrücklich das Recht schützt, nicht zu glauben und nicht unter religiöse Deutungsmacht gestellt zu werden.

Der Gottesbezug in der Präambel des Grundgesetzes ("vor Gott und den Menschen") wurde 1949 als historischer Kompromiss aufgenommen – nicht als Programm, sondern als Zeitzeugnis mit Bezug auf die Entstehung des Grundgesetzes. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach klargestellt, dass dieser Satz keine normative Kraft entfaltet. Er bindet den Staat nicht an Religion und darf niemals Grundlage für politische oder rechtliche Ableitungen sein.

Was die CDU Schleswig-Holstein nun vorschlägt, ist ein anderer Schritt: Nicht mehr symbolische "Selbstvergewisserung", sondern programmatische Begründung.

Ein Gottesbezug, der nicht mehr bloß historisch, sondern normativ gemeint ist, zwingt jedem Bürger eine religiöse Perspektive auf – selbst, wenn er sie ablehnt. Er erklärt Nichtglauben zur Abweichung. Juristisch gesprochen: Er macht aus einer symbolischen Präambel eine inhaltliche Programmatik – und das ist nicht verfassungskonform.

Die politische Versuchung

Wie Sebastian Schnelle im Humanistischen Pressedienst und Philipp Möller für den Zentralrat der Konfessionsfreien zeigen, geht es hier längst nicht mehr nur um eine sprachliche Formel. Es geht um eine strategische Allianz zwischen christlichen und anderen Glaubensgemeinschaften, die zudem von ihrer politischen Bewertung her nochmals anders einzuordnen sind als die christlichen. Hier beim hpd konnte man es schon vor etlichen Jahren lesen, auch aus meiner Feder: Um die moralische Deutungshoheit des Glaubens gegenüber dem säkularen Staat und damit ihre Privilegierung gegenüber anderen gesellschaftlichen Akteuren zu sichern, wird den Kirchen kein Bündnis zu heikel sein. Nun zeigt sich, wie recht diese Warnung war.

Humanismus als Gegenentwurf

Der Humanismus kennt Demut – aber nicht Unterwerfung. Er anerkennt die Begrenztheit des Menschen, aber nicht seine Unmündigkeit. Er ersetzt göttliche Lenkung durch Verantwortung, Transzendenz durch Vernunft.

Ein säkularer Staat braucht keine metaphysische Legitimation. Er braucht Vertrauen in die moralische Fähigkeit seiner Bürger, sich als verantwortlicher Teil einer republikanischen Gemeinschaft zu verstehen. Darin liegt wahre Demut: zu wissen, dass wir selbst verantwortlich sind für das, was wir denken, entscheiden und tun.

Oft wird in solchen Debatten das berühmte Böckenförde-Diktum bemüht, nach dem der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann. Doch diese Formel wurde über Jahrzehnte hinweg religiös überformt – als wolle Böckenförde sagen, der Staat bedürfe einer metaphysischen, gar göttlichen Fundierung.

Tatsächlich aber beschrieb Böckenförde ein anderes Paradox: Dass der Staat, der Freiheit sichern will, gerade deshalb keine "Herrschaft über Ideen" ausüben darf und auf den republikanischen Konsens seiner Bürger angewiesen ist. Diese "Voraussetzungen", auf die er sich stützt, sind keine transzendenten, sondern gesellschaftlich immanente: gegenseitige Achtung, Verantwortung, Partizipation, Humanität. Nicht Transzendenz, sondern der mündige Bürger ist die tragende Voraussetzung der freiheitlichen Ordnung.

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