Humanistentag(e) 2017

Gelungenes Treffen der Humanisten in Nürnberg

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Der Vorsitzende des Österreichischen Freidenkerbundes, Gerhard Engelmayer, bei seinem Festvortrag.
Gerhard Engelmayer

Ein Podium zur Vernetzung unter HumanistInnen oder weltliches Pendant zum Kirchentag? Das ist war eine meiner Fragen, die ich mir bei der Anreise zum Deutschen Humanistentag stellte. Der fand vom 15. bis 18.06.2017 im bayrischen Nürnberg statt. Auf Einladung eines extra gegründeten Vereins in Trägerschaft des Humanistischen Verbandes Bayern kamen diverse Prominente und Intellektuelle, Vertreter mehrerer Parteien und Organisationen sowie ca. 500 Gäste in der Meistersingerhalle zusammen, um sich zu präsentieren oder über eine breite Palette von Themen zu referieren und zu diskutieren.

Die Meistersingerhalle in Nürnberg ist ein überschaubarer, aber geräumiger Komplex von mehreren Konferenzräumen, einem großen Foyer sowie einem Hauptsaal mit Bühne. Für eine Veranstaltung wie den Humanistentag erwies sie sich als hervorragend geeignet.

Am Donnerstag, den 15.07.2017, wurde zunächst der "Markt der Möglichkeiten" mit den Informationsständen der angemeldeten Organisationen – darunter der Piratenpartei, der Partei der Humanisten, den Grünen und den Linken – im Foyer eingerichtet und die Ton- und Lichttechnik in den Räumlichkeiten durch zahlreiche fleißige Helferinnen und Helfer einsatzbereit gemacht.

Um 19:00 Uhr begann die Eröffnungsgala im Hauptsaal. Nach einer kurzen Anmoderation durch Patrick Diemeling folgte der Vortrag "Humanismus als Leitkultur" von Prof. Dr. Dr. Julian Nida-Rümelin, dem Lehrstuhlinhaber für Philosophie und politische Theorie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Kuratoriumsvorsitzenden des Münchner Kompetenzzentrum Ethik.

In seinem Vortrag griff Nida-Rümelin die wieder aufgeflammte Debatte um eine deutsche "Leitkultur" auf und zeigte anhand klarer Beispiele humanistischen Denkens und Handelns warum Humanismus als stimmige philosophische Positionierung mit politischer Komponente als zeitgemäße und tragfähige Leitkultur alternativlos und fast schon selbstevident ist. Er vertrat außerdem die Ansicht, dass Humanismus keine Weltanschauung, sondern viel mehr eine "Erkenntnis" sei, zu der die Menschheit nach zahlreichen Irrwegen sowie auf Grundlage wissenschaftlicher Selbstreflexion und ethischen Fortschritts gelangt sei – oder eben noch gelangen müsse.

Es folgte – nach einem begeisternden musikalischen Intermezzo durch die Münchner Kollektiv Express Brass Band sowie dem HUM-Koret Oslo, dem großen Chor der (extra angereisten) norwegischen HumanistInnen – ein halbstündiges Programm des Berliner Kabarettisten Frank Lüdecke. Mit viel Witz und Scharfsinn sowie einiger musikalischer Handwerkskunst wusste er das Publikum von mehreren Hundert Gästen sowohl bestens zu unterhalten als auch an der einen oder anderen Stelle zum Nachdenken anzuregen.

Den Abschluss bildete erneut der großartige HUM-Koret Oslo, bevor im Foyer der Empfang der Stadt Nürnberg mit Grußwörtern eines Vertreters der Stadt sowie dem Präsidenten des HVD Bayern, Sebastian Rothlauf, begann und bis in die Nacht andauerte.

Der Freitag und Samstag waren geprägt von zahlreichen Podiumsgesprächen und Vorträgen sowie einer Town-Hall-Debatte, die eine breite Palette von spannenden Themen und humanistischen Berührungspunkten abdeckten. Für das Tagesprogramm von 10:00 Uhr bis spät in den Abend fanden sich an beiden Tagen ca. 500 Gäste und BesucherInnen ein, um den eigenen Wissenshorizont zu erweitern, neue Kontakte zu knüpfen oder ins Gespräch mit ausgewiesenen ExpertInnen zu kommen.

Bei den Veranstaltungen auf der Hauptbühne fand die Interaktion zwischen dem Publikum und den Teilnehmern einer Podiumsdiskussion allerdings über sog. "Publikumsanwälte" statt, die während des Austausches auf der Bühne schriftliche Fragen von den ZuhörerInnen entgegen nahmen und am Ende der Veranstaltung an die ReferentInnen gerichtet verlasen.

In der Town-Hall
In der Town-Hall

Bei Vorträgen sowie der Town-Hall-Debatte hingegen wurde das Publikum meist direkt mit eingebunden und konnte nach Worterteilung durch eine Moderatorin oder einen Moderator ihre Frage direkt an den/die Vortragende/n stellen.

Insgesamt erwies sich das Programm der beiden Tage als ausgewogen, vielseitig und meist hochkarätig besetzt.

Wer sich für Religionskritik interessierte, konnte Leo Igwe, einem Humanisten und Menschenrechtsaktivisten aus Afrika, Ahmed Nadir, einem säkularen Aktivisten, der aus Bangladesch geflohen ist, und Thomas von der Osten-Sacken in der Podiumsdiskussion "Death By Religion?" zuhören oder sich im Vortrag von Andreas Trupp von den Freidenkern Salzburg zur Sexualgeschichte des konfessionellen Katholizismus informieren.

Ein weiterer Schwerpunkt der Veranstaltungen waren Verschwörungstheorien und Esoterik. Sebastian Bartoscheck zeigte und diskutierte seinen Film "Interview mit Axel Stoll", Alexander Fischer und Marius Raab referierten gemeinsam über die Mechanismen und Gemeinsamenkeiten von Verschwörungstheorien, Claudia Barth stellte Humanismus als Alternative zur Esoterik in der Neumoderne vor und Petra Kolmer lieferte eine philosophische Begründung für "Verlässliche Erkenntnis".

Als großer Themenschwerpunkt ließ sich – wenig überraschend – auch der Humanismus mit seinen diversen ethischen und werteorientierten, politischen und sinnstiftenden Aspekten ausmachen. Es fanden u.a. Vorträge und Podiumsdiskussionen zu folgenden Themen statt:

  • Humanistische Pädagogik (Ulrike von Chossy),
  • Humanismus und Krieg (Stephan Grigat, Georg Escher und Richard Klasen),
  • humanistische Sterbebegleitung (Gabriele Will),
  • humanistische Hochzeits-, Trauer- und Lebensfeiern (Dr. Frank Schulze),
  • humanistischen Strafvollzug (Dr. Thomas Galli und Oliver Rast),
  • eine "menschengerechte Wirtschaftsordnung" (Gerhard Engel) sowie zu
  • "Luther und dem Humanismus" (Armin Pfahl-Traughber, Horst Groschopp, Arik Platzek, Andreas Fincke) und
  • den ethischen Dimensionen der neuen Errungenschaften in der Gentechnik (mit Stefan Lorenz Sorgner und Steffen Augsberg).

Schließlich kam auch die Suche nach den Werten unserer Gesellschaft nicht zu kurz. Die "Offene Gesellschaft und ihre Feinde" wurde in einer beachtenswerten Podiumsdiskussion zwischen Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Ali Ertan Toprak und Richard Herzinger sowie in einer teils hitzigen und kontroversen Debatte im Townhall-Stil (also in direkter Interaktion mit dem Publikum) mit der Sekten- und Islamismus-Expertin Sigrid Herrmann-Marschall, dem Experten für die deutsche Neonazi-Szene, Robert Andreasch, Benjamin Steinitz von der Antisemitismus-Meldestelle RIAS, Alexander Thal vom Bayrischen Flüchtlingsrat und Markus Ganserer von Bündnis 90/Die Grünen diskutiert.

Ulrike von Chossy und Rudolf Englert diskutierten – leider unter beklagenswert schlechter Moderation – über Werte in der Schule und insbesondere im Religionsunterricht, und Ralf Schöppner referierte über "Humanistische Werte für die Einwanderungsgesellschaft".

Neben dem Programm, das hier nur in Ausschnitten wieder gegeben werden kann, fanden parallel ein Kinder- und einem Jugendhumanistentag, ein umfangreicher und begeistert aufgenommener Science Slam und diverse musikalische Darbietungen statt. Außerdem kam es auf dem "Markt der Möglichkeiten" immer wieder zu spannenden Begegnungen und Konversationen zwischen Gästen und den vertretenen Organisationen.

Am Sonntag fand das Programm im Festvortrag vom Vorsitzenden des Österreichischen Freidenkerbundes, Gerhard Engelmayer, seinen Höhepunkt. Der Festredner, der für den kurzfristig ausgefallenen Prof. Dr. Thomas Fischer eingesprungen war, lieferte einen par-force-Ritt durch das mehrtägige Programm, lobte die Veranstalter und Organisation und forderte, den Humanistentag zu einer Dauereinrichtung werden zu lassen. Mit unerwartetem Wortwitz schaffte er es, die anwesenden HumanistInnen noch einmal mit einigen Denkanstößen und einem Gefühl der Zusammengehörigkeit aus der Veranstaltung zu verabschieden.

Umrahmt wurde der Abschlussvortrag von einer Sunday Assembly, dem weltlichen Pendant zum Sonntags-Gottesdienst der Katholischen Kirche, sowie dem letzten von mehreren Auftritten des SMILE-Projektchors, der die Menschenrechtsartikel musikalisch aufbereitet. Außerdem wurde der Humanistische Kurzfilmpreis verliehen und die drei Gewinnerfilme gezeigt.

Als Antwort auf meine Eingangsfrage lässt sich feststellen, dass der Deutsche Humanistentag den Spagat zwischen Informations-, Austausch- und Weltanschauungsveranstaltung hervorragend gemeistert hat. Die Organisatoren haben es geschafft, sowohl für HumanistInnen auf der Suche nach Wissen, Denkanstößen und Austausch mit ExpertInnen als auch für diejenigen, die zur Bestärkung in ihrer weltanschaulichen Bindung an den Humanismus angereist waren, ein abwechslungsreiches und kurzweiliges Programm zu bieten, das die Messlatte für künftiger Veranstaltungen dieser Art ziemlich hoch legt.