Die Gentechnik und der Transhumanismus

Auch der natürliche Alterungsprozess der Zellen kann mit großer Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft verlangsamt oder gar ganz gestoppt werden. Es gibt bereits erfolgreiche Tierversuche mit der Stammzelltherapie. Dazu werden Knochen- und Fettzellen dem Körper entnommen. Anschließend werden sie dann außerhalb des Körpers in einer mehrtägigen gentechnischen Behandlung unter Einsatz der CRISPR/Cas9-Technik reprogrammiert zu pluripotenten induzierten Stammzellen. Werden diese Zellen dann in den Körper durch Injektion zurückgegeben, so vermehren sie sich und ersetzen damit alte Zellen. Dies führt insgesamt langfristig zu einer Verjüngung des Gewebes bzw. des entsprechenden Organs.

Ethische Bedenken

Prinzipiell ergeben sich aus der Genmanipulation vielfältige Möglichkeiten, das potentielle Leid mancher Menschen zu vermindern bzw. ganz zu vermeiden und die Lebensqualität und Lebensspanne der meisten Menschen zu verbessern. Demgegenüber steht die Gefahr, die Technik zu missbrauchen.
Gegen die Genmanipulation des menschlichen Genoms gibt es daher in unserer Gesellschaft erhebliche Bedenken. Zum Teil sind diese Bedenken durchaus berechtigt. Gerade der in diesem Zusammenhang häufig zitierte Roman "Schöne neue Welt" von Aldous Huxley zeigt eindrucksvoll, wie diese Technik durch den Staat missbraucht werden kann. Genaugenommen ist in Huxleys Welt aber nicht die Gentechnik das Problem, sondern der totalitäre Staat, der diese Technik missbraucht.
David Pearce hat aus der Sicht des modernen Transhumanismus dazu eine interessante Kritik mit dem Titel "Brave New World? A Defence Of Paradise-Engineering" geschrieben. Darin beschreibt er das positive Potential der Gentechnik. Dennoch besteht die weitverbreitete Horrorvision, dass der Staat eventuell die Möglichkeiten der Gentechnik nutzen könnte, um gezielt bestimmte Eigenschaften von Menschen zu erzeugen.
Ein häufig zitiertes Musterbeispiel ist die Armee der Klonkrieger aus dem Film Star Wars - Episode II. Ein modernes demokratisches Gemeinwesen sollte selbstbewusst genug sein, die Missbrauchsrisiken, die mit dieser Technologie – wie bei jeder anderen auch – einhergehen, durch humane Regeln und Verfahren verhindern zu können..

Ein weiteres ethisches Problem besteht darin, dass genetisch optimierte Menschen selbst keinen Einfluss auf ihre eigenen Gene haben, da die Wahl ja vor der Geburt getroffen wird. Solange aber ausschließlich Eltern die Wahl haben, werden sie sich wohl für eine möglichst vorteilhafte Genkombination entscheiden. Das ändert natürlich nichts daran, dass es in einer transhumanen Gesellschaft klare Regeln und Gesetze geben muss, die das Wahlrecht der Eltern in vernünftigen Grenzen halten. Ohne Manipulation werden unsere Gene durch eine rein zufällige Kombination der elterlichen Gene erzeugt. Insofern stellt sich hier die Frage, ob eine Ziel gerichtete Kombination gegenüber dem blinden Zufall wirklich ethisch verwerflich ist. Der Philosoph Nick Bostrom bemerkt dazu: "Wenn Mutter Natur echte Eltern wäre, so würde sie im Gefängnis sitzen wegen Kindesmisshandlung und Mord."

Genaugenommen manipulieren wir unsere Gene schon seit Anbeginn der Menschheit über die Partnerwahl. Wie Evolutionsbiologen herausgefunden haben, bestimmen überwiegend Frauen über die Wahl ihres Partners die Ausgangsbasis für die Genkombination ihrer Kinder. Überspitzt könnte man das als eine von Frauen betriebene Züchtung bezeichnen. Diese Art der Selektion wird aber allgemein als natürlich und damit als ethisch unbedenklich angesehen. Die gezielte Veränderung des Genoms verstößt dagegen nach Ansicht vieler Ethikexperten gegen die Menschenwürde.
Was aber ist Menschenwürde und wie erwirbt man sie? Hier gehen die Meinungen weit auseinander. Besonders schwierig wird die Begründung, dass die Würde angeblich durch die Genmanipulation angetastet wird. Hat ein Mensch, dessen Gene so optimiert sind, dass er eine höhere Lebenserwartung hat, dass er eine hohe geistige Leistungsfähigkeit besitzt und dass er auch noch gut aussieht weniger Würde als ein "normaler" Mensch, dessen Gene durch reinen Zufall bestimmt worden sind? Bei eineiigen Zwillingen gibt es keinerlei Grund, die Menschenwürde irgendwie in Gefahr zu sehen. Bei geklonten Menschen würden aber viele Ethikexperten von einer Verletzung der Menschenwürde sprechen, obwohl dabei von der zugrundeliegenden Genetik her kein essentieller Unterschied gegenüber eineiigen Zwillingen auszumachen ist.

Der Philosoph Stefan Lorenz Sorgner sieht eine gewisse Analogie zwischen Genetik und Erziehung. Beide können sowohl reversibel als auch irreversibel sein und bei beiden handelt es sich überwiegend um elterliche Entscheidungen. Wir wissen inzwischen, dass die äußeren Lebensumstände und damit auch die Erziehung eine Rückwirkung auf die Aktivierung von bestimmten Teilbereichen der Gene haben können (Epigenetik). Insofern stellt sich die Frage, wo hier genau eine Trennlinie in der ethischen Beurteilung gezogen werden könnte.

Generell ist es wie mit fast jeder neuen Technik, sie kann zu unserem Vorteil und zu unserem Nachteil verwendet werden. Werden dagegen statt rein pragmatischer Bedenken, grundlegende ethische Bedenken angeführt, so wird die Kritik fragwürdig. Wer bestimmt was in diesem Zusammenhang ethisch ist? Natürlichkeit als ethischer Wert lässt sich nicht begründen.
Der Philosoph Jürgen Habermas hat in seinem Essay "Die Zukunft der menschlichen Natur" die Genmanipulation verteufelt. Er sieht in ihr vor allem die Gefahren, wobei er aber auch die gentechnischen Fortschritte in der Medizin in Frage stellt. Ein Kritiker hat die Ansichten von Habermas daher sehr treffend als "die Zukunft tot gedacht" bezeichnet.

In Deutschland wird die Gentechnik nicht zuletzt auch wegen der Anwendung der negativen Eugenik im dritten Reich von den meisten als unethisch eingestuft und daher völlig abgelehnt. Daneben gibt es eine weitverbreitete Aversion gegen jedwede neue technologische Entwicklung.
Bei Gesetzesentwürfen zur Bioethik kommt dem deutschen Ethikrat ein besonderes Gewicht zu. Er wird sicher dafür sorgen, dass in Deutschland die Manipulation des menschlichen Genoms weitestgehend verboten bleibt, nicht zuletzt schon deshalb, weil hier Religionsvertreter einen besonders großen Einfluss haben. Der Lobbyismus der beiden christlichen Großkirchen hat auch dafür gesorgt, dass einerseits die Genitalverstümmelung von Jungen ausdrücklich legalisiert wurde, während auf der anderen Seite die Sterbehilfe kriminalisiert wurde. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass es diesen Leuten mehr um eine religiöse Verherrlichung des Leids geht als um dessen Vermeidung.
Den Verfechtern des Transhumanismus geht es dagegen um eine positive Eugenik, die die allgemeine Lebensqualität und generell die Wohlfahrt der gesamten Gesellschaft verbessern soll. Dabei sollen sich Menschen grundsätzlich freiwillig dafür entscheiden können, welche Techniken sie zur Optimierung ihres Lebens oder des Lebens ihrer Kinder einsetzen. Technische und medizinische Entwicklungen, die geeignet sind, das Leid der Menschen zu verringern und das Glück bzw. die Wohlfahrt zu vergrößern, lassen sich erfahrungsgemäß nicht auf Dauer aufhalten.
Im Zeitalter der Globalisierung wird es immer Staaten geben, die eine weniger reglementierte Bioethik zulassen. So gibt es schon jetzt in China gentechnische Experimente an Embryonen, obwohl die Technik noch gar nicht ausgereift ist. Auch in den angloamerikanischen Ländern sieht man die Entwicklung eher pragmatisch. So hat z.B. Google 2013 das Tochterunternehmen Calico (California Life Company) gegründet, das sich mit Technologien der Lebensverlängerung befasst, darunter auch die Gentechnik.

Ein säkularer Staat sollte sich in seiner Gesetzgebung auf Vernunft und Logik stützen und nicht auf letztlich unhaltbare Ängste und Vorurteile. Eine Heiligsprechung der menschlichen Gene ist naiv und mit einem modernen naturalistischen Humanismus unvereinbar. Aus dieser Sicht ist es ethisch sogar geboten, die Gentechnik weiter zu entwickeln und sie zum Wohl der Menschheit einzusetzen.
Der britische Philosoph David Pearce sieht in der Gentechnik langfristig die Chance, das Glück der Menschen dramatisch zu verbessern und das Leid zu beenden. In seinem Manifest "The hedonic Imperativ" beschreibt er dazu seine Strategie. Die Gentechnik spielt dabei eine zentrale Rolle. Auf die Frage, ob nicht die genetischen Verbesserungspläne an die Rassenbiologie der Nazis erinnern, antwortet er: "Die Frage ist, ob man Genetik für das Wohl aller Lebewesen einsetzen will, oder für das Wohlergehen einer Herrschaftsrasse. Die Nazis hatten einen sozialdarwinistischen Ansatz, wohingegen wir uns für alle Lebewesen einsetzen. Das ist so weit weg von der Rassenpolitik des dritten Reichs, wie du es dir nur vorstellen kannst."
Wir können das Paradies im Diesseits erschaffen, aber das geht langfristig nur, wenn wir auch den Menschen selbst verbessern.