KÖLN. (hpd) Vom Standpunkt des Transhumanismus aus gesehen, ist der Alterungsprozess des menschlichen Körpers eine Erbkrankheit, die in Zukunft geheilt werden kann. Der Mensch ist das Ergebnis einer über Jahrmillionen abgelaufenen Evolution. Wesentlicher Bestandteil des Evolutionsprozesses ist die Selektion. Sie ist in der Regel ein ausgesprochen brutaler Prozess der mit extremem Leid verbunden ist. Die Naturwissenschaft ist nun mittlerweile so weit fortgeschritten, dass wir die zukünftige Weiterentwicklung des Menschen selbst in die Hand nehmen können. Sie wird uns in die Lage versetzen, das durch Krankheiten und Altern bedingte Leid zu reduzieren und die positiven Fähigkeiten des Menschen weiter zu optimieren. Während die Manipulation von Genen bis vor wenigen Jahren noch ein sehr aufwändiger Prozess war, hat sich dieser durch die Entwicklung der neuen CRISPR/Cas9-Technik nun drastisch vereinfacht.
Die Technik
In dem Science-Fiction-Spielfilm "Gattaca" aus dem Jahr 1997 gibt es eine Szene, in der ein Ehepaar zusammen mit ihrem "Gentechniker" bespricht, welches Aussehen und welche Fähigkeiten ihr zukünftiges Kind haben soll. Zur Zeit der Entstehung des Film war das noch reine Science Fiction. Aber die Entwicklung der Gentechnik hat seitdem gewaltige Fortschritte gemacht. 2003 wurde erstmals das menschliche Genom einer Person vollständig entschlüsselt. Damals war der Aufwand noch gewaltig. Inzwischen gibt es hochentwickelte Sequenzier-Maschinen, die das komplette menschliche Genom so schnell und effektiv entschlüsseln können, dass Firmen diese Arbeit schon für unter 1000 US Dollar anbieten können.
Bis man soweit ist, über die Heilung von Krankheiten hinaus Menschen gezielt zu verändern bis hin zu Designerbabys, wird noch einige Zeit vergehen. Mit Blick auf die grundlegenden Naturgesetze gibt es aber keinen Grund, warum man nicht die Daten des Genoms gezielt verändern könnte. Im Prinzip sollte es sogar möglich sein, völlig neue Lebewesen am Computer zu konstruieren und biotechnisch herzustellen. In der Tat ist es dem amerikanischen Biochemiker Craig Venter bereits im Jahr 2007 gelungen, erstmals ein künstliches Bakterium mit dem Namen "Mycoplasma mycoides JCVI-syn1.0" herzustellen. Dazu wurden Maschinen eingesetzt, die computergesteuert die etwa eine Million Basenpaare in der gewünschten Reihenfolge aneinandergesetzt haben. Das Design und die Erzeugung auch von komplexeren Lebewesen bis hin zum Menschen oder menschenähnlichen Wesen werden mit großer Wahrscheinlichkeit in einigen Jahrzehnten möglich sein.
Wie bei vielen neuen technologischen Entwicklungen ist die Gentechnik geprägt von Phasen der Euphorie und der Ernüchterung. So trat eine gewisse Ernüchterung ein, als man feststellen musste, dass die Entschlüsselung der Funktionen einzelner Gene erheblich komplexer ist als ursprünglich angenommen. In der Regel wird dies im Tierexperiment (meist mit Mäusen) gemacht. Eine gängige Methode ist, ein modifiziertes Gen z.B. über Viren in den Körper des Versuchstieres einzuschleusen. Ein Teil der Zellen baut dieses Gen ein und übernimmt die entsprechende Funktion. Danach untersucht man, wie sich die Körperfunktionen oder das Verhalten des Versuchstieres verändert haben.
Insgesamt war aber die Genmanipulation bis vor wenigen Jahren noch überwiegend ein Herumstochern im Nebel. Die Zielgenauigkeit war begrenzt und die unerwünschten Nebenwirkungen waren erheblich. Trotzdem gelang es gelegentlich, vorteilhafte Veränderungen zu erzielen. So berichteten Ende 2007 Forscher von der Ohio Universität, dass es ihnen gelungen ist, eine "Supermaus“ zu erzeugen. Bei dieser Maus wurden die Gene so verändert, dass sie ein bestimmtes Protein, das auf den Glucosestoffwechsel eingreift, verstärkt im Körper erzeugen. Das führte dazu, dass diese Mäuse nur halb so dick wie normale Mäuse wurden, obwohl sie fast doppelt so viel fraßen. Weiterhin waren sie körperlich extrem fit, sexuell sehr aktiv und hatten eine erheblich größere Lebensspanne. Dreijährige weibliche Mäuse konnten noch Nachkommen bekommen. Rechnet man das auf den Menschen hoch, so hieße das, dass noch achtzigjährige Frauen Kinder bekommen könnten. Dennoch sind diese Ergebnisse insgesamt nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragbar.
Das experimentelle Verändern von Genen und die Untersuchung der Auswirkungen ist extrem arbeitsintensiv und damit auch teuer. Hinzu kommt, dass bestimmte Eigenschaften wie z.B. Krankheitsdispositionen häufig durch eine Kombination mehrerer Gene erzeugt werden. Man kann also in der Regel keineswegs sagen, dass ein einzelnes Gen für eine ganz bestimmte Eigenschaft des Körpers zuständig ist. Insofern schien die Möglichkeit der Erzeugung von Designerbabys in sehr weiter Zukunft zu liegen.
Im Jahr 2012 hat sich aber die Situation durch die Entwicklung der sogenannten CRISPR/ Cas9-Technik schlagartig geändert. CRISPR ist eine Abkürzung für "Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats". Es handelt sich dabei um Abschnitte sich wiederholender DNA im Genom. Sie sind Teil eines Mechanismus zur Immunabwehr, indem sie den Organismus gegen fremde DNA verteidigen. Dies geschieht durch den gezielten Einbau fremder DNA in diesen Bereichen. Mit Hilfe von so genannten Endonukleasen (Enzyme), die als molekulare Scheren (hier Cas9) arbeiten, kann man nun diese Eigenschaft nutzen, um gezielt fremde DNA-Abschnitte in das Genom einzuschleusen. Hierzu werden dem Enzym RNA-Schnipsel (guide RNA) beigegeben, die dafür sorgen, dass genau an der gewünschten Stelle, das Aufschneiden und Einbauen erfolgt. Es wird hier also ein natürlicher Vorgang der Immunabwehr für die Genmanipulation genutzt.
Der große Fortschritt liegt darin, dass diese neue Technologie erheblich einfacher als ältere Verfahren ist und keine extrem teure Laborausstattung voraussetzt. Daneben kann die Technik relativ schnell erlernt werden. Insgesamt führt diese neue Technologie dazu, dass die Funktionen einzelner Gene nun erheblich schneller als vorher identifiziert werden können. Dies ist die Voraussetzung dafür, ganz gezielt bestimmte genetisch bedingte Eigenschaften zu verändern.
Präimplantationsdiagnostik (PID)
Die Entwicklung hin zu Designerbabys wird in kleinen Schritten erfolgen. Als Einstieg kann man bereits die Präimplantationsdiagnostik (PID) sehen. Hier werden zwar nicht die Gene selbst verändert, sondern es wird zwischen verschiedenen befruchteten Eizellen selektiert. Mit dieser Methode können schon jetzt viele genetisch bedingte Krankheiten vermieden werden.
In seinem Buch "Superintelligence" erklärt der Autor Nick Bostrom, dass man z.B. den Intelligenzquotient (IQ) theoretisch durch Selektion aus 10 befruchteten Eizellen um etwa 12 Punkte steigern könnte. Dazu müsste man allerdings wissen, welche Gene für den IQ verantwortlich sind. Durch die restriktive Gesetzgebung in Deutschland ist hier die PID im Moment auf die wenigen Fälle beschränkt, bei denen eine natürliche Befruchtung nicht möglich ist. Manche sehen in der Nutzung der PID zur Vermeidung von Behinderungen eine Abwertung von behinderten Menschen. Dies ist aber eine etwas seltsame Logik. Denn dann dürften wir ja auch generell keine Vorbeugung gegen Krankheiten unternehmen, weil das eine Diskriminierung von Kranken wäre.
Letztlich liegt es aber an den Einzelnen, respektvoll und empathisch mit Behinderten umzugehen. Diese Frage hat aber mit dem rechtlichen Status der PID nichts zu tun.
Eine weit verbreitete Fehleinschätzung ist die Meinung, dass Menschen weitestgehend durch ihre Gene determiniert sind. In Wahrheit spielen dagegen deutlich mehr Faktoren eine Rolle. Aktuell wird etwa viel über die Wirkung von Umwelteinflüssen und frühkindlicher Erziehung geforscht. Sie können sogar Rückwirkungen auf die Gene erzeugen. Dabei wird zwar nicht die DNA-Sequenz verändert, aber die Aktivität einzelner Gene wird beeinflusst. Man bezeichnet das als Epigenetik.
Jenseits unserer genetischen Disposition haben wir also noch immer ein gehöriges Maß an Handlungsfreiheit, aus unserem Leben das zu machen , was wir wollen. Selbst wenn es gelänge, einem Kind die geistigen Veranlagungen eines Albert Einstein genetisch einzuprogrammieren, würde das keineswegs bedeuten, dass aus dem Kind dann ebenfalls ein erfolgreicher Physiker wird. Es könnte daraus durchaus auch ein mittelmäßiger Schuhverkäufer werden.
Medizinische Anwendungen
Die naheliegendste Anwendung der Gentechnik ist die Vermeidung und Reparatur von erblich bedingten Krankheiten und Behinderungen. Einige Erbkrankheiten wie z.B. Trisomie (Mongolismus) können inzwischen durch eine gentechnische Blutuntersuchung der Mutter während der Schwangerschaft erkannt werden. In der Praxis führt dies in etwa 90 Prozent der Fälle zu der Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch.
Bei einigen anderen Erbkrankheiten sieht man die Möglichkeit, diese nach der Geburt durch das Einschleusen reparierter Gene weitgehend zu heilen. Das Verfahren ist aber noch am Beginn der Entwicklung. Weiterhin können Krankheitsdispositionen über eine Genom-Analyse erkannt werden und es können dadurch frühzeitig entsprechende Gegenmaßnahmen eingeleitet werden.
Im März diesen Jahres erschien in der Zeitschrift Nature ein Artikel, in dem die Beseitigung des HIV-1-Genoms aus lebenden Zellen, mit Hilfe der CRISPR/Cas9-Technik, beschrieben wird. Damit scheint sich erstmals die Möglichkeit zu ergeben, von HIV befallene Patienten völlig zu heilen.
Auch der natürliche Alterungsprozess der Zellen kann mit großer Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft verlangsamt oder gar ganz gestoppt werden. Es gibt bereits erfolgreiche Tierversuche mit der Stammzelltherapie. Dazu werden Knochen- und Fettzellen dem Körper entnommen. Anschließend werden sie dann außerhalb des Körpers in einer mehrtägigen gentechnischen Behandlung unter Einsatz der CRISPR/Cas9-Technik reprogrammiert zu pluripotenten induzierten Stammzellen. Werden diese Zellen dann in den Körper durch Injektion zurückgegeben, so vermehren sie sich und ersetzen damit alte Zellen. Dies führt insgesamt langfristig zu einer Verjüngung des Gewebes bzw. des entsprechenden Organs.
Ethische Bedenken
Prinzipiell ergeben sich aus der Genmanipulation vielfältige Möglichkeiten, das potentielle Leid mancher Menschen zu vermindern bzw. ganz zu vermeiden und die Lebensqualität und Lebensspanne der meisten Menschen zu verbessern. Demgegenüber steht die Gefahr, die Technik zu missbrauchen.
Gegen die Genmanipulation des menschlichen Genoms gibt es daher in unserer Gesellschaft erhebliche Bedenken. Zum Teil sind diese Bedenken durchaus berechtigt. Gerade der in diesem Zusammenhang häufig zitierte Roman "Schöne neue Welt" von Aldous Huxley zeigt eindrucksvoll, wie diese Technik durch den Staat missbraucht werden kann. Genaugenommen ist in Huxleys Welt aber nicht die Gentechnik das Problem, sondern der totalitäre Staat, der diese Technik missbraucht.
David Pearce hat aus der Sicht des modernen Transhumanismus dazu eine interessante Kritik mit dem Titel "Brave New World? A Defence Of Paradise-Engineering" geschrieben. Darin beschreibt er das positive Potential der Gentechnik. Dennoch besteht die weitverbreitete Horrorvision, dass der Staat eventuell die Möglichkeiten der Gentechnik nutzen könnte, um gezielt bestimmte Eigenschaften von Menschen zu erzeugen.
Ein häufig zitiertes Musterbeispiel ist die Armee der Klonkrieger aus dem Film Star Wars - Episode II. Ein modernes demokratisches Gemeinwesen sollte selbstbewusst genug sein, die Missbrauchsrisiken, die mit dieser Technologie – wie bei jeder anderen auch – einhergehen, durch humane Regeln und Verfahren verhindern zu können..
Ein weiteres ethisches Problem besteht darin, dass genetisch optimierte Menschen selbst keinen Einfluss auf ihre eigenen Gene haben, da die Wahl ja vor der Geburt getroffen wird. Solange aber ausschließlich Eltern die Wahl haben, werden sie sich wohl für eine möglichst vorteilhafte Genkombination entscheiden. Das ändert natürlich nichts daran, dass es in einer transhumanen Gesellschaft klare Regeln und Gesetze geben muss, die das Wahlrecht der Eltern in vernünftigen Grenzen halten. Ohne Manipulation werden unsere Gene durch eine rein zufällige Kombination der elterlichen Gene erzeugt. Insofern stellt sich hier die Frage, ob eine Ziel gerichtete Kombination gegenüber dem blinden Zufall wirklich ethisch verwerflich ist. Der Philosoph Nick Bostrom bemerkt dazu: "Wenn Mutter Natur echte Eltern wäre, so würde sie im Gefängnis sitzen wegen Kindesmisshandlung und Mord."
Genaugenommen manipulieren wir unsere Gene schon seit Anbeginn der Menschheit über die Partnerwahl. Wie Evolutionsbiologen herausgefunden haben, bestimmen überwiegend Frauen über die Wahl ihres Partners die Ausgangsbasis für die Genkombination ihrer Kinder. Überspitzt könnte man das als eine von Frauen betriebene Züchtung bezeichnen. Diese Art der Selektion wird aber allgemein als natürlich und damit als ethisch unbedenklich angesehen. Die gezielte Veränderung des Genoms verstößt dagegen nach Ansicht vieler Ethikexperten gegen die Menschenwürde.
Was aber ist Menschenwürde und wie erwirbt man sie? Hier gehen die Meinungen weit auseinander. Besonders schwierig wird die Begründung, dass die Würde angeblich durch die Genmanipulation angetastet wird. Hat ein Mensch, dessen Gene so optimiert sind, dass er eine höhere Lebenserwartung hat, dass er eine hohe geistige Leistungsfähigkeit besitzt und dass er auch noch gut aussieht weniger Würde als ein "normaler" Mensch, dessen Gene durch reinen Zufall bestimmt worden sind? Bei eineiigen Zwillingen gibt es keinerlei Grund, die Menschenwürde irgendwie in Gefahr zu sehen. Bei geklonten Menschen würden aber viele Ethikexperten von einer Verletzung der Menschenwürde sprechen, obwohl dabei von der zugrundeliegenden Genetik her kein essentieller Unterschied gegenüber eineiigen Zwillingen auszumachen ist.
Der Philosoph Stefan Lorenz Sorgner sieht eine gewisse Analogie zwischen Genetik und Erziehung. Beide können sowohl reversibel als auch irreversibel sein und bei beiden handelt es sich überwiegend um elterliche Entscheidungen. Wir wissen inzwischen, dass die äußeren Lebensumstände und damit auch die Erziehung eine Rückwirkung auf die Aktivierung von bestimmten Teilbereichen der Gene haben können (Epigenetik). Insofern stellt sich die Frage, wo hier genau eine Trennlinie in der ethischen Beurteilung gezogen werden könnte.
Generell ist es wie mit fast jeder neuen Technik, sie kann zu unserem Vorteil und zu unserem Nachteil verwendet werden. Werden dagegen statt rein pragmatischer Bedenken, grundlegende ethische Bedenken angeführt, so wird die Kritik fragwürdig. Wer bestimmt was in diesem Zusammenhang ethisch ist? Natürlichkeit als ethischer Wert lässt sich nicht begründen.
Der Philosoph Jürgen Habermas hat in seinem Essay "Die Zukunft der menschlichen Natur" die Genmanipulation verteufelt. Er sieht in ihr vor allem die Gefahren, wobei er aber auch die gentechnischen Fortschritte in der Medizin in Frage stellt. Ein Kritiker hat die Ansichten von Habermas daher sehr treffend als "die Zukunft tot gedacht" bezeichnet.
In Deutschland wird die Gentechnik nicht zuletzt auch wegen der Anwendung der negativen Eugenik im dritten Reich von den meisten als unethisch eingestuft und daher völlig abgelehnt. Daneben gibt es eine weitverbreitete Aversion gegen jedwede neue technologische Entwicklung.
Bei Gesetzesentwürfen zur Bioethik kommt dem deutschen Ethikrat ein besonderes Gewicht zu. Er wird sicher dafür sorgen, dass in Deutschland die Manipulation des menschlichen Genoms weitestgehend verboten bleibt, nicht zuletzt schon deshalb, weil hier Religionsvertreter einen besonders großen Einfluss haben. Der Lobbyismus der beiden christlichen Großkirchen hat auch dafür gesorgt, dass einerseits die Genitalverstümmelung von Jungen ausdrücklich legalisiert wurde, während auf der anderen Seite die Sterbehilfe kriminalisiert wurde. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass es diesen Leuten mehr um eine religiöse Verherrlichung des Leids geht als um dessen Vermeidung.
Den Verfechtern des Transhumanismus geht es dagegen um eine positive Eugenik, die die allgemeine Lebensqualität und generell die Wohlfahrt der gesamten Gesellschaft verbessern soll. Dabei sollen sich Menschen grundsätzlich freiwillig dafür entscheiden können, welche Techniken sie zur Optimierung ihres Lebens oder des Lebens ihrer Kinder einsetzen. Technische und medizinische Entwicklungen, die geeignet sind, das Leid der Menschen zu verringern und das Glück bzw. die Wohlfahrt zu vergrößern, lassen sich erfahrungsgemäß nicht auf Dauer aufhalten.
Im Zeitalter der Globalisierung wird es immer Staaten geben, die eine weniger reglementierte Bioethik zulassen. So gibt es schon jetzt in China gentechnische Experimente an Embryonen, obwohl die Technik noch gar nicht ausgereift ist. Auch in den angloamerikanischen Ländern sieht man die Entwicklung eher pragmatisch. So hat z.B. Google 2013 das Tochterunternehmen Calico (California Life Company) gegründet, das sich mit Technologien der Lebensverlängerung befasst, darunter auch die Gentechnik.
Ein säkularer Staat sollte sich in seiner Gesetzgebung auf Vernunft und Logik stützen und nicht auf letztlich unhaltbare Ängste und Vorurteile. Eine Heiligsprechung der menschlichen Gene ist naiv und mit einem modernen naturalistischen Humanismus unvereinbar. Aus dieser Sicht ist es ethisch sogar geboten, die Gentechnik weiter zu entwickeln und sie zum Wohl der Menschheit einzusetzen.
Der britische Philosoph David Pearce sieht in der Gentechnik langfristig die Chance, das Glück der Menschen dramatisch zu verbessern und das Leid zu beenden. In seinem Manifest "The hedonic Imperativ" beschreibt er dazu seine Strategie. Die Gentechnik spielt dabei eine zentrale Rolle. Auf die Frage, ob nicht die genetischen Verbesserungspläne an die Rassenbiologie der Nazis erinnern, antwortet er: "Die Frage ist, ob man Genetik für das Wohl aller Lebewesen einsetzen will, oder für das Wohlergehen einer Herrschaftsrasse. Die Nazis hatten einen sozialdarwinistischen Ansatz, wohingegen wir uns für alle Lebewesen einsetzen. Das ist so weit weg von der Rassenpolitik des dritten Reichs, wie du es dir nur vorstellen kannst."
Wir können das Paradies im Diesseits erschaffen, aber das geht langfristig nur, wenn wir auch den Menschen selbst verbessern.
20 Kommentare
Kommentare
Noncredist am Permanenter Link
Schöner Artikel. Kann ich nur zustimmen.
Einen Gedanken meinerseits möchte ich gerne noch mitgeben:
>> Was aber ist Menschenwürde und wie erwirbt man sie? Hier gehen die Meinungen weit auseinander. <<
In meinen Augen ist die Würde des Menschen vollständig vom Genom unabhängig. Es ist *der Mensch*, dem hier eine Würde ab der Geburt zugesprochen wird, nicht der Haut, nicht den Zellen und nicht der Körperform des geborenen Wesens. Der Mensch ist meiner Meinung nach erst dann als "würdevoller Mensch" deklariert, wenn es mit einem funktionellem Gehirn zur Welt kommt. Ansonsten kann man es als "hirntotes Baby" bezeichnen und ist demnach für mich nur Fleisch, was im bestem Falle durch Maschinen "am Leben" gehalten werden kann. Menschlicher wird dieses Fleisch jedoch nicht, egal wieviele Gene dort optimiert wurde.
Die Menschenwürde ist deshalb meiner Meinung nach bei allen Menschen gleichermaßen "vorhanden", unabhängig ob sie querschnittsgelähmt, hochoptimiert oder normal zur Welt kommen. Man kann sie weder durch eine Tat erhöhen noch erniedrigen. Sie kann einem höchstens *nicht zugesprochen* werden. Aber durch welche "Kriterien" möchte man sie verwehren? Der Haarfarbe? Der Hautfarbe? Oder doch vielleicht dem Verhältnis zwischen zufällig gewürfelten und bewusst selektivierten Genen? Wer auch immer hier den Maßstab ansetzen möchte, wird höchstgradig versagen.
Die meiner Meinung nach einzigste Möglichkeit ist es, jedem Menschen, ob mit oder ohne Gendefekt/-optimierung die exakt selbe Würde zuzusprechen. Und sie sind auch alle gleichermaßen als vollwertige "Menschen" zu akzeptieren. Eine Diskriminierung von "Behinderten" oder "Eliten" erfolgt nicht vom Genom her, sondern von der bewussten Inakzeptanz des jeweiligen Menschen und der damit verbundenen Entscheidung, die jeweilige "unpassende" Person nicht als Mensch, sondern als "Unmensch", "Falschmensch" oder "Kunstmensch" anzusehen.
Die "Schuld" liegt nicht am Genom und nicht an den bewusst selektierenden Eltern, sondern an der (zumeist religiösen) Gesellschaft, die zwar gerne der Natur ein Schnippchen schlagen und zum Arzt gehen um sich heilen zu lassen, aber dann doch lieber der Natur die Würfel in die Hand gibt, damit die nächste Generation bittesehr zusammengewürfelt werden soll. Und wenn dann ein Gendefekt gewürfelt wird, dann soll es eben so sein. Die Medizin soll aus ihrer Sicht heraus lieber die Symptome lindern, als die Ursache zu korrigieren.
Schade, meiner Meinung nach.
Bernd Vowinkel am Permanenter Link
Zum Thema Menschenwürde empfehle ich das hervorragende Buch "Illusion Menschenwürde" von unserem gbs-Beiratsmitglied Franz Josef Wetz.
Hans Trutnau am Permanenter Link
"die Würde des Menschen vollständig vom Genom unabhängig" - Jup.
Würde ist ein KULTURELLES Konstrukt wie Schuld.
Steffen Hannemann am Permanenter Link
Sehr gute Zusammenfassung des gegenwärtigen Stand der Möglichkeiten der Genverbesserung des Menschen.
Es hat noch eine weitere Partei in Deutschland, die sich ebenfalls für mehr Gesundheitsforschung einsetzt und es sich lohnt, diese zu unterstützen:
Damit wir unsere Chance auf ein längeres Leben erhöhen, müssen wir jetzt mehr in die Forschung investieren. Bitte werdet deshalb Mitglied in der Partei für Gesundheitsforschung. Das ist kostenlos und mit keinerlei Verpflichtungen verbunden:
http://parteifuergesundheitsforschung.de/mitglied-werden/
Es ist wichtig, dass man eine sehr breite Basis findet, die Epigenetik unterstützt, darum sollte man die religiösen Menschen nicht grundsätzlich ausschließen.
Nicht alle der evang.- katol. Kirche sind gegen Genverbesserung, die Befürworter und Gegner sind auch nciht anders verteilt als bei der restlichen Bevölkerung.
Sehr gut wird Genetik in den Roman "Das Nazareth Gen" erklärt, die positiven Aspekte werden für jeden sehr anschaulich erklärt:
http://www.amazon.de/Das-Nazareth-Gen-Roman-Michael-Cordy/dp/3453147286
Hans Trutnau am Permanenter Link
Steffen, die "breite Basis" scheint mir gerade bei der Einthemenpartei Gesundheitsforschung doch etwas schmal zu sein. Aber allen Erfolg!
malte am Permanenter Link
Die medizinischen Möglichkeiten der Gentechnik sollte man nutzen, die halte ich auch ethisch für unproblematisch.
Die erwähnten Bluttests auf Trisomie 21 sind übrigens, anders als hier behauptet wird, keine gentechnische Methode. Hier wird am Genom nichts verändert, sondern nur bestimmte genetische Besonderheiten ERKANNT.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Alles geht. Und mit CRISPR jetzt noch schneller. Deswegen müssen wir es auch unbedingt machen, ungebremst; sofort, immer und überall.
So liest sich das für mich.
Inwiefern ist Selektion in der Regel mit extremem Leid verbunden?
Ist ewiges Leben (für ALLE Menschen!) überhaupt erstrebenswert?
Hätten wir dann nicht tatsächlich ein Überbevölkerungsproblem?
Könnten / müssten wir dem durch Flucht ins All entkommen?
Was sind eigentlich "vernünftige Grenzen" und wer bestimmt die?
Ist ein Technikmissbrauch eher von Staat oder Industrie zu erwarten?
Am wenigsten überzeugt mich die fast schon religiöse Heilserwartung eines Paradieses hienieden.
Bernd Vowinkel am Permanenter Link
Die natürliche Selektion funktioniert über das Verhungern oder gegenseitiges Auffressen. Beides ist in der Regel nicht besonders angenehm!
Ob ein besonders langes Leben (ewig kann es ohnehin prinzipiell nie sein) erstrebenswert ist, muß jeder für sich selbst entscheiden. Erstrebenswert halte ich aber auf jeden Fall die freie Wahl über den eigenen Körper und seine Fähigkeiten.
Zum Paradies: Aber Hans, was sollten wir denn sonst als allerhöchstes Ziel im Diesseits anstreben? Ich gebe aber zu, dass das Wort aus dem religiösen Wortschatz stammt und insofern etwas anrüchig ist.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Selektion durch "Verhungern oder gegenseitiges Auffressen" - Nö, Bernd, auch durch völlig leidfreie Nichtfortpflanzung.
Und die ganz geilen 'Transen' (kurz für Transhumanist*innen) wollen ja gerade langes (warum denn nicht mehr EWIGES?) Leben. Also, wenn schon, denn schon.
Ziel: Glück. HIER! Nicht Paradies - dann ginge ja der ganze Quark evtl. von vorne los...
Bernd, je mehr ich darüber nachdenke - die Transen-Utopie kommt mir so vor wie die Huxley-Dystopie "Brave New World".
Nur ohne Soma.
Oder sogar mit.
Erschreckend. WILL ich nicht.
Bernd Vowinkel am Permanenter Link
Ähhh, wie funktionierte das z.B. bei den Neandertalern mit der leidfreien Nichtfortpflanzung? Durch Enthaltsamkeit (nach meiner Meinung pures Leid!) oder gabs schon Kondome?
Hans Trutnau am Permanenter Link
Tja, Bernd, man kann das schon irgendwie ins Lächerliche ziehen.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Und:
Was sind eigentlich "vernünftige Grenzen" und wer bestimmt die?
Diese ganze Transkiste erscheint mir immer mehr wie ein elitäres, im besten Fall utopisches, realitär aber dystopisches Geschwurbel, das eigentlich nur mit/in einem reaktionären Staatsgebilde und williger Ubergugel-Industrie durchsetzbar erscheint.
Nur mit gehöriger SOMAtisierung auszuhalten.
Individuelle Freiheiten gibt's da nicht.
Brave New World? Nein, danke.
Martin Weidner am Permanenter Link
Der Humanismus mündet in sein Gegenteil - den traqnshumanismus. Kant konnte noch verdammen, einen Menschen als Zweck zu gebrauchen. Hier wird die Selektion zwischen Menschen schon als normal und richtig angesehen.
Bernd Vowinkel am Permanenter Link
Anscheinend war ich mit meinem Artikel nicht optimistisch genug. Gestern (22.04.2016) kam folgende Meldung:
"First gene therapy successful against human aging" Link:
siehe auch:
https://www.inverse.com/article/14614-gene-therapy-makes-bioviva-ceo-elizabeth-parrish-younger-blunter-and-resolute
Markus Pfeifer am Permanenter Link
Was machen wir eigentlich, wenn wir tatsächlich den Alterungsprozess stoppen und die tödlichen Krankheiten auslöschen? In so einer Welt dürfte der Mensch sich auch nicht mehr Fortpflanzen.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Extreme Transen (Kurzform für Transhumanist*/*iInnen) plädieren hier z.B. für Ausreise ins All...
Bin jetzt gerade etwas spöttisch aufgelegt. Sry.
Bernd Vowinkel am Permanenter Link
...wenn jemand von unserem Planeten irgend wann mal ausreist, dann werden es Maschinen (bzw. Wesen der künstlichen Intelligenz) sein. Der Mensch ist für interstellare Reisen völlig ungeeignet.
https://de.wikipedia.org/wiki/Von-Neumann-Sonde
Hans Trutnau am Permanenter Link
SF - und m.E. auch völlig unnötig. Raumschiff Erde reicht.
Thomas Gießl am Permanenter Link
Ich vermute sehr stark, dass sich diese Frage dann nicht mehr stellt.
Und ist ja nicht so, dass es nicht schon jetzt effektive Verhütungsmethoden gäbe...
Thomas Oppermann am Permanenter Link
Ich finde diesen Artikel erschreckend. Ich bin irritiert zu lesen, wie Humanisten wissenschaftliche Fortschritte ohne Bezug zur gesellschaftlichen Realitäten beschreiben.
Für eine kapitalistischen Leistungsgesellschaft zu formulieren, "Solange aber ausschließlich Eltern die Wahl haben, werden sie sich wohl für eine möglichst vorteilhafte Genkombination entscheiden.", zeugt von einer vollkommen Realitätsferne. Was soll den die vorteilhafte Genkombination sein, für die sich Eltern entscheiden, die z.B. wie beim Linzer Kinderlauf, ihre 2- und 3-Jährigen über die Ziellinie schleiften? Wie sieht die "vorteilhafte" Genkombination für reiche und arme Eltern aus? Es sieht momentan nicht danach aus, als würde sich der Weg in die medizinische 2-KLassengesellschaft verhindern lassen. Es ist also eher davon auszugehen, dass solche Genveränderung, vor allen eine Geldfrage werden, womit die Frage aufgeworfen wäre, wie es der Transhumanismus mit einer humanistischen Gesellschaft und deren Anspruch nach Chancengleichheit hält?
Das Problem dieser und anderer Techniken scheint mir weniger der Mißbrauch durch totalitäre Staaten zu sein, als vielmehr die Frage nach der "sinnvollen" Anwendung. Hier die Vorstellung zu vermitteln es würde nach "rationalen Gesichtspunken, sinnvoll" entschieden (siehe obiges Zitat), ist eher abwegig. Fast scheint es mir, dass der Artikel eine Technik bejubelt, deren Anwendung eine "andere" Gesellschaft voraussetzt. Dummerweise dieses vergisst zu erwähnen. Ich selbst vermag es kaum blauäugiger zu formulieren, wie wenig der gesellschaftliche Rahmen, in dem diese Techniken stattfinden reflektiert wird, als der Autor selbst:
"Den Verfechtern des Transhumanismus geht es dagegen um eine positive Eugenik, die die allgemeine Lebensqualität und generell die Wohlfahrt der gesamten Gesellschaft verbessern soll. Dabei sollen sich Menschen grundsätzlich freiwillig dafür entscheiden können, welche Techniken sie zur Optimierung ihres Lebens oder des Lebens ihrer Kinder einsetzen. Technische und medizinische Entwicklungen, die geeignet sind, das Leid der Menschen zu verringern und das Glück bzw. die Wohlfahrt zu vergrößern, lassen sich erfahrungsgemäß nicht auf Dauer aufhalten ."
Das hat was von paradiesischer Zukunft, durch technische Errungenschaften. Mit anderen Worten, eine verklärende Darstellung, mit der man schon in den 60er Jahren für die Atomkraft warb. Das Idealbild, der freiwilligen Entscheidung muss für jeden Hartz IV Empfänger und Empfängerin, wie Hohn vorkommen, denn freiwillige Entscheidungen sind dieser Personengruppe untersagt, solange sie staatliche "Transferleistungen" beziehen. Das ist die gesellschaftliche Realität, in der die Gentechnik als ZUKUNFtstechnik bejubelt wird. Ein bisschen mehr Realitätssinn und Reflexion über die Zusammenhänge von Gesellschaft und Technik würde ich von den Protagonisten solcher Heilslehren schon erwarten.